Zu Besuch auf dem Pulverfass

Mitte Mai hat ein zehnköpfiges Team des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) Nigeria besucht und sich über die Hintergründe der immer wieder aufflammenden Konflikte zwischen Christen und Muslimen informiert. Anlass waren die Massaker, bei denen Anfang März in zwei christlichen Dörfern im Bundesstaat Plateau mehr als 500 Menschen getötet wurden.

Seit einigen Jahren schickt der ÖRK nicht nur offizielle Kondolenzschreiben in Krisenregionen, sondern immer wieder auch kleine ökumenische Teams, die „Lebende Briefe“ genannt werden. „Unser Besuch sollte ein Zeichen an die Menschen vor Ort sein, dass die weltweite Kirche Anteil nimmt an ihrem Leid“, erklärt Oberkirchenrat Volker Faigle, der bei der Reise die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vertreten hat. Gemeinsam mit den Hinterbliebenen habe die Gruppe in einem Dorf an einem der Massengräber gebetet. Faigle ist im Verbindungsbüro der EKD zur Bundesregierung unter anderem für Außenpolitik und den Dialog der Religionen zuständig.

Immer wieder ist es in den vergangenen Jahren in Nigeria zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen gekommen (siehe welt-sichten 5/2009, S. 27). Diese Konflikte sind allerdings nur auf den ersten Blick auf religiöse Spannungen zurückzuführen. Tatsächlich rufen wirtschaftliche, soziale und politische Probleme die Gewalt hervor. Nur die herrschende Elite profitiert von dem Rohstoffreichtum des Landes, der Großteil der Bevölkerung lebt in Armut – ein Nährboden, auf dem sich gewaltsame Auseinandersetzungen leicht entfachen lassen.

Die Gewalt hat viele Ursachen, die Religion ist der Nährboden

„Hinter den Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen steckt oft ein ganzes Bündel von Problemen“, betont auch Hans Spitzeck, Referent beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). „Wenn es allerdings zu Spannungen kommt, dann entladen diese sich an religiösen oder ethnischen Grenzen.“ Insgesamt wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Regierung endlich zu einer Politik der sozialen Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit entschlösse, sagt Spitzeck, der die Mission des ÖRK in Nigeria begrüßt. Solche Besuche hätten zwar vor allem Symbolcharakter, ihre Wirkung dürfe aber nicht unterschätzt werden. Sie könnten internationale Aufmerksamkeit schaffen und vor Ort zur Entspannung beitragen.

Viele Nigerianer seien innerlich zerrissen, sagt Spitzeck: „Die Menschen schwanken zwischen dem Wunsch nach Versöhnung und Frieden auf der einen Seite sowie Wut, Angst und dem Ruf nach Rache andererseits.“ Das kann Faigle bestätigen. „Auch die lokalen Kirchen sind traumatisiert“, sagt er. Manche Pfarrer fänden angesichts der Massaker in ihren Predigten nur schwer Worte der Versöhnung. Doch Pfarrer und Imame könnten in den Sonntagsgottesdiensten und den Freitagsgebeten mittels einer entsprechenden Predigtsprache zum Frieden beitragen, sagt Faigle. Der Dialog zwischen den Religionen müsse in Nigeria stärker gefördert werden.

Der ÖRK stehe dabei „nicht auf der einen oder der anderen Seite“, betont Faigle. „Wir müssen mit allen friedliebenden Partnern in beiden Religionen reden und beide Seiten zum Dialog auffordern.“ So könne vermieden werden, dass der Besuch des ökumenischen Teams von christlicher Seite als „spirituelle Aufrüstung gegenüber den muslimischen Nachbarn“ instrumentalisiert werde.

Etwa die Hälfte der 140 Millionen Nigerianer ist muslimischen Glaubens, 40 Prozent sind Christen und 10 Prozent werden als Anhänger von traditionellen afrikanischen Religionen ausgewiesen. Der Norden des Landes ist überwiegend muslimisch geprägt, die Christen leben vor allem im Süden. In den vergangenen Jahrzehnten haben Migrationsbewegungen innerhalb des Landes jedoch zu einer religiösen und ethnischen Mischung der Bevölkerung geführt.

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2010: Andenländer, alte Kulturen neue Politik
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