"Wir prangern Gewalt an"

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Michael Hippler leitet die Abteilung Katholische Zentralstelle bei Misereor und ist Ko-Vorsitzender des Lenkungsausschusses der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt).
15 Jahre FriEnt
Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung feiert ihren 15. Geburtstag. Michael Hippler von Misereor berichtet von neuen Herausforderungen und erklärt, warum der Austausch zwischen Friedensorganisationen wichtig ist.

Mein Eindruck ist, viele Entwicklungsorganisationen tun sich immer noch schwer, mit Fragen von Krieg, Konflikt und Gewalt umzugehen. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube, das kann man heute nicht mehr so sagen. Ein Blick auf die Landkarte der ärmsten Länder zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Armut und Konflikt immer enger wird. Wer sich ernsthaft mit Armutsbekämpfung beschäftigt, muss sich zwangsläufig auch mit der Bewältigung von Konflikten beschäftigen.

Aber viele Organisationen scheuen sich, in Konflikten klar Position zu beziehen, die Täter zu nennen und zu verurteilen.
Das sehe ich anders: Wir prangern Menschenrechtsverletzungen und Gewalt an und arbeiten mit unseren Partnern vor Ort zusammen, um dagegen vorzugehen. Allerdings führen restriktive Gesetze in vielen Ländern dazu, dass diese Partner in ihrer Freiheit eingeschränkt und drangsaliert werden. Hinzu kommt: Eine konfliktsensible Arbeit verlangt, möglichst alle Konfliktparteien in Lösungen einzubinden. Das versuchen wir in der Arbeitsgemeinschaft FriEnt auch in Situationen, in denen es Kräfte gibt, denen es offensichtlich nur um Gewalt geht, wie derzeit im Nahen Osten.

Was hat die Mitarbeit bei FriEnt in Ihrer Organisation Misereor bewirkt?
Die Zusammenarbeit in FriEnt von staatlichen und den vielen verschiedenen nichtstaatlichen Mitgliedern wie Hilfswerken, Kirchen, Stiftungen oder Friedensdiensten bringt die unterschiedlichen Sichtweisen in unsere Organisation. Als zum Beispiel vor einigen Jahren die Konflikte in Mali ausbrachen, da war schnell klar, dass da Einflüsse eine Rolle spielen, die außerhalb der Reichweite einer Organisation wie Misereor liegen. FriEnt gab uns die Gelegenheit, sich darüber mit anderen Mitgliedern auszutauschen und sich abzustimmen. Ähnliches ist in Kenia gelungen nach den gewalttätigen Ausschreitungen nach den Wahlen 2008. Vor den Wahlen 2013 haben wir mit anderen FriEnt-Mitgliedern versucht, staatliche und nichtstaatliche Partnerorganisationen in Kenia zusammenzubringen, um zu überlegen, wie man neue Gewalt verhindern kann.

Das klingt, als herrsche bei FriEnt immer Einigkeit darüber, wie man mit Konflikten umgehen soll.
Bei FriEnt geht es darum, andere Sichtweisen kennenzulernen und voneinander zu lernen. Der Konflikt in Kolumbien ist ein gutes Beispiel, denn da waren die Positionen einzelner Mitglieder zu Beginn sehr unterschiedlich. Der Runde Tisch zu dem Land hat aber Vertrauen geschaffen und es ermöglicht, unterschiedliche Sichtweisen einzubringen, ohne gleich am nächsten Tag in der Zeitung damit zitiert zu werden. In den Jahren, in denen der Runde Tisch funktioniert hat, wurden die unterschiedlichen Positionen in den einzelnen Organisationen verbreitet. Und das hat sich dann im Dialog mit den jeweiligen Partnerorganisationen in Kolumbien fortgesetzt. Heute kann man sehen, dass die Regierung in Kolumbien sich im Friedensprozess bemüht hat, die Zivilgesellschaft einzubeziehen. Bei den NGOs wiederum setzt sich die Einsicht durch, dass es ganz ohne Staat auch nicht geht. FriEnt hat die Erkenntnis vorangebracht, dass staatliche und nichtstaatliche Kräfte Frieden nur gemeinsam schaffen können. Das ist meiner Ansicht nach eine der größten Leistungen der Arbeitsgemeinschaft.

Im vergangenen Jahr wurde FriEnt evaluiert. Im Bericht heißt es, einige nichtstaatliche Mitglieder wünschten sich mehr Kritik an der deutschen Entwicklungs-, Außen- und Sicherheitspolitik. Sie auch?
Ich bin dagegen, die Zusammenarbeit in FriEnt für eine öffentlichkeitsorientierte Lobbystrategie zu missbrauchen. Aber natürlich kann man die Ergebnisse von Gesprächen in der Arbeitsgemeinschaft mit in die eigene Organisation nehmen und dort für die Arbeit nutzen. Es gab einige Konflikte zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Mitgliedern. Einer drehte sich um die Frage der „vernetzten Sicherheit“ und der zivil-militärischen Zusammenarbeit, etwa in Afghanistan. Aber auch hier hat FriEnt überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, darüber zu sprechen, ohne dass ein Konsens erzielt werden muss.

Ein anderes Beispiel ist die Diskussion um „deutsche Verantwortung in der Welt“ anlässlich der Münchener Sicherheitskonferenz 2014. Da hatten nichtstaatliche FriEnt-Mitglieder den Eindruck, dass vor allem militärische Aspekte betont werden. Ich habe das in einem Interview für den damaligen FriEnt-Jahresbericht kritisiert und an den Mangel an Kohärenz, an deutsche Rüstungsexporte und an unsere Klimapolitik erinnert, die konfliktverschärfend wirken. Wir nutzen also den Rahmen von FriEnt, unterschiedliche Positionen deutlich zu machen. In den vergangenen 15 Jahren ist das dazu nötige Vertrauen gewachsen.

Gab es jemals Überlegungen bei FriEnt, Mitglieder aus dem Bereich der Sicherheitspolitik aufzunehmen, etwa das Auswärtige Amt oder das Verteidigungsministerium?
Wir laden beide in der Regel zu unseren Veranstaltungen ein. Mit dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) ist zudem eine Durchführungsorganisation des Auswärtigen Amtes Mitglied von FriEnt. Aber Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Wir müssten im Grunde auch stärker an die Wirtschafts- und die Handelspolitik denken, denn beide wirken auf Konfliktsituationen. Krisenprävention und Friedensförderung sind ressortübergreifende Querschnittsaufgaben. Meine Hoffnung ist, dass die neuen Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung, an denen die Bundesregierung derzeit arbeitet, zu einer Stärkung dieser Sichtweise beitragen.

Es ist schon eine Leistung, dass wir seit 15 Jahren mit sehr unterschiedlichen Mitgliedern bei FriEnt zusammenarbeiten und zusätzlich noch mit anderen in Dialog treten. Das ist einmalig in Europa. Zu unserem Peacebuilding Forum, das wir nächstes Jahr zum dritten Mal veranstalten, kommen internationale Gäste um mit uns über aktuelle Herausforderungen der Friedensförderung zu diskutieren.

Aber etwa in England funktioniert die zivil-militärische Zusammenarbeit doch viel reibungsloser.
Ja, die haben die Aufgaben auf weniger Ressorts verteilt. Das ist vordergründig ein Vorteil. Andererseits ist die Entwicklungspolitik dort weniger eigenständig als bei uns. Die militärischen Optionen gewinnen dadurch schneller die Oberhand. Die Eigenständigkeit der Entwicklungspolitik auf Ressortebene in Deutschland ist wertvoll. Das zeigt sich gerade jetzt wieder in den Beratungen der Bundesregierung über neue Leitlinien für die zivile Konfliktbearbeitung.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

FriEnt - 15 Jahre Frieden und Entwicklung

Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) ist ein Zusammenschluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und ...

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erschienen in Ausgabe 10 / 2016: Welthandel: Vom Segen zur Gefahr?
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