Beim Besuch der Redaktion Ende Januar in Chiang Mai im Norden von Thailand ahnt noch niemand, dass Myanmar zwei Monate später von einem verheerenden Erdbeben erschüttert wird, das Tausende Tote fordert. Dabei leiden die Menschen in dem südostasiatischen Land ohnehin schon seit Jahren unter einer brutalen Militärdiktatur und einem Bürgerkrieg. Deshalb leben und arbeiten viele unabhängige Journalistinnen und Journalisten im Exil in Chiang Mai.
Kyaw Zwa Moe ist einer von ihnen. Von Chiang Mai aus leitet er die englischsprachige Redaktion von „The Irrawaddy“, benannt nach dem größten Fluss Myanmars. Die Nachrichtenseite berichtet auf Burmesisch und Englisch über Myanmar. „Seit dem Erdbeben haben wir mehr Arbeit als jemals zuvor“, schreibt er Ende April per Mail. „Wir hatten wegen großflächiger Strom- und Internetausfälle vorübergehend keinen Kontakt zu einigen unserer Reporter.“ Selbst in Yangon, der größten Stadt des Landes, die nicht vom Erdbeben betroffen war, sei die Stromversorgung jetzt instabiler als vorher. „Das erschwert es unseren Reportern zusätzlich, Informationen zu sammeln und Artikel zu verfassen“, sagt Kyaw Zwa Moe.
Beim Besuch in der Redaktion sitzt der zierliche Mann von Anfang fünfzig vor einer Wand mit etlichen eingerahmten Titelseiten des „The Irrawaddy“ und trinkt grünen Tee. Gerade hat er mit seinem Redaktionsteam konferiert, drei Teammitglieder saßen am Konferenztisch, der Rest war zugeschaltet. Gesprochen haben sie über verschlüsselte Messenger, denn einige arbeiten im Verborgenen in Myanmar. „Sie sind immer in Gefahr und könnten jederzeit verhaftet werden“, sagt Kyaw Zwa Moe. „Sicherheit ist das Wichtigste.“
Arbeit in Thailand und Rückkehr nach Myanmar
„The Irrawaddy“ hat rund 40 Mitarbeitende – in Myanmar und im Exil in Thailand, in Kambodscha und in Europa. Das Redaktionsbüro befindet sich außerhalb des Zentrums von Chiang Mai in einer ehemaligen Lagerhalle, in die das Team sechs Räume und ein kleines Studio für Podcast-Produktionen eingerichtet hat. Das Magazin gibt es seit 1993. Es wurde von burmesischen Aktivisten gegründet, die nach der blutigen Niederschlagung der Studierendenproteste durch das Militärregime 1988 aus Myanmar nach Thailand geflohen waren.
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Anfangs erschien die Zeitschrift nur auf Englisch und sollte das Ausland über die Geschehnisse in dem abgeschotteten Land informieren. Kyaw Zwa Moe stieß später dazu. Auch er hatte sich 1988 – mit 16 Jahren – der Demokratiebewegung angeschlossen. Mit 19 wurde er verhaftet und für acht Jahre eingesperrt. Nach seiner Freilassung ging er ins Exil nach Thailand und zu „The Irrawaddy“ in Chiang Mai. Unabhängiger Journalismus wurde sein Werkzeug im Kampf für die Demokratie.
Ab 2012 verhandelte das Regime auf Druck des Westens über einen demokratischen Wandel – es ließ Wahlen zu und lockerte die Zensur. Ehemalige politisch Verfolgte wie Kyaw Zwa Moe durften zurückkehren. Nach einigen Kurzbesuchen und gründlicher Überlegung kündigte die Redaktion des „The Irrawaddy“ ihr Büro im Zentrum von Chiang Mai, verstaute Schreibtische, Stühle, Bücher, Zeitschriften und andere Arbeitsmaterialien in einer gemieteten Lagerhalle und zog nach Yangon, Myanmars größte Stadt. „Zwar haben wir nicht geglaubt, dass die Generäle wirkliche Schritte in Richtung Demokratie zulassen würden, aber wir mussten diese Gelegenheit einfach nutzen“, sagt Kyaw Zwa Moe.
Die Jahre einer neuen Freiheit
Wieder mit seiner Familie und seinen Freunden vereint zu sein, sei für ihn unbeschreiblich gewesen. In Yangon sei die neue Freiheit spürbar gewesen, zum Beispiel in den Teeläden, in denen sich in Myanmar das soziale Leben abspielt. „Die Leute sprachen laut über Politik, haben den Präsidenten, das Militär oder auch Aung San Suu Syi kritisiert“, erinnert er sich. Aung San Suu Syi, die burmesische Freiheitsikone, war 2011 aus jahrelangem Hausarrest entlassen worden. Nachdem sie und ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) 2012 an Nachwahlen teilnehmen durften, zogen sie und andere NLD-Mitglieder ins Parlament ein. Bei den Parlamentswahlen 2015 gewann die NLD die Mehrheit der Sitze. Obwohl Aung San Suu Syi nicht das offizielle Staatsoberhaupt werden durfte, fungierte sie faktisch als Regierungschefin.
In den folgenden Jahren gewann „The Irrawaddy“ eine große einheimische Leserschaft. Bereits seit 2001 gab es neben der englischen eine burmesische Website, die in Myanmar allerdings verboten war und nur mit VPN-Zugang gelesen werden konnte. Zurück in Myanmar startete die Redaktion zusätzlich eine wöchentliche Print-Ausgabe auf Burmesisch und eine Fernsehsendung, die Kyaw Zwa Moe einige Jahre moderierte und die als Video über soziale Medien verbreitet wurde. „Wenn ich in abgelegenen Gegenden unterwegs war, kannten mich die Leute dort“, sagt Kyaw Zwa Moe
Im Februar 2021 rissen die Generäle wieder die Macht an sich. „All unsere Hoffnungen auf ein offenes und demokratisches Myanmar waren mit einem Schlag vernichtet“, sagt Kyaw Zwa Moe, der einen Putsch immer befürchtet hatte. Danach verfolgte das Militärregime die Journalistinnen und Journalisten, die über sein brutales Vorgehen berichteten, so dass die meisten von ihnen wieder das Land verließen.
„The Irrawaddy“ geht erneut ins Exil
Kyaw Zwa Moe entschied sich zunächst zu bleiben. Ein Jahr lang berichtete er im Verborgenen von den Protesten und Straßenkämpfen. Dann musste auch er seine Heimat ein zweites Mal verlassen. „Ich habe mich schrecklich gefühlt, und es hat lange gedauert, bis ich überhaupt wieder etwas positiv sehen konnte.“ In Chiang Mai hatte die Redaktion währenddessen die Kartons aus der Lagerhalle ausgepackt und das Büro wieder eingerichtet.
„The Irrawaddy“ war erneut im Exil. Die tagesaktuelle Berichterstattung ist mit Smartphones einfacher geworden, erklärt Kyaw Zwa Moe. „Man kann alle überall erreichen und die Leute, die im Land für uns arbeiten, können uns mit Informationen versorgen.“ Dabei nutzen sie verschlüsselte Messengerdienste. Zwar gebe es in Myanmar nur begrenzt Strom und Internet, aber die Redaktion habe Kontakte in allen Ecken des Landes: „Menschen in den Dörfern, in der Widerstandsbewegung und in zivilgesellschaftlichen Organisationen, Geschäftsleute, Beamte, Politiker, Militärs – alle versorgen uns mit Informationen.“
Es sei aufwendig, dieses Material sowie auch Fotos und Videos zu überprüfen, sagt Kyaw Zwa Moe, vor allem wenn es um Material geht, das sie aus den umkämpften Gebieten erhalten. Seit Jahrzehnten kämpfen rund zwanzig bewaffnete Gruppen ethnischer Minderheiten im Land für mehr Autonomie. Auch während der Zeit der Öffnung von 2012 bis 2021 ging dieser Kampf weiter. Die Demokratiebewegung hat die bewaffneten Gruppen immer skeptisch gesehen, weil sie den bewaffneten Kampf generell ablehnt und weil die in der Demokratiebewegung aktiven ethnischen Burmesen sie als destabilisierende Kräfte sahen.
Kyaw Zwa Moe sieht die Rebellen jetzt anders als früher
Das änderte sich, als das Militär im März 2021 begann, auf Protestierende zu schießen. Vor allem junge Menschen griffen nun auch zu den Waffen und schlossen sich zum Teil ethnischen Armeen an. Auch Kyaw Zwa Moe sieht die Rebellen jetzt anders als früher. „Sie kämpfen gegen die Junta, um die Militärdiktatur loszuwerden“, sagt er. „Auf dieser politischen Basis bin ich für sie.“ Dennoch glaube er an demokratische Prozesse und nicht an bewaffnete Auseinandersetzungen. „Aber für eine gewisse Zeit – und gerade ist eine revolutionäre Zeit – ist es in Ordnung.“
Wenn ihre Regionen Autonomie bekämen, würden die ethnischen Armeen ihre Waffen abgeben und sich an einem politischen Prozess beteiligen müssen, sagt Kyaw Zwa Moe – und es klingt, als würde das seiner Ansicht nach gar nicht mehr lange dauern. Kyaw Zwa Moe ist ein unerschütterlicher Optimist.
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