Nicht nur Stahl, sondern auch Gerechtigkeit

Die Toten bei der Loveparade in Duisburg haben die Menschen zwischen Rhein und Ruhr erschüttert. Die Katastrophe wird in das kollektive Gedächtnis der Region eingehen. Umso wichtiger ist es, an die traditionelle Weltoffenheit und das beachtliche entwicklungspolitische Engagement ihrer Bewohner zu erinnern. Beides hat dem Ruhrgebiet weltweit Sympathie und Anerkennung gebracht. Die kann es in diesen schweren Tagen gut gebrauchen.

Der 12. Juni 2010 war ein guter Tag für das Ruhrgebiet. Am Internationalen Tag gegen Kinderarbeit trafen sich  in Dortmund Vertreter von Weltläden, Eine-Welt-Zentren, ökumenischen Netzwerken, Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und Agenda-Büros aus der Region. Es ging um die Unterzeichnung der „Magna Charta Ruhr.2010“, mit der sich 38 Kommunen verpflichten, bei ihren öffentlichen Beschaffungen auf Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu verzichten und verstärkt Produkte des Fairen Handels einzukaufen.

Autor

Jürgen Thiesbonenkamp

war bis 2014 Vorstandsvorsitzender der Kindernothilfe in Duisburg.

Mit dem Datum war auch der Ort gut gewählt. Dortmund wurde 2009 als erste Ruhrgebietsstadt mit dem Titel „Fairtrade-Town“ ausgezeichnet. Der Oberbürgermeister betonte das in seiner Ansprache und stellte die Verbindung zur Kulturhauptstadt Ruhr.2010 her. Das Netzwerk der Initiativen hatte sich das Ziel gesetzt, einen deutlichen Impuls zu einer „Fairen Kulturhauptstadt Ruhr.2010“ zu setzen. Hinter dem Festakt im Juni steht das jahrelange Bemühen vieler einzelner Gruppen und Initiativen, in ihren Kommunen die Anliegen des fairen Handels und der weltweiten Gerechtigkeit bekannter und bewusster zu machen. Das oft auch zähe und nicht selten frustrierende Ringen von kleinen Gruppen und Einzelpersonen verband sich an diesem Tag zu einer großen Gemeinschaftsaktion mit regionaler und auch europäischer Dimension. Die Vision einer fairen Metropole Ruhr rückte sichtbar näher.

Es ist beeindruckend, wie breit und tiefgehend weltweite ökumenische Beziehungen, der Agenda-Prozess, der Faire Handel und die Entwicklungszusammenarbeit in der Region verankert sind. Seit Jahrzehnten sind mit Adveniat in Essen und der Kindernothilfe in Duisburg zwei international tätige Hilfswerke im Ruhrgebiet ansässig. Wichtige Träger des weltweiten ökumenischen Dialogs und der Partnerschaftsarbeit sind die Kirchenkreise und Dekanate. Ihr Engagement spiegelt sich auch auf der Gemeindeebene wider. Von Herne und Dortmund aus arbeiten ökumenische Zentren der westfälischen Kirche. In Bochum und anderen Städten sind internationale NGOs zu Hause.

Das Ruhrgebiet ist eine gute Adresse für die Anliegen der Ökumene, der Entwicklungszusammenarbeit und des fairen Handels – nicht zuletzt wegen einer Bevölkerung, die aufgrund ihrer eigenen Geschichte und Herkunft diesen Themen  gegenüber aufgeschlossen ist. Viele Menschen bringen die Arbeit in den Initiativen tagtäglich voran und unterstützen sie. Deshalb ist es wichtig, an den 12. Juni zu erinnern.

Denn mit dem 24. Juli 2010 brachte ein anderer Tag einen langen Schatten über die Region und besonders über Duisburg. Mit der Katastrophe der Loveparade, bei der mehr als 20 Menschen starben, geriet Duisburg weltweit in die Schlagzeilen. Eigentlich sollten die Veranstaltungen im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 mehr als nur symbolisch klarmachen, dass der Strukturwandel vom einstigen „Kohlenpott“ zu einer Region mit neuen Industrien, Dienstleistungen, Universitäten sowie Städten mit einem breiten Kulturangebot und beachtlichen Integrationsleistungen zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen vorangekommen und auf einem guten Weg ist. Doch was in Duisburg geschah, wird zur kollektiven Erinnerung werden.

Damit müssen sich alle auseinandersetzen, die in der Stadt leben und arbeiten. Dazu gehört auch die Kindernothilfe, die engagierte Menschen 1959 gegründet haben. Viele unserer Partner in aller Welt haben uns in diesen Tagen geschrieben; sie kennen die Stadt von ihren Besuchen und haben ihre Lebendigkeit und Gastfreundschaft erfahren. Die Städtepartnerschaft zu San Pedro Sula in Honduras, wo die Kindernothilfe Projekte durchführt, ist Ausdruck der tragfähigen Beziehungen zwischen Duisburg und der Kindernothilfe.

„Duisburg exportiert nicht nur Stahl, sondern auch Gerechtigkeit“, hatte 2002 der Laudator etwas pointiert gesagt, als der Kindernothilfe der Bürgerpreis der Stadt verliehen wurde. Dies verpflichtet uns weiterhin. Es ist gut, dass wir dabei nicht alleine sind. Das zeigt die Magna Charta Ruhr.2010 und der Geist, der sie trägt. Die weltweite Solidarität braucht gerade jetzt den regionalen Zusammenhalt.

erschienen in Ausgabe 9 / 2010: Korruption: Geld, Amt und Macht
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