Abhängig vom schwarzen Gold

Afolabi Sotunde/REUTERS
Im Gebiet des Nigerdeltas trocknet 2020 eine Frau Stärke aus Maniokwurzeln – hinten wird Erdgas aus der Ölför­derung abgefackelt.
Nigeria
Nigeria setzt weiter auf den Ölexport als wichtigste Einnahmequelle. Dabei wird Klimaschutz weltweit die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen sinken lassen. Mögliche Alternativen vernachlässigt die Regierung.

Philip Jakpor ist besorgt: Er findet, dass afrikanische Staats- und Regierungschefs nicht die Interessen der Afrikaner bei Klimaverhandlungen vertreten, obwohl der Klimawandel sich am stärksten auf Afrika auswirken wird. Jakpor von der Organisation Corporate Accountability International hat neben anderen nigerianischen Umweltaktivisten an der Weltklimakonferenz in Glasgow Ende 2021 teilgenommen. „Unsere Regierungen haben unseren Stimmen kein Gehör verschafft. Sie sind mit ihrer eigenen Agenda in die Gespräche gegangen“, sagt er.

Als Beispiel nennt Jakpor den Präsidenten Nigerias, Muhammadu Buhari. Auf der Konferenz hatte er erklärt, Nigeria verpflichte sich zu Netto-Null-Emissionen bis 2060. Das Pariser Klimaabkommen setzt als Zieljahr dafür jedoch 2050. „Präsident Buharis Versprechen, zehn Jahre nach dem weltweit vereinbarten Termin Netto-Null-Emissionen zu erreichen, ist inakzeptabel“, meint Jakpor. „Der nigerianische Präsident ist zur COP26 gereist, nur um den Zeitpunkt für die Verwirklichung dieses Ziels nach hinten zu schieben – sogar noch hinter das, was die Umweltverschmutzer der industrialisierten Welt vorsehen. Wie ist das zu erklären?“

Kein grüner Plan: Nigerias Präsident Muhammadu Buhari spricht Ende 2021 auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow.

Die Position von Präsident Buhari in Glasgow zeigt, dass Nigeria es nicht eilig hat, sich von der Förderung fossiler Brennstoffe zu verabschieden. Wenn die Nutzung von Öl, Kohle und Gas weltweit ausläuft, wird dies ernste wirtschaftliche Folgen für Nigeria haben. Das Land ist der größte Erdölproduzent Afrikas, mehr als 90 Prozent seiner Exporteinnahmen bringt das schwarze Gold. 

Wochenlang trat giftiges Gas aus

Während Buhari in Glasgow sprach, explodierte in der Nähe des Dorfes Sangana im Nigerdelta eine im Bau befindliche Bohrinsel. Große Mengen giftigen Gases traten aus und zwangen die Bewohner zu fliehen. Das Leck wurde wochenlang nicht geschlossen. Dem einheimischen Unternehmen Conoil, dem die Anlage gehört, wurde vorgeworfen, es sei untätig geblieben.

Dass Conoil nach dem Vorfall zunächst nichts unternommen habe, sei beunruhigend, sagt Morris Alagoa von Environmental Rights Action/Friends of the Earth. „Es ist inakzeptabel, wenn solches Gas in das marine Ökosystem und die Atmosphäre entweicht. Es ist schädlich für die Umwelt – für die Gesundheit von Menschen und für Wasserlebewesen.“

Einen Tag nach der Explosion auf der Conoil-Offshore-Bohrinsel ereignete sich im selben Gebiet ein ähnlicher Vorfall an einer Erdölquelle der Firma Aiteo Exploration and Production. 38 Tage lang traten Öl und Gas aus. Nach Angaben der Regierung des Bundesstaates Bayelsa sind etwa zwei Millionen Barrel Rohöl in die Umwelt gelangt. 

Einer der am stärksten verseuchten Orte der Welt

Autor

Sam Olukoya

ist freier Journalist im nigerianischen Lagos.
Umweltverschmutzung ist in Nigerias Nigerdelta, wo der Großteil der Ölvorkommen des Landes gefördert wird, keine Seltenheit. Einige der größten Ölgesellschaften der Welt, darunter Royal Dutch Shell, das US-Unternehmen Chevron Corporation und der französische Konzern Total-Energies sind dort tätig. Laut Kritikern haben etwa fünf Jahrzehnte voller Ölunfälle und Abfackeln von Gas das Nigerdelta zu einem der am stärksten verseuchten Orte der Welt gemacht. 

Das Delta ist ein großes Feuchtgebiet, das hauptsächlich aus Mangrovenwäldern, Süßwassersümpfen und Tieflandwald besteht. Es ist einer der Brennpunkte der Artenvielfalt in der Welt. Während es in der gesamten Europäischen Union in vierzig Jahren zehn Unfälle mit Ölaustritt gab, wurden im Nigerdelta im gleichen Zeitraum fast 9500 registriert, von denen die meisten auf gebrochene Leitungen zurückzuführen sind. 

Ein weiteres großes Umweltproblem im Nigerdelta ist, dass die Ölkonzerne das Gas abfackeln, das mit dem Rohöl austritt. Die in Nigeria tätigen Ölgesellschaften fackeln weltweit die größte Gasmenge ab. Riesige Feuerbälle, die in den Himmel steigen, sind überall im Nigerdelta zu sehen. Sie setzen Treibhausgase frei und gefährden auch die Gesundheit der Bewohner der Region.  

Aktivisten fordern, dass Nigeria die Ölförderung einstellt

Die Situation im Nigerdelta ist ein klassisches Beispiel dafür, wie als Folge der Gewinnung fossiler Brennstoffe die Umwelt verschmutzt wird. Aktivisten wie Jakpor und Alagoa fordern, dass Nigeria die Ölförderung einstellt und so zur Verminderung der Treibhausgasemissionen beiträgt. Nigeria will jedoch die Investitionen in diese Industrie erhöhen. Im vergangenen Jahr wurde das Gesetz über die Erdölindustrie (Petroleum Industry Bill) in Kraft gesetzt, das die nigerianische Ölindustrie für Investoren attraktiver machen soll. Außerdem wird in Nordnigeria, wo bislang keine Erdölvorkommen bekannt sind, aggressiv nach Öl gesucht. Im Nigerdelta läuft die Ölförderung weiter, und nichts deutet darauf hin, dass sie in nächster Zeit sinken wird. In Lagos, Nigerias kommerziellem Zentrum, wird eine 15 Milliarden US-Dollar teure Ölraffinerie gebaut, die nach Fertigstellung täglich etwa 650.000 Barrel Rohöl verarbeiten soll – sowohl für den heimischen Markt als auch für den Export. 

Nigeria möchte die Ölproduktion so lange wie möglich aufrechterhalten, da das Land stark von den Öleinnahmen abhängig ist. „Nigeria tut nicht genug, um sich aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu befreien, und das hat sehr gefährliche Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschen“, sagte Jakpor und fügte hinzu: „Es geht nur ums Geschäft, es geht nur um die Einnahmen.“

Nigeria will Investitionen in die Ölindustrie just zu einer Zeit anlocken, in der einige große westliche Unternehmen – insbesondere Royal Dutch Shell – ihre Förderung an Land im Nigerdelta herunterfahren und ins Offshore-Geschäft wechseln. Umweltschützer gehen aber nicht davon aus, dass diese Unternehmen sich in absehbarer Zeit aus Nigeria zurückziehen wollen. „Sie stellen ihre Förderung an Land nicht ein, weil sie uns oder unsere Umwelt lieben. Sie ziehen sich zurück, weil sie an Land so viel Schaden angerichtet haben. Jetzt wollen sie vor der Küste fördern, wo ihre Geschäfte kaum überwacht werden können“, sagte Jakpor. 

Sich der Wirklichkeit stellen

Der Wirtschaftswissenschaftler Waidi Gbenro Adebayo von der Covenant-Universität in Nigeria meint, das Land werde angesichts der Bedeutung des Erdöls für seine Volkswirtschaft versuchen, die Öleinnahmen so lange wie möglich für Entwicklung zu nutzen, bis die internationale Klimapolitik dies unmöglich macht. Dagegen sagt Sylvester Odion-Akhaine vom Fachbereich Politikwissenschaft der Lagos State Universität, Nigeria müsse c: Es könne sich nicht ewig auf die Erdöleinnahmen verlassen, um seine Wirtschaft in Gang zu halten. „Neue Technologien wie das Elektroauto sowie die Notwendigkeit, für eine sauberere Umwelt zu sorgen, beeinträchtigen die Aussichten der Ölindus­trie. Sie kann nicht mehr lange eine Haupteinnahmequelle für Nigeria bleiben“, so Odion-Akhaine. 

Nigeria wird sich anstrengen müssen, einen Ausfall von Öleinnahmen zu kompensieren. Adebayo sieht in der Landwirtschaft Hoffnung für die Zeit nach dem Öl. „In agrarische Wertschöpfungsketten kann viel investiert werden, wenn das Land mehr auf den Export von verarbeiteten oder teilverarbeiteten Produkten setzt“, sagt er. Seiner Ansicht nach sollten zum Beispiel Anlagen errichtet werden, um Kakao zu Schokolade zu verarbeiten, statt ihn roh zu exportieren. 

Vor dem Ölboom in den 1970er Jahren stützte sich Nigeria stark auf die Landwirtschaft – dann wurde sie zugunsten des schnellen Geldes aus dem Öl aufgegeben. Heute wird Ackerbau weitgehend auf Subsistenzniveau betrieben und manche Bauernfamilien haben sogar Mühe, sich selbst zu ernähren. In Nigeria gibt es viel ungenutztes Land, daher denken viele, dass mehr großflächiger Anbau kaum Auswirkungen auf die Kleinbauern haben würde.

Bewaffnete Gruppen bedrohen die Bauern

Doch eine Ausweitung der Großlandwirtschaft wird unter anderem von Rinderhirten aus der Volksgruppe der Fulani behindert. Angesichts der Armut, die durch vom Klimawandel verursachte Dürren verschlimmert wird, haben die Viehhirten ihre traditionelle Lebensweise aufgegeben und bewaffnete Gruppen gebildet, die im örtlichen Sprachgebrauch Banditen genannt werden. Sie stecken hinter den jüngsten Massenentführungen von Schulkindern, mit denen Lösegeld erpresst werden soll, und haben in letzter Zeit auch Menschen auf Farmen getötet und entführt. Viele sahen sich dadurch gezwungen, die Landwirtschaft aufzugeben. Betroffen sind sowohl Klein- als auch Großbauern. 

Ein Hirte vom Volk der Fulani führt sein Vieh über ein Bauerngehöft. Banden von verarmten Fulani ­schädigen die Landwirtschaft in Teilen Nigerias.

Die Bedrohung durch die Fulanis könnte Nigeria hindern, ausreichend große Erträge aus der Landwirtschaft zu erzielen, wenn es schließlich seine Ölexporte reduziert. Der Politologe Sylvester Odion-Akhaine warnt vor ernsten Folgen, sollte es Nigeria nicht gelingen, sinkende Öleinnahmen auszugleichen. Dann wird das Ausmaß der Armut noch erheblich zunehmen und Nigeria könnte in eine tiefe Krise rutschen, befürchtet Odion-Akhaine. 

Trotz Erlösen aus dem Ölgeschäft von zurzeit mehreren Milliarden US-Dollar jährlich ist die Mehrheit der Nigerianer nach wie vor arm. Denn in den Behörden ist Korruption weit verbreitet und staatliche Gelder landen in privaten Taschen. Und der bevölkerungsreichste Staat Afrikas mit mehr als 200 Millionen Einwohnern ist in einen überwiegend christlichen Süden und einen überwiegend muslimischen Norden geteilt. Das Treiben muslimischer Gruppen aus dem Norden wie Boko Haram und von Fulani-Gruppen im Süden hat den Ruf nach einer Aufteilung des Landes laut werden lassen. Viele Yoruba und Igbo im Süden sagen, dass sie nicht länger mit den Muslimen im Norden leben können. Wenn Nigeria einen Rückgang der Öleinnahmen nicht ausgleichen könne, müsse es entweder eine echte föderale Struktur annehmen oder sich auf einen Zusammenbruch einstellen, warnt Odion-Akhaine.

Aus dem Englischen von Anja Ruf.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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