„Beim Klimaschutz schneidet die Schweiz ganz schlecht ab“

picture alliance/KEYSTONE/PETER KLAUNZER
Im September 2020 demonstrieren Aktivistinnen und Aktivisten auf dem Bundesplatz in Bern: Sie finden die Klimapolitik der Schweiz unzureichend.
Alliance Sud
Andreas Missbach, der neue Geschäftsleiter der NGO-Koalition Alliance Sud, über die Entwicklungspolitik der Schweiz und erfolgreiche Kampagnen der Zivilgesellschaft.

Andreas Missbach ist seit Januar 2022 neuer Geschäftsleiter von Alliance Sud. Davor war er bei der Erklärung von Bern, der heutigen Public Eye, in verschiedenen Fachbereichen tätig, zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter der Abteilung Rohstoff- Handel-Finanzen.
Die irreguläre Migration zu reduzieren und Arbeitsplätze zu schaffen, sind zwei Schwerpunkte der Strategie 2021–24 der Entwicklungshilfe der Schweiz. Wie beurteilen Sie diesen Kurs?
Meine Kritik ist, dass sie den Eigeninteressen der Schweiz zu viel Platz einräumt, etwa den migrationspolitischen Interessen, aber auch den Interessen der Schweizer Wirtschaft. Nationalegoismus statt globale Gerechtigkeit ist kein guter Ansatz für die internationale Zusammenarbeit. Auch die starke Ausrichtung auf den Privatsektor ist kritisch zu betrachten. 

Der Privatsektor stellt weltweit neun von zehn Arbeitsplätzen bereit. Ist da eine Kooperation nicht unabdingbar?
Natürlich spielt der Privatsektor eine wichtige Rolle. Auch NGOs schaffen Arbeitsplätze und Einkommen und auch sie haben schon immer mit kleinen und mittleren Unternehmen zusammengearbeitet. Aber nicht jeder Arbeitsplatz, den Schweizer Unternehmen im Ausland schaffen, ist ein neuer Arbeitsplatz, und nicht jeder Arbeitsplatz ist ein guter Arbeitsplatz. 

Was fordern Sie?
Die Schweiz sollte stärker prüfen, mit wem sie kooperiert. Momentan ist alles dabei, von kleinen und mittleren Unternehmen bis hin zu multinationalen Konzernen wie Nestlé, Finanzinstituten oder Hedgefonds. Es fehlen klare Kriterien, Transparenz über die Kooperationen und dasselbe rigorose Monitoring und die Erfolgskontrolle, wie es von NGOs auch erwartet wird.

Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung bildet den Referenzrahmen der Strategie 2021−24. Wo steht die Schweiz aktuell bei der Umsetzung der Ziele?
Die Schweiz ist mit zwei Ausnahmen – Armutsbekämpfung im eigenen Land und Zugang zu nachhaltiger und moderner Energie – im orangen oder roten Bereich, das heißt, sie hat Nachholbedarf. Ganz schlecht schneidet sie bei den Zielen ab, die den Klimawandel, den Konsum und die Produktion betreffen. Das sind alles Bereiche, in denen die Schweiz einen großen Einfluss auf den Süden hat. Alliance Sud fordert seit Jahren mehr Kohärenz der Handels-, Wirtschafts-, und Finanzpolitik mit den Nachhaltigkeitszielen, damit die Schweiz weltverträglich wird.

Alliance Sud hat letztes Jahr das 50-jährige Jubiläum gefeiert. Welche Erfolge waren rückblickend besonders prägend?
Ein Beispiel ist die 1989 lancierte und in der Schweiz von Alliance Sud koordinierte Petition „Entwicklung braucht Entschuldung“. Die führte 1991 zum Beschluss der Regierung, hoch verschuldeten Ländern insgesamt 500 Millionen Franken Schulden zu erlassen. Oder 2007, als Alliance Sud ein Bündnis von über 70 Organisationen koordinierte und mit einer Petition forderte, das Entwicklungshilfebudget auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen. Die Petition wurde mit mehr als 200.000 Unterschriften eingereicht und hat dazu geführt, dass die öffentliche Entwicklungshilfe von 0,39 Prozent im Jahr 2010 bis 2020 auf 0,48 Prozent des BNE gestiegen ist. Jüngster Erfolg war natürlich die große Mobilisierung der Zivilgesellschaft bei der 2015 lancierten Konzernverantwortungsinitiative.

Alliance Sud hat seit Anfang des Jahres mit Solidar Suisse und Terre des hommes zwei neue Mitglieder und mit Ihnen einen neuen Geschäftsleiter. Gibt es auch eine neue Ausrichtung?
Aktuell erarbeiten wir eine neue Strategie, die voraussichtlich in einem halben Jahr erscheinen soll. Die Schwerpunkte, vor allem im Bereich der Finanz-, Handels- und Steuerpolitik, werden bleiben. Das sind Themen, bei denen die Schweizer Außenwirtschaftspolitik große Schwachstellen aufweist. Auch setzen wir uns weiterhin für mehr Verantwortung der Schweiz als Konzernstandort und in der Klimapolitik ein. Und natürlich fordern wir, dass die Entwicklungszusammenarbeit nicht die Interessen der Schweiz, sondern die Bedürfnisse der Ärmsten im Fokus hat und der Umsetzung der Agenda 2030 dient. 

Das Gespräch führte Samanta Siegfried. 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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