Während die Mitglieder des Bundestags derzeit über den Entwicklungshaushalt 2026 beraten, leiden heimische Hilfsorganisationen unter dem durch Neuwahlen verzögerten Etat für 2025, der erst Mitte September verabschiedet worden ist. Mehrere Millionen Euro für Projekte von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) werden voraussichtlich verfallen, erklärt der Dachverband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro) und fordert ein Umdenken für die künftige Finanzplanung.
Nach dem Ende der Ampelkoalition erhielten Hilfsorganisationen zwar unter der vorläufigen Haushaltsführung weiter Mittel für laufende, schon begonnene Projekte vom Entwicklungsministerium (BMZ). Doch für neue Förderprojekte mit Start 2025 klagt zum Beispiel die Welthungerhilfe über „eine Finanzierungslücke“. Nur in Ausnahmen konnten Projekte auf eigenes Risiko selbst vorfinanziert werden, erläutert Programmvorständin Bettina Iseli – darauf hoffend, dass Verträge mit dem BMZ und Bundesmittel nach Amtsantritt der neuen Regierung und Verabschiedung des Bundeshaushalts 2025 dann schnell kämen. Kleinere Organisationen könnten dies kaum leisten, weil das Risiko zu groß sei. Und regulär könnten Verträge für Neuprojekte jetzt erst im November oder Dezember ausgestellt werden.
NGOs erhalten weniger und später Geld vom BMZ
So erhalten deutsche NGOs in diesem Jahr für ihre Projekte nicht nur weniger Geld vom BMZ – der Titel „private Träger“ für Auslandshilfe von NGOs wurde gegenüber 2024 um zwölf Prozent gesenkt. Sondern sie bekommen es teils auch stark verzögert. Und eine späte Geste der Großzügigkeit verfehlt den gewünschten Effekt: Am Ende der parlamentarischen Beratungen schlugen Union und SPD zwar auf den für NGO in 2025 vorgesehenen Betrag von 200 Millionen Euro 10 Millionen Euro drauf. Nur kann wohl kein Venro-Mitglied so schnell noch etwas mit diesem Geld anfangen, erklärt der Verband enttäuscht.
Die geltenden Regeln ließen das nicht zu. Allein aus Zeitgründen sei es nicht zu schaffen, bis Jahresende zusätzliche Projekte oder Aufstockungen laufender genehmigt zu bekommen, geschweige denn das Geld auszugeben, erläutert Michael Herbst von der Christoffel Blindenmission und einer der beiden Venro-Vorsitzenden. Gut gemeint, bedankt sich Herbst, doch leider Symbolpolitik. Für weitsichtiger hätte er einen Bonus für multilaterale Nothilfeorganisationen gehalten wie das Welternährungsprogramm (WFP). Dort könnten Gelder 2025 noch abfließen. Höchstens große Programme von privaten Trägern könnten eine Alternative sein, Geld so kurzfristig einzusetzen, ergänzt Iseli von der Welthungerhilfe.
Hilfsorganisationen wünschen sich mehr Planungssicherheit
Die Panne wirft ein Schlaglicht auf die komplexen Förder- und Haushaltsverfahren. So werden Projektpläne von NGOs jährlich für das Folgejahr eingereicht, geprüft, als förderwürdig eingestuft und dann durch Vollanträge zum Abruf mit Mitteln versorgt. Nur die politischen Stiftungen und die beiden großen Kirchen erhalten für ihre „entwicklungswichtigen Vorhaben“ Globalbewilligungen aus zwei anderen Haushaltstiteln; für 2025 sind dafür 300 beziehungsweise 296 Millionen Euro vorgesehen, in 2024 waren es 330 und 293 Millionen.
Das BMZ kann übrige Barmittel nicht ins nächste Jahr mitnehmen, also die für 2025 vom Parlament zusätzlich bewilligten 10 Millionen Euro nicht erst 2026 ausgeben. So hofft Venro, dass der Haushaltsausschuss nun für 2026 die geplanten 192 Millionen Euro erneut aufstockt. Wenn das zum Jahresanfang klar sei, könnten NGOs ihre teils dramatisch gekürzten Neuprojekte noch anpassen, sagt Herbst.
Vor allem aber wünschen sich alle Hilfsorganisationen mehr Planungssicherheit. Derzeit gibt der Etat vom BMZ sowie der vom Auswärtigen Amt für humanitäre Hilfe ein mittelfristiges Ausgabevolumen anhand von sogenannten Verpflichtungsermächtigungen vor. Davon hängt ab, welche langfristigen, qualitativ hochwertigen Projekte durchgeführt werden könnten, erläutert die Welthungerhilfe. Diese Verpflichtungsermächtigungen werden stark gekürzt. Venro fordert hier eine Kehrtwende. Und der Verband arbeitet auf eine grundsätzliche Reform hin: Staatliche Gelder sollen mehrjährig entlang von Bedarfen, etwa für die globale Gesundheitspolitik, geplant werden könnten.
Das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfe einzusetzen, wird laut Venro von der Bundesregierung nicht mehr ernst genommen. „Der parlamentarische Konsens ist aufgekündigt“, stellt Herbst fest. Das Finanzministerium rechnet selbst vor, dass die bis 2029 anvisierten Kürzungen im BMZ-Etat auf noch 0,4 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe hinausliefen. Im Koalitionsvertrag hatte Schwarz-Rot eine „angemessene Senkung“ vereinbart.
Venro: Entwicklungspolitik muss wieder glaubwürdiger werden
Deshalb sucht Venro einen neuen politischen Konsens, die Ausgabenziele als Beitrag zur Finanzierung globaler Notwendigkeiten abzustecken. Ausgehend von internationalen Übereinkünften, nach denen etwa 0,2 Prozent des Nationaleinkommens an die ärmsten Länder gehen sollten und 0,1 Prozent an internationale Gesundheitsförderung, und vom Leitsatz, dass 15 Prozent des BMZ-Etats zivilgesellschaftliche Strukturen unterstützen sollen, könnten Zielgrößen für angemessene deutsche Beiträge zur Umsetzung ausgesuchter UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) gefunden werden. So könnten losgelöst von der ODA-Quote mehrjährige Haushaltsansätze entstehen.
Wo der globale Bedarf, wie für humanitäre Hilfe, bereits von den UN ermittelt wird, wäre das vergleichsweise einfach. So kommt ein Venro-Blog auf jährlich 2,5 Milliarden Euro notwendige deutsche Leistungen für humanitäre Hilfe, ausgehend vom durchschnittlichen deutschen Anteil der vergangenen zehn Jahre (10,48 Prozent). In der Entwicklungsförderung seien solche Ermittlungen wohl schwieriger und mühsamer, heißt es bei Venro. Aber es sei ein wichtiger Schritt, Entwicklungspolitik wieder glaubwürdiger zu machen. Bestenfalls möchte man politisch einen Aufwuchspfad mit Etappenzielen bis zum Haushalt 2031 abstecken.
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