Artenschutz ist Virenschutz

Ezra Acayan / Getty

Fleisch auf einem Markt  in der ­philippinischen Hauptstadt Manila. Der Handel mit frisch ­geschlachteten Wildtieren macht manche afrikanische und asiatische Märkte zu Virenumschlagplätzen.

Krankheitserreger
Je tiefer der Mensch in die Lebensräume von Wildtieren vordringt, desto mehr liefert er sich auch den Krankheitserregern aus, die sie übertragen. Wissenschaftler plädieren für ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit.

Kurz bevor die Corona-Pandemie ihren Anfang nahm, trafen sich Ende Oktober 2019 in Berlin Wissenschaftler aus aller Welt, um über die Zusammenhänge der Gesundheit von Menschen, Tieren und Natur zu sprechen.  Ausrichter der Konferenz „One Planet, One Health, One Future“ waren die US-amerikanische Naturschutzorganisation Wildlife Conservation Society (WCS) und das Auswärtige Amt. Eine wichtige Frage: Wie breiten sich Infektionskrankheiten als Folge menschlichen Eindringens in die Lebensbereiche von Wildtieren aus? 

Coronaviren gelten seit Jahren als „ganz heiße Kandidaten“ für eine Übertragung vom Tier auf den Menschen, berichtet WCS-Programmmanagerin Kim Grützmacher. Die Veterinärmedizinerin hat unter anderem am Robert Koch-Institut geforscht und ihre Dissertation über die Übertragung von Atemwegserregern zwischen Menschen und wildlebenden Tieren geschrieben. Dass es mit Sars-CoV-2 ein Coronavirus war, das die Welt kurz nach der internationalen Konferenz in Aufruhr versetzt hat, ist für sie ebenso wenig überraschend wie für die Fachleute aus Politik, Medizin, Biologie und Klimaforschung. „Gewünscht hätten wir eine solch eindrucksvolle Illustration unserer Befürchtungen aber natürlich nicht.“ 

Insgesamt schlummern weltweit um die 1,67 Millionen  Virenarten in Wildtieren, berichtet Grützmacher. Das Potenzial, durch kleinere Mutationen vom Tier auf den Menschen überzuspringen, hätten aber „nur“ etwa 700.000 bisher unbekannte Viren. Dass zu ihnen auch die Coronaviren gehören, zeigte sich schon im Jahr 2003, als von Asien ausgehend weltweit mehr als 8000 Menschen am schweren akuten Atemwegssyndrom SARS erkrankten, das aller Wahrscheinlichkeit nach von Fledermäusen über Schleichkatzen auf den Menschen übersprang. 

Zwei Drittel der Erreger stammen aus dem Tierreich 

Die fliegenden Säugetiere, die auch Pflanzen bestäuben und für die Bekämpfung bestimmter Insektenarten wichtig sind, bilden ein großes Reservoir für Coronaviren. Fledermäuse leben bis zu 20 Jahre und haben ein besonderes Immunsystem, das sie davor schützt, an den Viren zu erkranken. Wechseln die Erreger zu einem weniger abwehrstarken Wirt, haben sie leichtes Spiel – erst recht, wenn dessen Immunsystem mit den Erregern noch gar nicht vertraut ist. 

Autorin

Barbara Erbe

ist Redakteurin bei welt-sichten.
Insgesamt stammen mehr als zwei Drittel der Erreger menschlicher Infektionskrankheiten ursprünglich aus dem Tierreich, davon über 70 Prozent von Wildtieren – darunter die Immunschwächekrankheit Aids, die zu Blutungen führende Fiebererkrankung Ebola, die Virusgrippe Influenza sowie die Lungenkrankheiten Middle East Respiratory Syndrome (MERS) und das Schwere Akute Respiratorische Syndrom (SARS). Jesús Olivero hat in einer Studie dokumentiert, dass das Ebolavirus, das vor allem in Westafrika und im Kongo Zehntausende Menschen getötet hat, von Fledermäusen auf den Menschen übertragen wird. Darüber hinaus zeigte der Professor für Biogeografie und Mikroökologie an der Universität Málaga, dass diese Übertragung dadurch verstärkt wird, dass Wälder, in denen die Tiere leben, zunehmend gerodet werden. Denn sobald Waldflächen zugunsten der Landwirtschaft verschwinden, ziehen mehr Menschen in den Lebensraum der Fledermäuse. „Damit nimmt auch die Möglichkeit von Infektionen zu“, betont Olivero. 

Eine ähnliche Wechselwirkung zwischen Abholzung und der Verbreitung von Virenträgern beschreiben Wissenschaftler des Gund Institute für Umweltforschung an der Universität von Vermont in Burlington am Beispiel der Malaria in Brasilien, Madagaskar und anderen Regionen. Die Erreger der Malaria sind keine Viren, sondern Parasiten, sogenannte Plasmodien. Die wiederum werden von der Anophelesmücke übertragen. Aber ähnlich wie im Fall Ebola tragen Rodung und Urbarmachung von Waldgebieten für die Landwirtschaft oder für den Bergbau auch hier zu einer Verbreitung der Krankheit bei. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Anophelesmücke dann bessere Brutbedingungen hat, sich die Krankheitserreger stärker ausbreiten und sich am Ende deutlich mehr Menschen mit Malaria infizieren.

Intensiven Viehwirtschaft kommt eine Schlüsselrolle zu

Auch intensive Viehwirtschaft erhöht das Risiko, dass Viren von Wildtieren über Nutztiere auf den Menschen überspringen. Ein Beispiel dafür ist der erste bekannte Ausbruch des Nipahvirus, das eine aggressive Hirnhautentzündung verursacht und oft zum Tod führt. Benannt ist es nach dem malaysischen Dorf Sungai Nipah, wo es 1998-99 viele Menschen infizierte. Eine umfangreiche Studie der US-Universitäten von Princeton, New Jersey, und Bethesda, Maryland, zeigte im Jahr 2012, dass das Nipahvirus von Fledermäusen über den Zwischenwirt intensiv gehaltene Schweine auf den Menschen übergesprungen ist. Damals veranlassten die malaysischen Behörden die Tötung von Millionen von Schweinen. 

Ein Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) aus dem Jahr 2016 betont, dass der intensiven Viehwirtschaft eine Schlüsselrolle bei der Virenübertragung von Wildtieren auf den Menschen zukommt. „Nutztiere bilden oftmals eine epidemiologische Brücke zwischen Infektionen von Wildtieren und solchen von Menschen“, heißt es dort. Dazu komme, dass sich Nutztiere wie Schweine oder Hühner in großen, intensiv gehaltenen Gruppen genetisch stark ähneln und einem Virus, der eines von ihnen befällt, meist gleichermaßen ausgeliefert sind. 

Aus derlei Erwägungen haben Ellen Johnson-Sirleaf, die von 2006 bis 2018 Präsidentin Liberias war, und Ernest Bai Koroma, der 2007 bis 2018 Präsident Sierra Leones war, kürzlich in einem gemeinsamen Beitrag für die Onlineplattform „African Arguments“ betont, „dass der Erhalt unserer natürlichen Umwelt die Grundlage für unsere Gesundheit und für unsere Wirtschaft ist“.  Sie fordern die Regierungen der Welt auf, bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der Wasser- und Landflächen des Planeten als ökologische Schutzgebiete zu reservieren.

Eine besondere Gefahr für die Entstehung neuer Viren bilden schließlich vor allem in Asien und Afrika verbreitete Märkte, auf denen lebendige oder erst kurz vor dem Verkauf geschlachtete Tiere gehandelt werden (wet markets). Vor allem der Handel mit Wildtieren stellt hier ein besonderes Risiko dar. Weil Menschen und zusammengepferchte Wildtiere dabei auf engstem Raum und unter oft unhaltbaren hygienischen Zuständen zusammenkommen, sind die Märkte gefährliche Virenumschlagplätze, betont Grützmacher. „Dabei spielt auch noch der Stress der Tiere eine Rolle, da Stress das Immunsystem negativ beeinflussen kann – aber auch, dass Arten hier auf engstem Raum zusammenkommen, die in freier Wildbahn keinen oder kaum Kontakt hätten.“ 

Zwar wurden solche Märkte nach 2003 angesichts der SARS-Epidemie vor allem in China von staatlichen Behörden geschlossen. Sobald sich die Gesundheitslage wieder normalisiert hatte, wurden sie aber wieder zugelassen. „Das war ein Riesenfehler“, sagt die Forscherin. Denn der Handel mit Wildtieren ist angesichts der Übertragungsmöglichkeiten von Viren brandgefährlich. Deshalb fordern Wissenschaftler und Umweltschutzorganisationen ein weltweites Verbot eben dieser Märkte. Es geht dabei nicht darum, indigenen Bevölkerungsgruppen, die keine andere Proteinquelle haben, das Jagen für den Eigenbedarf zu verbieten, stellt Grützmacher klar. „Aber der kommerzielle Handel mit Wildtieren auf städtischen Märkten gehört konsequent untersagt.“ China und Vietnam, die schon wenige Monate nach der SARS-Epidemie der Lobby der Wildtierhändler nachgaben und den Handel abermals zuließen, könnten diesmal konsequenter durchgreifen, hofft die Forscherin. 

Mehr Berichte zu den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern finden Sie in unserem Corona-Dossier

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erschienen in Ausgabe 6 / 2020: Kino im Süden
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