Wie Krabbenfarmen die Bauern verdrängen

Eine Bäuerin und ein Bauer - Mitglieder einer Genossenschaft in Ecuador - auf einem Weg zwischen Feldern, auf denen Pflanzen teilweise im Wasser stehen. Zwischen den beiden ein salopp gekleideter Anwalt mit Sonnenhut und Sonnenbrille.
Miguel Castro
Der Rechtsanwalt Milton Yulán (Mitte), hier mit Mitgliedern der Genossenschaft Nueva Revolución, setzt sich für Landrechte von Kleinbauern ein.
Ecuador
Im Süden Ecuadors liegt eins der wenigen Gebiete, in denen Bauernfamilien von einer Landreform profitiert haben. Doch jetzt verlieren viele ihr Land wieder. Dabei spielen Korruption und Drogenbanden eine Rolle.

Die fruchtbare landwirtschaftliche Ebene von Durán erreicht man mit dem Auto von Guayaquil aus, der großen Hafenstadt im Süden Ecuadors, in einer halben Stunde. Felder mit Reis und Gemüse, Papaya und Bananen bestimmen zunächst das Bild. Plötzlich wandelt sich die Landschaft: Krabbenbecken, soweit das Auge reicht. Manche sind schon in Betrieb, andere werden erst ausgeschachtet, jedes ist etwa doppelt so groß wie ein Fußballfeld. 

„Viele Kleinbauern wurden hier von ihrem Land vertrieben, um Krabbenbecken Platz zu machen“, erläutert Rechtsanwalt Milton Yulán vom Landreform-Netzwerk „Tierra y Vida“. „Anfang 2022 begann diese Entwicklung.“ In knapp einem Jahr wechselten 1187 Hektar den Besitzer; nur drei Genossenschaften mit 96 Familien verteidigen bis heute ihre 380 Hektar. 

„Im Februar 2022 standen auf einmal morgens einige Männer vor unserem Haus und drängten uns, das Land zu verkaufen. 2000 Dollar pro Hektar boten sie an, dann 4000“, erzählt Elvira Vargas, die Vorsitzende der Genossenschaft „Nueva Revolución“. „Als wir ablehnten, wurden sie laut und bedrohten uns mit einer Pistole.“ Doch die Mitglieder der „Nueva Revolución“ hielten zusammen und ließen sich nicht einschüchtern. 

Elvira Vargas auf ihrem Land in der Genossenschaft Nueva Revolución, deren Vorsitzende sie ist. Sie hat den Verkaufsangeboten und Einschüchterungen widerstanden.

Anders bei der benachbarten Vereinigung „AsoMariba“. „Im November 2022 erschienen Männer mit Spaten, Macheten und Waffen“, berichtet eine Siedlerin, die anonym bleiben möchte. „Sie ließen sich neben unseren Häusern nieder, verspeisten unsere Hühner sowie Kochbananen und Mais, den wir angebaut hatten.“ Kurz darauf fuhren Bulldozer vor und rissen die Häuser nieder. Die ecuadorianische Firma Irrigarsa präsentierte manipulierte Dokumente des Landwirtschaftsministeriums, die sie als Besitzerin des Landes ausgaben. 

Autor

Frank Braßel

ist Historiker und Journalist. Er hat unter anderem für die Menschenrechtsorganisation FIAN und die Hilfsorganisation Oxfam gearbeitet.

Landverkauf aus Angst – zum Spottpreis

Die meisten Kleinbauern sind geflohen oder haben verkauft, meist für einen Spottpreis von 2500 US-Dollar pro Hektar. Der Marktpreis liegt beim Zehnfachen. Viele akzeptierten die geringe Bezahlung aus Angst, vertrieben zu werden, ohne einen einzigen Dollar zu erhalten, wie es bei anderen Landkonflikten geschehen ist. Nur einige wenige verteidigen bis heute 40 der ehemals 207 Hektar der „AsoMariba“.

Dabei hat hier, in der ehemaligen Hazienda Las Mercedes, die progressive Regierung unter Rafael Correa (Amtszeit 2007 bis 2017) einen ihrer wenigen Versuche begonnen, Land gerechter zu verteilen. Ecuadors Agrarstruktur war von starker Ungleichheit und verbreiteter Landlosigkeit gekennzeichnet, Armut und Hunger waren die Folgen. Mit dem Amtsantritt von Correa ergab sich eine Chance, dies zu ändern, da der Staat eine Reihe von großen Ländereien kontrollierte. Die waren von ihren Besitzern am Ende des vergangenen Jahrhunderts bei Banken beliehen und die geliehenen Gelder ins Ausland verschoben worden. Das war einer der Gründe für die große Bankenkrise Ecuadors, in der der Staat einige Banken rettete und dafür in Besitz von Land kam, das als Sicherheit für die Kredite an diese gefallen war. 

Solche und andere staatliche Ländereien sollten an landlose Gruppen gehen, die oft schon auf den Ländereien lebten. So auch auf Las Mercedes, einem ursprünglich wenig produktiven Weidegebiet von 2147 Hektar im Bezirk Durán. Es war vom Staat beschlagnahmt worden, die Besitzer Roberto und William Isaías lebten seit der Jahrhundertwende als Steuerflüchtlinge in den USA.

Keine formalen Landtitel

Auf Las Mercedes schlossen sich schon ab 2007 ehemalige Arbeitskräfte, Pächter und Landlose der Region zu einem Dutzend Vereinigungen zusammen, was eine Voraussetzung für die Landübergabe war. Im Durchschnitt erhielten sie fast fünf Hektar pro Familie. Das ermöglicht in der fruchtbaren Region ein menschenwürdiges Überleben, auch wenn staatliche Unterstützung für die Bauern nie im zugesagten Maße geleistet wurde.

Aber viele der neuen Bauernfamilien haben ihr Land inzwischen wieder verloren. Drei Gründe wirken hier zusammen. Die meisten haben erstens keinen rechtssicheren Landtitel; zweiten wächst der Markt für Krabben im Ausland, auch begünstigt vom Freihandelsabkommen Ecuadors mit der EU; und drittens sind lokale Eliten weiter mächtig, verstärkt durch Geld und Gewalt aus dem Kokaingeschäft.

Formale Landbesitztitel erhielten in Las Mercedes nur vier Vereinigungen, nachdem sie 2012 etwa 600 Hektar vom Staat gekauft hatten. Die anderen Gruppen wurden dreimal während eines Jahrzehnts als „Begünstigte“ der Agrarreform anerkannt, werden aber mit der Übergabe eines Titels bis jetzt hingehalten. Notariell verankerte Landrechte hätten ihnen 2022 bei der Verteidigung des Landes helfen können, obwohl auch das keine Garantie ist. Die vier Bauernvereinigungen mit eigenen Titeln sind bislang vom Landraub verschont geblieben.

„Es gab keinen politischen Willen, die Landreform voranzutreiben“

Der zuständige Abteilungsleiter im Landwirtschaftsministerium Hugo Hermosa konnte Anfang des Jahres auf wiederholte Nachfrage nicht den Grund nennen, warum die letzten drei verbliebenen Genossenschaften von Las Mercedes bis heute keine endgültigen Landtitel haben. Der Fall werde geprüft. Seit 2009. „Die Regierung unterstützte die Übertragung von Land an die Bauern kaum; zahlreiche Fälle von zugesprochenem Land wurden durch juristische Fragen in Behörden blockiert“, sagt Ramón Espinel, der 2009 als Landwirtschaftsminister insgesamt 110.000 Hektar an Landlose übergeben wollte. Doch „es gab keinen politischen Willen, die Landreform voranzutreiben“. Espinel zog sich nach zwei Jahren zurück. 

„Investoren bekommen sofort einen Landtitel, wie die Verkäufe von 2022 an Krabbenfarmen zeigen. Normale Bauern müssen Jahre darauf warten, scheinbar, damit man ihnen das Land leichter rauben kann“, analysiert der erfahrene Anwalt Yulán. Das mache Land für neue Nachfrage auf dem Weltmarkt verfügbar.

Im Fall von Las Mercedes geht es um Shrimps. Krabben sind mit fast sieben Milliarden US-Dollar zum zweitwichtigsten Exportgut Ecuadors geworden, hinter Erdöl, aber deutlich vor Bananen und Kakao. Wichtigste Märkte sind China und die USA. Die EU weist seit dem Freihandelsabkommen mit Ecuador im Jahr 2017 rasante Zuwachsraten auf: Der Import hat sich bis 2024 fast verdoppelt, so eine Studie von PowerShift.  

ZUM WEITERLESEN 

PowerShift: The Climate Impact of the EU Trade Agreement with Colombia, Peru and Ecuador Berlin, März 2025, https://power-shift.de

Krabbenzucht verseucht die Böden

Das Handelsabkommen zwischen der EU und den Andenländern leistet trotz gegenteiliger Behauptungen weder einen relevanten Beitrag zur Erreichung des erklärten Ziels der nachhaltigen Entwicklung noch zur Erreichung einer Netto-Null-Wirtschaft“, resümiert die NGO. „Seit seinem Inkrafttreten hat der Handel mit Waren zugenommen, die mit sozial- und umweltschädlichen Methoden produziert werden“ – wie Garnelen, Avocados oder Bananen. Krabbenzucht schafft kaum Arbeitsplätze, hinterlässt aber verseuchte Böden und Trinkwasserquellen. Knapp 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Ecuador wird inzwischen für Exportprodukte genutzt, ein Geschäft fast nur für reiche Investoren. 

Dass 2022 in ganz kurzer Zeit so viel Land an Krabbenfarmen gehen konnte, hat aber noch einen weiteren Grund: „Es muss eine mafiose Struktur hier im Landwirtschaftsministerium gegeben haben“, erklärte im Februar 2025 Hugo Hermosa, der damalige Abteilungsleiter für Landfragen, im Gespräch die Hintergründe der rasend schnellen Verkäufe in Durán. „Das ist meine persönliche Meinung.“ 

Der Architekt dieses Landraubs war Pablo Muentes, seit 2021 Abgeordneter der konservativen christsozialen Partei PSC, welche die Region Guayas lange dominiert hat. Muentes bemühte sich erfolgreich, mit Bestechungsgeldern die Justiz in der Provinz auf seine Person einzuschwören. Bernardo Manzano, ab Mai 2022 Landwirtschaftsminister, legte ihm beim Landraub keinen Stein in den Weg. Er war ein langjähriger Topmanager des größten Privatunternehmens Ecuadors mit Ursprung in der Bananenindustrie, dessen Erbe der heute amtierende Präsident Daniel Noboa ist. 

Politische und wirtschaftliche Macht verknüpft mit dem Drogengeschäft 

Manzano trat im Februar 2023 zurück, als ein abgehörtes Gespräch zwischen Rubén Cherres und Danilo Carrera erkennen ließ, dass er mit deren Hilfe ins Amt gekommen war. Cherres galt als Verbindungsmann zur albanischen Drogenmafia, Carrera war der Schwager des damaligen Präsidenten Guillermo Lasso und sein Berater. Gegen Cherres stellte die Generalstaatsanwältin Diana Salazar nach langem Zögern im Januar 2024 einen Haftbefehl wegen Verbindungen zum Kokaingeschäft aus, aber er konnte abtauchen – in einem luxuriösen Haus im Seebad Punta Blanca. Von dort fuhr er regelmäßig gut hundert Kilometer nach Guayaquil, um weiter seinen Geschäften mit Immobilien, Bananen und Kokain nachzugehen. Nach über zwei Monaten wurde er in seinem Unterschlupf gefunden – ermordet und mit Zeichen von Folter. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt. 

In der Amtszeit Manzanos hatte Pablo Muentes freie Hand, die Ländereien von Las Mercedes und angrenzende Flächen direkt, über Familienangehörige oder für einflussreiche Persönlichkeiten zu erwerben. So konnte ein Cousin des heutigen Präsidenten 211 Hektar der Bauern übernehmen. Die Verknüpfung von politischer und wirtschaftlicher Macht mit dem Drogengeschäft in Ecuador scheint eng.

Bei Streitigkeiten mit lokalen Vereinigungen, die seit Jahren legal auf dem Land lebten, sprachen von Muentes bestochene Richter oder Richterinnen stets den Käufern das Land zu. Gleichzeitig wurden im Katasteramt von Durán und in der Regionalbehörde des Landwirtschaftsministeriums – wie im Fall von „AsoMariba“ – falsche Landbesitztitel kreiert. Woher Muentes das Geld für die Bestechung der Justiz hatte, wurde nie bekannt. Sein Netzwerk hatte laut Staatsanwaltschaft gute Kontakte zu der damals einflussreichsten Kokainbande in Durán. Aus diesen Kreisen stammten offensichtlich auch die Bewaffneten, die die Kleinbauern in Las Mercedes bedrohten und bis heute unter Druck setzen. Ecuadors Drogenbanden scheinen zunehmend, wie man es in Kolumbien kennt, als paramilitärische Banden Interessen von Wirtschaftseliten durchzusetzen: Sie fördern Landraub, schüchtern Gewerkschafter im Bananensektor ein und tragen zur Ausweitung des illegalen Bergbaus bei.

„Ich gehe hier nicht weg“

Pablo Muentes wurde im März 2024 verhaftet und zu 13 Jahren Haft wegen Korruption und illegaler Einflussnahme im Justizwesen verurteilt. Das Thema Landraub kam nicht zu Sprache. Die vertriebenen Bauern haben weder eine Entschädigung noch ihr Land zurückerhalten. Das Landwirtschaftsministerium nimmt auch nach wiederholter Nachfrage nicht dazu Stellung.

„Wir haben protestiert, haben uns zusammengeschlossen, sind bis vor das Landwirtschaftsministerium in Quito gezogen“, berichtet Manuel Ipo, der Verwalter von „Nueva Revolución“. „Es gab Unterstützung von vielen ecuadorianischen und auch internationalen Organisationen wie FIAN.“ Ermutigt von einem Verfassungsgerichtsentscheid, der im Dezember 2024 die Rückgabe des Landes an die Brüder Isaías endgültig ausschloss, fügt er hinzu: „Ich gehe hier nicht weg. Soll ich etwa wie früher Wasser an den Kreuzungen von Guayaquil verkaufen?“

Reis, Yuka, Kochbananen, Früchte und Gemüse produzieren die verbliebenen Bauernfamilien von Las Mercedes. Der Reis wird meist in der Region verkauft, die anderen Produkte bereichern die eigenen Mahlzeiten. „Wenn ich abends auf dem kleinen Hügel bei uns sitze, dann denke ich manchmal: Es ist ein kleines Paradies hier, wie Himmel auf Erden“, schwärmt die Genossenschaftlerin Magna Vera. 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2025: Zeit für Widerspruch
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