Aggressive Unfähigkeit

Äthiopien
In Äthiopien eskaliert erneut die Gewalt, diesmal zwischen Milizen in der Region Amhara und der Armee. Die Regierung hat keinen Plan, wie sie den Vielvölkerstaat einen soll, und die Geber schauen weg, kritisiert Tillmann Elliesen.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei "welt-sichten".

In Äthiopien wird wieder geschossen, bombardiert und getötet. Dieses Mal nicht im Bundesstaat Tigray, sondern im benachbarten Amhara. Dort hatten Anfang August Milizen einige Städte besetzt und Posten der äthiopischen Armee attackiert. Das Militär schlug brutal zurück, tötete eine unbekannte Zahl an Zivilisten, die Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed verhängte im ganzen Land den Notstand. Die äthiopische Menschenrechtskommission und internationale Menschenrechtsorganisationen berichten, es würden massenhaft Amharen verhaftet; die Regierung streitet das ab. 

Bereits im April waren Unruhen aufgeflammt, nachdem die Regierung angekündigt hatte, Milizen in den Regionalstaaten wie die in Amhara würden aufgelöst und in die äthiopische Armee integriert. Das hat zum einen mit dem Plan von Ministerpräsident Abiy zu tun, den äthiopischen Zentralstaat auf Kosten der Regionalstaaten zu stärken. Zum anderen hat es mit dem Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung und der Tigray-Volksbefreiungsfront TPLF vom November 2022 zu tun. Im zweijährigen Krieg gegen die TPLF haben amharische Milizen auf Seiten der Regierung gekämpft und die Gelegenheit genutzt, den Westen von Tigray zu besetzen, der nach Ansicht amharischer Nationalisten zu Amhara gehört. 

Lücken im Friedensabkommen

Laut dem Abkommen soll die Frage der umstrittenen Gebiete auf Grundlage der äthiopischen Verfassung geregelt werden. Was das heißt und ob sich dafür die amharischen Besatzer vorher zurückziehen müssen, ist unklar – in den Friedensverhandlungen, an denen Amhara nicht beteiligt war, wurde das vertagt. Die Ankündigung der Regierung, die Milizen sollten nun aufgelöst werden, wird in Amhara als Versuch gewertet, das Problem auf diese Weise ohne Zustimmung von Amhara zu lösen. Um das zu verhindern, richten die Milizen dort nun ihre Waffen gegen die einstigen Verbündeten von der äthiopischen Armee – und Ministerpräsident Abiy Ahmed fällt auf die Füße, dass er Amhara an den Friedensverhandlungen mit der TPLF nicht beteiligt hat und der Konflikt um den Westen von Tigray im Waffenstillstandsabkommen ignoriert wurde.

Es ist tragisch: Abiy Ahmed ist vor fünf Jahren angetreten, Äthiopien zu liberalisieren und zu einen. Aber immer wieder stellt sich heraus: Er hat keinen Plan und die Fliehkräfte im Vielvölkerstaat offenbar von Beginn an unterschätzt. Wenn er auf Widerstand stößt, der häufig durch seine politischen Fehler angefacht wird, greift er stets auf brutale Gewalt zurück – so wie jetzt in Amhara. Erst am vergangenen Sonntag wurden bei einem Luftangriff der äthiopischen Armee auf eine amharische Stadt 26 Menschen getötet. Im schlimmsten Fall könnte der Konflikt als Folge von Abiys aggressiver Unfähigkeit zu einem Krieg eskalieren wie vor drei Jahren in Tigray.

Die Gewalt in Amhara sollte auch die internationalen Geber wie die USA, die Europäische Union und ihre Mitglieder veranlassen, ihren Kurs gegenüber der äthiopischen Regierung zu überdenken. Viel zu schnell haben sie Abiy Ahmed nach dem Abkommen mit der TPLF signalisiert, die Beziehungen könnten nun wieder normalisiert werden. Aus Furcht, Russland und China könnten sich am Horn von Afrika breit machen, setzen sie auf Annäherung zu Addis Abeba und schauen nicht so genau hin, etwa wenn es um die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Tigray geht. Dabei steht auch dort der Frieden bestenfalls auf tönernen Füßen.

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