Die Ukraine kriegt am meisten

REUTERS/Kai Pfaffenbach
Flüchtlinge aus der Ukraine in einer vorübergehenden Unterkunft im hessischen Hanau. Die OECD-Länder können unter anderem die Unterbringung von Flüchtlingen als Entwicklungshilfe anrechnen. Auch aus diesem Grund sind 2022 überall die ODA-Zahlen gestiegen.
Entwicklungshilfe
Die wichtigsten westlichen Geberländer haben im vergangenen Jahr so viel an Entwicklungshilfe geleistet wie noch nie. Ein Großteil des Anstiegs geht auf Hilfe für die Ukraine und die Unterbringung von Geflüchteten zurück – auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Die rund 30 Mitglieder des Entwicklungsausschusses (DAC) der Industrieländerorganisation OECD haben im vergangenen Jahr rund 204 Milliarden US-Dollar an öffentlicher Entwicklungshilfe (ODA) bereitgestellt. Das waren gut 13 Prozent mehr als im Jahr 2021. Der Anteil der Hilfe an der Wirtschaftsleistung der Geber, die sogenannten ODA-Quote, stieg laut OECD von 0,33 Prozent auf 0,36 Prozent und lag damit weiterhin deutlich unter dem international vereinbarten Zielwert von 0,7 Prozent.  

Ein großer Teil des Anstiegs geht auf die Unterbringung von Geflüchteten aus aller Welt in den Geberländern zurück; die Kosten dafür können sich die Geber teilweise als ODA anrechnen lassen. Insgesamt 29,3 Milliarden Dollar oder 14,4 Prozent der gesamten Entwicklungshilfe entfielen 2022 auf diesen Posten – mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2021, als die Geber knapp 13 Milliarden Dollar Flüchtlingskosten in Rechnung gestellt hatten.

Der Anstieg der Flüchtlingskosten ist eine Folge des Krieges in der Ukraine. Österreich etwa hat im vergangenen Jahr insgesamt 353 Millionen Euro an Flüchtlingskosten in seiner ODA-Statistik ausgewiesen, drei Viertel davon (264 Millionen Euro) entfallen auf die Unterbringung und Versorgung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Insgesamt hat Österreich im vergangenen Jahr seine Entwicklungshilfe gegenüber 2021 von 1,24 Milliarden auf 1,75 Milliarden Euro gesteigert. Das entspricht einer ODA-Quote von 0,39 Prozent, rund 0,08 Prozent mehr als im Vorjahr.

Deutschland übertrifft die Zielmarke von 0,7 Prozent

Deutschland erreichte im vergangenen Jahr eine ODA-Quote von 0,83 Prozent und hat damit neben Dänemark, Luxemburg und Schweden als eines von vier EU-Ländern die Zielmarke von 0,7 Prozent übertroffen. Insgesamt hat Deutschland 33,3 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe bereitgestellt; die Summe umfasst neben den Leistungen des Entwicklungsministeriums (BMZ) auch die humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amts und die Entwicklungszusammenarbeit von Bundesländern und Kommunen. Auch in Deutschland geht der Anstieg allerdings vor allem auf den Anstieg der Flüchtlingskosten von 2,3 Milliarden auf 4,3 Milliarden Euro zurück, auch hier ein großer Teil für Geflüchtete aus der Ukraine. Ohne Berücksichtigung der Flüchtlingskosten läge Deutschlands ODA-Quote für das Jahr 2022 nach Angaben des BMZ bei 0,74 Prozent.

In der Schweiz lag die ODA-Quote im 2022 bei 0,56 Prozent gegenüber 0,5 Prozent im Jahr 2021. Ohne Flüchtlingskosten, die im vergangenen Jahr ein Viertel der gesamten Schweizer Entwicklungshilfe ausgemacht haben, hätte sie allerdings nur bei 0,4 Prozent gelegen. Auf die Unterbringung ukrainischer Geflüchteter entfielen rund 60 Prozent der von der Schweiz angerechneten Flüchtlingskosten.

Bilaterale Hilfe für Afrika ist gesunken

Auch die Hilfe aller DAC-Geber für die Ukraine selbst ist laut OECD von 918 Millionen US-Dollar 2021 um das Sechzehnfache auf 16,1 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr gestiegen; sie hatte damit (ohne Flüchtlingskosten) einen Anteil von knapp acht Prozent an der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe der DAC-Geber. Gleichzeitig sank die bilaterale Hilfe für Afrika im Vergleich zum Vorjahr um 7,4 Prozent auf 34 Milliarden Dollar. Davon entfielen rund 29 Milliarden Dollar auf die Länder südlich der Sahara, was einem Rückgang von 7,8 Prozent entspricht. Die Schweiz etwa hat im vergangenen Jahr allein für die Ukraine 911 Millionen Franken bereitgestellt (inklusive Kosten für ukrainische Flüchtlinge) und damit fast genauso viel wie für alle Länder in Asien und in Afrika zusammen.

Andreas Missbach, der Geschäftsführer von Alliance Sud, dem Netzwerk Schweizer Hilfswerke, kritisierte gegenüber Radio SRF eine Ankündigung von Außenminister Ignazio Cassis, dass in den Jahren 2025 bis 2028 zwischen fünf und zehn Prozent der Entwicklungshilfe für die Ukraine reserviert werden soll. Missbach fürchtet, dass das zu Lasten anderer Länder und Regionen im globalen Süden gehen könnte. Das Schweizer Außenamt EDA widerspricht: Weil sich die Schweiz aus Lateinamerika zurückziehe, würden zusätzliche Gelder für andere Regionen frei.

Kritiker warnen vor Rückgang der ODA-Quote

Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, in denen die Entwicklungshilfe auch abzüglich der Flüchtlingskosten gestiegen ist. Entwicklungsministerin Svenja Schulze erklärte, die Zahlen zeigten, dass Deutschland Verantwortung übernehme. In diesen konfrontativen Zeiten sei es wichtig, dass Deutschland präsent bleibe und mit Partnern an globalen Lösungen arbeite. Aus der Zivilgesellschaft kam dennoch Kritik, vor allem mit Blick auf die weitere Finanzplanung der Bundesregierung: Da zeichnet sich laut dem Dachverband nämlich ein Rückgang der ODA-Quote auf 0,66 Prozent ab. 

In Österreich begrüßte Lukas Wank, der Geschäftsführer des NGO-Dachverbandes Globale Verantwortung, mit leichter Ironie die Steigerung der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit: Mit dem Plus von 0,08 Prozent gegenüber 2021 mache die Bundesregierung „endlich einen merkbaren Schritt“ auf die international vereinbarte 0,7-Prozent-Quote zu – auch wenn der Zuwachs allein den Mehrausgaben für Ukraine-Flüchtlinge geschuldet sei, mit Entwicklung also wenig zu tun habe. 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2023: In der Stadt zu Hause
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