Ein Minenfeld für deutsche Kirchen

Zum Thema
Solidarität mit Palästina
Den Palästinensern geschehe Unrecht, und die Kirchen in Deutschland sollten ihr Schweigen dazu brechen. Das hat der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu Ende April in einem offenen Brief an den Deutschen Evangelischen Kirchentag gefordert. Eine Antwort hat der prominente Anti-Apartheidkämpfer bisher nicht bekommen. Das enttäuscht vor allem die Palästina-Unterstützer in den deutschen Kirchen.

In seinem Brief nimmt Tutu kein Blatt vor den Mund. „Unsere christlichen Schwestern und Brüder im Heiligen Land haben nichts von ausgewogenen Synodenerklärungen, die in gleicher Weise Sympathie mit dem Unterdrücker und den Unterdrückten zum Ausdruck bringen. Sie erwarten von uns alle erdenkliche Hilfe, ihre kollektive Freiheit zurückzugewinnen“, schreibt er in einem offenen Brief an den Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT). Persönlich adressierte Kopien davon erhielten außerdem der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sowie der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), Bischof Karl-Heinz Wiesemann.

Obwohl der Brief schon Ende April verschickt worden war, hat keiner der Adressaten bisher darauf geantwortet. Dabei bezeichnen viele Theologen in Deutschland den Erzbischof aus Kapstadt als großes Vorbild. Seit einigen Jahren nutzt Tutu sein Renommee, um die israelische Besatzungspolitik international anzuprangern. Bei diesem Thema wird es in Deutschland aber kompliziert. Der Brief sei zu kurzfristig eingegangen, heißt es beim DEKT. Man wolle sich die nötige Zeit nehmen, um inhaltlich qualifiziert antworten zu können. Das dauere wohl bis zur Sommerpause Ende Juli. Der EKD-Ratsvorsitzende dagegen wird nicht auf das Schreiben antworten, ist aus dem Kirchenamt in Hannover zu hören. Der Brief sei ja in erster Linie an den Kirchentag gerichtet gewesen und nicht an den EKD-Rat. Mit der gleichen Begründung wird es auch von der ACK keine persönliche Antwort geben.   

Grabenkämpfe mit ungleicher Ausgangslage 

Seit Jahren versuchen christliche Initiativen in Deutschland, das Thema Gerechtigkeit und Frieden in Palästina stärker in den Blick der Kirchenhierarchie zu bringen, wie zum Beispiel das Kairos-Palästina-Solidaritätsnetzwerk, Pax Christi oder der Sabeel-Freundeskreis. Vergeblich hatten sie versucht, Veranstaltungen zum Kairos-Palästina-Papier ins offizielle Programm des diesjährigen Kirchentags zu bringen. Das Kairos-Dokument, das 2009 palästinensische Christen als Hilferuf an alle Kirchen in der Welt geschickt hatten, war in Deutschland kontrovers diskutiert worden. Vor allem der Vorschlag, israelische Waren aus den besetzten Gebieten zu boykottieren hatte für starken Gegenwind gesorgt.

Diskussionen über Israel und Palästina arten unter deutschen Christen schnell zu Grabenkämpfen aus – allerdings mit ungleicher Ausgangslage. In vielen Landeskirchen gibt es Sonderpfarrer für den jüdisch-christlichen Dialog, die ihre Kirchen in Fragen der christlich-jüdischen Beziehungen beraten. Die Kairos-Palästina-Unterstützer arbeiten dagegen durchweg ehrenamtlich und müssen mit scharf formulierten Briefen Gehör in der Kirchenleitung suchen.

Der Kirchentag in Stuttgart wäre nun in den Augen der Kairos-Unterstützer ein gutes Forum gewesen, dem Thema noch einmal eine neue kirchliche Öffentlichkeit zu geben. Doch die Verantwortlichen des Kirchentags lehnten alle Veranstaltungsvorschläge ab. Sie berufen sich vor allem auf Verfahrensregeln. Beim Kirchentag würden nicht Papiere, sondern Themen diskutiert, sagt Silke Lechner, Studienleiterin beim DEKT auf Anfrage. „Außerdem ist eines unserer Grundprinzipien, dass ein Thema nicht von einer Organisation vorbereitet wird, sondern von bunt gemischten Gruppen, in denen verschiedene Positionen vertreten sind. Da muss man sich schon im Vorfeld immer wieder untereinander abstimmen.“

„Beide Perspektiven zu Wort kommen lassen“

Den Vorwurf, dass sich die Kirchentagsleitung am Thema Palästina aus inhaltlichen Gründen nicht die Finger verbrennen wollte, lässt die Studienleiterin des DEKT nicht so stehen. In Stuttgart habe es sehr wohl Veranstaltungen dazu gegeben, aber eben in anderer Form, sagt Lechner. „Wir wollen immer beide Perspektiven zu Wort kommen lassen.“ Wenn man zu einseitig Position beziehe, gefährde man unnötig das jüdisch-christliche Gespräch.

Genau diese Kritik kann Ulrich Duchrow, Theologie-Professor in Heidelberg und selbst seit langem in der Kairos-Palästina-Bewegung engagiert, nicht nachvollziehen. „Es geht uns um Frieden und Gerechtigkeit für beide – Israel und Palästina. Wir wissen sehr wohl, dass diese Völker nur gemeinsam eine Zukunft haben.“ Deswegen suche man in der Kairos-Palästina-Bewegung bewusst den Austausch mit jüdischen Theologen. „Propheten und Thora sprechen eine sehr deutliche Sprache in Hinblick auf Unrecht und wie damit umzugehen ist. Genau an dem Punkt können Juden und Christen sehr gut zusammenkommen.“

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erschienen in Ausgabe 8 / 2015: Demokratie: Die bessere Wahl
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