Eine Expertenkommission rät Deutschland, die Politik gegenüber Ländern des globalen Südens strategisch neu aufzustellen, um dem Bedeutungsgewinn dieser Länder gerecht zu werden. Die Bundesregierung müsse mit ihnen aktiv gemeinsame Interessen definieren, um als Exportnation neben Wettbewerbern wie China, Russland oder der Türkei Einfluss zu wahren. „Wir haben Kräfte, die darauf setzen, sich auf das Nationale zurückzubesinnen; wir empfehlen, das Gegenteil zu tun“, sagte die Vorsitzende und frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bei der Vorstellung des Abschlussberichts in Berlin.
Die Empfehlungen in den sechs Feldern Geo- und Entwicklungspolitik, Ökonomie und Handel, Arbeitsmigration, internationale Finanzen sowie Klimapolitik gehen auf eine Initiative des Thinktanks GPI zurück. GPI organisierte eine überparteiliche und interdisziplinäre zehnköpfige Gruppe von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die sich mit mehr als 40 Experten aus Entwicklungs- und Schwellenländern austauschten. Zu den heimischen Vertretern gehörte unter anderem Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne).
Neue Allianzen und diversifizierte Märkte
Die Kernempfehlungen zielen darauf, dass Deutschland eigenständig und unabhängig vom geopolitischen Dreieck Europa, USA und China im Interessensausgleich mit unterschiedlichsten Ländern des Südens das Beste für sich herausholt. Zentrale Pfeiler sind neue Allianzen mit gleichgesinnten Staaten, etwa in multilateralen Gremien, diversifizierte Märkte, Versorgungssicherheit für Energie und Rohstoffe und eine Einwanderungspolitik für Fachkräfte. Schließlich hänge fast jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland am Export, heißt es in dem Bericht. Zugleich entfielen mittlerweile etwa 35 Prozent der Weltwirtschaftsleistung auf die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), während die alten Industrieländer der G7 noch 30 Prozent erwirtschafteten.
Der Westen sei „als globales Ordnungsmodell in der Defensive“, ergänzte Kramp-Karrenbauer. „Die Welt wartet nicht. Deutschland muss sich jetzt klug aufstellen und klären, welche Rolle es in der Zukunft spielen will.“ Erforderlich sei ein Perspektivwechsel, betonte auch Ex-Botschafter Walter Lindner. Es gehe um respektvolle Anerkennung unterschiedlicher Interessenslagen als Alternative zu einer Haltung, die im Süden oft als Herabsetzung oder herablassende Moralisierung empfunden werde.
Interessen sollen klarer definiert werden
Der Entwicklungspolitik billigt der Bericht durchaus mehr als eine Fußnote zu, wenngleich vorrangig als Instrument zur Sicherung deutscher Interessen und des Wohlstands. Klassische Entwicklungszusammenarbeit solle eine tragende Säule internationalen Engagements bleiben, betonte Kramp-Karrenbauer – und sei nach dem weitgehenden Rückzug der USA notwendiger denn je. „Um sie noch wirksamer zu machen“, so der Bericht, „bedarf es der finanziellen Sicherung, einer strategischen Neuausrichtung und besseren Koordination innerhalb der Bundesregierung.“
Ziele wie der Kampf gegen Armut und Hunger tauchen indes nur in der Einleitung auf: „Hilfe in humanitären Notlagen, Gesundheitsvorsorge, Ernährungssicherung und Armutsbekämpfung müssen einen gleichberechtigten Platz in einer interessenbasierten internationalen Politik haben“, heißt es da. Die Kommission wolle weder eine Abkehr vom humanitären Engagement noch von den UN-Nachhaltigkeitszielen oder vom Kampf für Menschenrechte, beteuerte die Vorsitzende. Eine „zukunftsfähige“ Entwicklungszusammenarbeit sollte sich dem Bericht zufolge aber wegbewegen „von dem Narrativ der Zuwendung für Hilfsbedürftige hin zu klar definierten Interessen, die auch Themen wie Rohstoffsicherheit oder Exportchancen deutscher Unternehmen einschließen“.
Zum Teil ist das so bereits im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Bundesregierung verankert. Neu ist das Ansinnen, internationale Zusammenarbeit in sogenannten Clustern zu organisieren, in denen verschiedene Ministerien unter dem Zepter eines Nationalen Sicherheitsrats für einzelne Zielregionen klären, welche Initiativen zu ergreifen oder wo mehr Verzahnung mit der Privatwirtschaft wünschenswert wären. Eingeübte Routinen der ressortübergreifenden Zusammenarbeit „werden der komplexen Realität nicht mehr gerecht“, heißt es.
Die Kommission drängt die Regierung auch zu einer neuen Entschuldungsinitiative, „um drohende Liquiditäts- und Solvenzkrisen besonders in den einkommensschwächsten Ländern nachhaltig zu lösen“. Michael Krake, Deutschlands Exekutivdirektor in der Weltbank, und Kommissionsmitglied erläuterte, dazu gehöre, Beiträge von Gläubigern wie China einzufordern sowie private Gläubiger stärker an Umschuldungen zu beteiligen. „Es ist oft so, dass sich einer hinter dem anderen versteckt“, so Krake.
Neue Finanzmittel – auch zur Umsetzung globaler Klimaziele – sollten unter anderem durch den Ausbau internationaler Kohlenstoffmärkte, der CO2-Speicherung als neuem Geschäftsmodell im globalen Süden sowie durch Abgaben auf den internationalen Flug- und Schiffsverkehr erschlossen werden.
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