Stolz und Vorurteile

Herausgeberkolumne
Die Schweiz will die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit drastisch kürzen – und begründet dies mit Argumenten voller Vorurteile. Die Realität sieht anders aus: Im Senegal beispielsweise erreicht Fastenaktion mit wenig Geld eindrückliche Veränderungen.

Bernd Nilles ist Geschäftsleiter von Fastenaktion.

Dutzende Frauen bilden einen Kreis. Auch für mich, den Gast aus der Schweiz, ist Platz. In der Mitte befindet sich eine Kalebasse – eine Schale mit einem Tuch darüber. Alle legen nun nacheinander im Rahmen ihrer Möglichkeiten Münzen oder Scheine in die Kalebasse, verdeckt unter dem Tuch, so dass niemand sieht, wer wie viel Geld hineinlegt. Was als System zum regelmäßigen Sparen begann, ist heute viel mehr. Solidaritätsgruppen wie diese legen nicht nur Geld für schlechte Zeiten zurück, sie investieren und organisieren auch gemeinsam Einkäufe, und ihre Mitglieder helfen sich gegenseitig. Über die Jahre haben die Gruppen im Senegal immer größere Netzwerke entwickelt. Sie bilden Einkaufsgemeinschaften, die niedrigere Preise für Saatgut, Nahrungsmittel oder Hygieneprodukte aushandeln. Auch erhalten sie einen besseren Zugang zu Land, Gesundheitsversorgung und Bildung, und sie nehmen Einfluss auf die Lokalpolitik. 

Die Partnerorganisationen von Fastenaktion erhalten jährlich etwa 700.000 Franken für den Aufbau, die Ausbildung und die Begleitung der Gruppen und Netzwerke – und erreichen damit in etwa ebenso viele Menschen. Inzwischen haben die mithilfe von Fastenaktion gegründeten senegalesischen Solidaritätsgruppen mit ihrem eigenen Geld mehr als eine Million Franken an Spar- und Investitionskapital gebildet. Ganze Familien entkommen der extremen Armut, können sich ausreichend und gesund ernähren – und für eine bessere Zukunft planen. Zu Beginn werden sie durch Partnerorganisationen von Fastenaktion ausgebildet, mit der Zeit jedoch übernehmen sie diese Aufgabe selbst, gegenseitig in Netzwerken.

Mittlerweile gibt es Solidaritätsgruppen in fast allen Regionen des Landes. Eine aktuelle Studie von Swisspeace zeigt zudem, dass sie maßgeblich zu einem friedlichen Zusammenleben beitragen und damit zur Stabilität der Gesellschaft in einer Region mit vielen Konflikten. Perspektiven im eigenen Land können oft eine gefährliche Flucht abwenden. Nicht ohne Grund würdigt auch die senegalesische Regierung diese Arbeit und hat Unterstützung zugesagt. 

Die Entwicklungszusammenarbeit auf der Schlachtbank

Mit all diesen positiven Eindrücken kehrte ich von meiner Reise nach Senegal zurück in die Schweiz – nur um mitzuerleben, wie nun Bundesrat und Parlament die Entwicklungszusammenarbeit auf die Schlachtbank treiben. Man brauche das Geld für die Ukraine und die Armee. Außerdem seien die Entwicklungsprojekte ohnehin nicht nachhaltig. Die nichtstaatlichen Gruppen, über die fünf Prozent der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt würden, seien zudem zu politisch. Sie und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) seien nicht wirksam genug. 
Was für ein Widerspruch zur Realität der stolzen Solidaritätsgruppen und ihrer erfolgreichen, nachhaltigen Arbeit! Falls die geplanten Kürzungen der Entwicklungszusammenarbeit vom Parlament beschlossen werden, drohen den Schweizer Hilfswerken Abstriche in Millionenhöhe. Gute Arbeit würde zerstört und Millionen Menschen weiter in Armut bleiben oder dorthin zurückgedrängt. 

Im Senegal erreichen wir für nur einen Franken pro Kopf und Jahr all die gewünschten positiven Effekte. Jeder gekürzte Franken verhindert also, einen weiteren Menschen mit den Solidaritätsgruppen zu vernetzen und so nachhaltig vor Armut und Hunger zu schützen. 

Hochgerechnet auf die vielen anderen Projekte der DEZA und der Hilfswerke, träfen die starken Kürzungen Millionen von Menschen. Das ist weder nachhaltig noch ethisch vertretbar. Es würde Konflikte verschärfen, den Migrationsdruck aus diesen Ländern weiter erhöhen und dem guten Ruf der Schweiz in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit erheblichen Schaden zufügen. Fasten­aktion setzt sich deshalb gemeinsam mit vielen anderen dafür ein, dass diese Kürzungspläne im Parlament abgelehnt werden.  

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erschienen in Ausgabe 5 / 2024: Vorsicht Subkultur!
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