"Die zweite Welle ist dramatischer"

REUTERS/Afolabi Sotunde
In Afrika bisher eine Ausnahme: Ein Arzt erhält Anfang März in der nigerianischen Stadt Abuja die erste Dosis seiner Corona-Impfung.
Corona in Afrika
Die zweite Corona-Welle hat Afrika härter getroffen als die erste. Die Tropenärztin Gisela Schneider erklärt, warum viele afrikanische Länder dennoch gelassener mit dem Virus umgehen als im vergangenen Frühjahr.

Gisela Schneider ist Ärztin und leitet seit 2007 das Deutsche Institut für Ärztliche Mission Difäm.
Afrika meldet immer noch vergleichsweise wenige Coronafälle, aber Studien weisen auf eine hohe Dunkelziffer in vielen afrikanischen Ländern hin. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Laut der panafrikanischen Gesundheitsbehörde CDC sind in Afrika bisher mehr als vier Millionen Menschen an Covid-19 erkrankt und etwa 110.000 Menschen gestorben. Damit ist die Mortalitätsrate im Vergleich zu Europa oder den USA deutlich höher. Das zeigt, dass die Dunkelziffer auf dem Kontinent wahrscheinlich sehr groß ist. Für großflächige Tests fehlen in den meisten Ländern die Labore und Schnelltests. Es werden derzeit vor allem Kranke getestet, die in die Gesundheitseinrichtungen kommen. Es erkranken und sterben Menschen in Gemeinden, in denen nie eine Diagnose gestellt wird.

Was berichten Ihre Partnerorganisationen?
Wir hören immer wieder, dass viele Menschen mit Atemnot ins Krankenhaus kommen und an Covid-Symptomen sterben. Anfang März haben wir eine Sprachnachricht von einer Frau aus Kamerun bekommen. Sie hat darum gefleht, dass ihr Vater Zugang zu Sauerstoff bekommt. Die zweite Welle ist dramatischer als die erste. Allerdings gehen die Zahlen seit Ende Februar wieder deutlich zurück.

Warum hat die zweite Welle den Kontinent schlimmer getroffen als die erste?
Das ist schwer zu sagen. Zum einen erleben wir auch in Europa, dass die zweite Welle wesentlich schwerer in den Griff zu bekommen ist. Aus Südafrika wissen wir, dass Mutanten einen Großteil der Neuinfektionen ausmachen. In den meisten Ländern gibt es aber keine Gensequenzanalysen. Wir wissen also nicht, ob auch dort Mutanten unterwegs sind.

Viele afrikanische Regierungen haben zu Beginn der Pandemie im vergangenen Frühjahr auf harte Lockdowns und Grenzschließungen gesetzt. Was hat das gebracht?
Das hat dazu beigetragen, dass die erste Welle so harmlos war. Allerdings waren die indirekten Folgen verheerend. Viele Menschen haben ihren Lebensunterhalt verloren und wissen nicht mehr, wie sie überleben sollen. In manchen Projekten mussten wir wieder anfangen, Lebensmittelpakete zu verteilen. Ich hätte nicht gedacht, dass wir das nochmal machen müssten. Corona wirft viele Länder wieder weit zurück.

Waren die Maßnahmen zur Eindämmung der zweiten Welle auch so strikt?
Viele Regierungen haben das gelassener hingenommen. Als im Frühjahr 2020 die Bilder überfüllter Krankenhäuser aus Europa um die Welt gingen, fühlten sich viele Menschen in Afrika an Ebola erinnert. Das hat sich aber nicht bestätigt. Anders als Ebola ist Covid-19 für sehr viele Menschen keine schwere Krankheit. Unsere Partner aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo betonen immer wieder, dass Corona dort nur ein Problem unter vielen ist. In der Region werden jeden Tag Menschen umgebracht und viele Frauen sterben bei der Geburt, weil die allgemeine Gesundheitsversorgung so schlecht ist. Der ausschließliche Fokus auf Corona ist ein sehr europäischer Blick.

Wie kommen die Gesundheitssysteme in Afrika mit der Pandemie zurecht?
In den meisten Ländern fehlt es an Laboren, Ärzten, Beatmungsgeräten und Sauerstoff. Viele Menschen sterben an Corona, weil sie nicht effektiv behandelt werden können, weil zum Beispiel kein Sauerstoff da ist.  

Leidet die allgemeine Gesundheitsversorgung unter der Pandemie, etwa weil Krankenhäuser überlastet sind oder Lieferketten für Medikamente unterbrochen wurden?
Das ist punktuell so, aber nicht in dem Ausmaß wie ursprünglich befürchtet. Die Lieferketten sind einigermaßen wiederhergestellt. Zum Beispiel läuft die antiretrovirale HIV-Therapie in den meisten Ländern weiter. Das Problem ist eher, dass weniger Menschen überhaupt noch ins Krankenhaus gehen. Durch die pandemiebedingte Wirtschaftskrise können viele Menschen die Gebühren nicht mehr zahlen. Wer während der ersten Welle seinen Job verloren hat und nicht versichert ist, kann sich den Krankenhausaufenthalt oder Arztbesuch einfach nicht leisten.

Welchen Zugang haben afrikanische Länder zu Impfstoffen?
Das ist nicht sehr transparent. Über die von der Weltgesundheitsorganisation angestoßene Covax-Initiative wurden erste Dosen nach Ghana und Côte d'Ivoire geliefert. Zudem hat die Afrikanische Union eigene Impfstoffe bestellt, unter anderem aus China und Russland. Aber im Vergleich zu Europa ist das viel zu wenig. Dabei muss auch in Afrika schnell mit dem Impfen begonnen werden. Es wäre schon viel gewonnen, wenn alle Mitarbeiter des Gesundheitssystems möglichst schnell geimpft würden. Dann müssten Ärzte und Pfleger nicht ständig Angst haben, sich mit Corona zu infizieren. Bei der Impfstoffverteilung braucht es ein globaleres Denken.

Würde es helfen, Patente auszusetzen, um in Afrika schneller Impfstoffe verfügbar zu machen?
Ob es unmittelbar helfen würde, kann ich nicht sagen. Aber um die Produktion global hochzufahren, brauchen wir jetzt Kooperationen und einen Technologietransfer. Bei den HIV-Medikamenten haben wir gesehen, dass eine Aussetzung der Patente für arme Länder geholfen hat. Nur deshalb können indische Generikahersteller heute so viel produzieren, dass 26 Millionen Menschen jeden Tag ihre Medikamente bekommen. Auch in der Corona-Pandemie sollte es darum gehen, wirksame Impfstoffe für alle zur Verfügung zu stellen – nicht um Profite oder Betriebsgeheimnisse.

Das Gespräch führte Moritz Elliesen

Mehr Berichte zu den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern finden Sie in unserem Corona-Dossier

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erschienen in Ausgabe 4 / 2021: Abholzen, abbrennen, absperren
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