DHL und Mastercard verdienen ihr Geld mit ganz anderen Geschäften als humanitärer Hilfe. Hat man es jetzt dagegen mit Firmen zu tun, die eigens für Nothilfe gegründet worden sind, oft von früheren Militärs oder Leuten aus Sicherheitsfirmen?
Ja, das ist oft ein entscheidender Unterschied. Und es birgt ein großes Risiko der Politisierung, wenn man so etwas sensibles wie die Nothilfe Firmen wie Fogbow oder Stiftungen wie der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) überlässt, deren Gründer oft einen militärischen Hintergrund und keine Erfahrung in der humanitären Hilfe haben. Sie sind auch ausdrücklich nicht den humanitären Prinzipien verpflichtet – etwa Hilfe nach Bedürftigkeit und neutral zu leisten. Stattdessen arbeitet Fogbow im Sudan und Südsudan nur mit einer der Konfliktparteien zusammen, der Regierung.
Aber können solche Firmen etwas besser als traditionelle Hilfswerke? Arbeiten sie kostengünstiger?
Auch da ist nicht alles schwarz-weiß. Das NGO-Netzwerk International Council of Voluntary Agencies (ICVA) hat in einer ersten Einschätzung der Vor- und Nachteile festgestellt, dass manche solcher Firmen sehr gut darin sind, große und schnelle Hilfsprogramme aufzusetzen. Sie sind teils auch risikofreudiger und innovativer – vor allem im Vergleich zu UN-Organisationen. Aber auch andere internationale Hilfsorganisationen, die ihren Geberorganisationen Rechenschaft schulden, sind risikoscheuer. Fogbow hat logistische Expertise, und militärische Kenntnis muss nicht schlecht sein, wenn man sich als Hilfsunternehmen in einem Konfliktgebiet bewegt. Aber bei grundlegenden Fragen, etwa für wen, nach welchen Kriterien und wie sie Hilfe leisten, haben diese Firmen schwere Defizite. Sie folgen anders als Hilfsorganisationen nicht einem normativen Zweck, sondern sind beauftragte Dienstleister, im Zweifelsfall für eine politisch motivierte Partei. Das ist das Gegenteil von professioneller, an Standards gebundener Hilfe.
Private Sicherheitsdienste sind schon früher zum Schutz von Hilfslieferungen engagiert worden, zum Beispiel in Somalia. Was ist nun das Neue?
Vor allem das Ausmaß. Wenn Sicherheitsdienste einen Konvoi oder ein UN-Gebäude absichern, ist das etwas ganz anderes, als eine ganze Operation zu managen wie im Fall der Gaza Humanitarian Foundation. In Gaza waren Militärs und eine völlig intransparente neue Stiftung plötzlich dafür zuständig, ein neues Hilfssystem zu organisieren bis hin zu Fragen, in welchen Korridoren Menschen zu Nahrungsmittel-Verteilstellen gehen dürfen, und diese mit militärischer Gewalt zu sichern. Das ist mit extremen Risiken behaftet, hat zu unzähligen erschossenen Zivilisten und geführt und dazu, dass Mitglieder einer Konfliktpartei nach eigenen Sicherheitsinteressen statt nach Wirksamkeit für die Betroffenen die humanitäre Hilfe im Gebiet des Gegners organisieren.
Das heißt, die Nothilfe in Gaza war zumindest bis zum Waffenstillstand abhängig von Israels Armee?
Sobald sie über die GHF organisiert wurde, absolut. Sie wurde umgesetzt von der GHF, die von der Kriegspartei Israel beauftragt war mit dem klaren Ziel, Ergebnisse zu erzielen, die nützlich sind. Nützlich nicht vorrangig, wenn überhaupt, für die Menschen in Not. Das prominenteste Beispiel sind sowohl im Sudan als auch in Gaza die Abwürfe von Hilfsgütern aus der Luft. Die bringen Sichtbarkeit und attraktive Bilder. Im Fall Gaza wurden von israelischer Seite viele Vorwürfe über angeblich schlecht überwachte und von der Hamas missbrauchte Hilfe erhoben. Ausgerechnet dann als Alternative Paletten von Hilfsgütern blind aus der Luft abzuwerfen, die teils Hilfssuchende erschlagen haben, im Meer gelandet sind oder die sich Leute nach dem Recht des Stärksten aneignen – das zeigt, dass es nicht um wirksame Hilfe geht, sondern darum, Bilder zu liefern und politische Narrative zu prägen.
Sind nicht auch NGOs schon immer gezwungen, sich mit Kriegsparteien zu verständigen, um in Kriegen Hilfe zu leisten?
Ja, natürlich. Das ist etwa im Jemen oder in Afghanistan so und kann sehr herausfordernd sein. Der Unterschied ist aber: Wenn eine unabhängige Hilfsorganisation, die nach international vereinbarten Standards arbeiten muss, diese Standards als Verhandlungsposition gegenüber einer Kriegspartei ins Feld führt, dann ist es zwar bisweilen schwierig, sie durchzusetzen. Aber es ist etwas ganz anderes, als wenn ein privater Dienstleister einen logistischen Auftrag erfüllt, den eine Kriegspartei definiert hat. Es ist beispielsweise völlig unklar, wie eine Firma wie Fogbow zu ihren Einschätzungen des Hilfebedarfs kommt – warum leistet sie Hilfe an wen? Es gibt gut belegte Anschuldigungen, dass sie im Sudan Luftabwürfe gezielt in von der Regierung kontrollierten Regionen machen sollte, in die Zivilisten aus den Gebieten der Rebellen zurück gelockt werden sollten. Da wurde Hilfe nicht dorthin gebracht, wo sie gebraucht wurde, sondern dahin, wo sie politischen Zielen diente.
Treiben auch manche Geberstaaten eine Politisierung von Hilfe voran – speziell die USA?
Definitiv. Die USA unter Trump diskreditieren den traditionellen Hilfssektor und seine Institutionen – USAID, die UN, die klassischen Hilfsorganisationen. Wo es den eigenen politischen Zielen dient, ersetzen sie diese Organisationen durch neue. Ähnliche Interessen hat aber auch die eine oder andere Regierung in Krisenländern selbst, und zwar auch jenseits von mit einem Krieg verbundenen Zielen: So können NGOs und lokale Zivilgesellschaft geschwächt werden, statt dass sie durch eine Rolle im Hilfssektor Finanzierung und Sichtbarkeit erhalten. Da kann es zu unheiligen Allianzen zwischen Gebern wie den USA und Regierungen in Konfliktländern kommen – Allianzen, die das humanitäre Völkerrecht weiter unterhöhlen.
Dass manche Geberländer versuchen, Hilfe politisch zu steuern, ist aber auch nicht neu, oder?
Nein, natürlich nicht, im Gegenteil nimmt dieser Trend auch in Europa zu. Auch in Deutschland, bisher ein vergleichsweise neutraler Geber, ausgenommen beim politischen Ziel der sogenannten Fluchtursachenbekämpfung in Syrien und Nahost. Aber die Festlegung, in welche Gebiete man Hilfe gibt, ist nicht immer bedarfsorientiert, etwa mit Blick auf die stark überproportional finanzierte Ukraine. Und in der neuen deutschen humanitären Strategie steht explizit, die Hilfe möge sich künftig auf Krisen konzentrieren, die Auswirkungen auf Europa haben. Da wird erstmals ein klar interessengeleitetes Kriterium für humanitäre Hilfe eingeführt, das im Widerspruch zum Grundsatz der Bedarfsorientierung steht. Das muss man klar kritisieren. Aber solche Versuche, Hilfsorganisationen über die Finanzierung in gewissem Maße zu steuern, so dass auch eigene Interessen bedient werden, sind noch etwas ganz anderes, als das System aus politischen Motiven komplett abzuschaffen und durch politisch willfährige Akteure zu ersetzen.
Haben UN-Gremien diese Interessen der Geberländer bisher eingehegt und quasi ausbalanciert?
Ja und nein. UN-Organisationen können sich gegen Instrumentalisierung verwahren. Zum Beispiel hat Fogbow behauptet, es arbeite im Sudan mit dem WFP zusammen und stütze sich auf dessen Lageeinschätzungen; dem hat das WFP klar widersprochen. Gegenüber seinen Gebern oder den Regierungen in Krisengebieten sind UN-Organisationen zugleich aber häufig sehr defensiv, auch weil sie nur mit Erlaubnis des Projektlandes tätig werden können. Ähnliches gilt bei der Ermittlung humanitärer Bedarfe: Einerseits gewährleisten diese Prozesse eine gewisse Transparenz. Andererseits gibt es Schwächen aufgrund von Organisationsinteressen. So betonen UN-Organisationen genau wie NGOs bei der gemeinsamen Erhebung des Hilfebedarfs gern den Teil, den sie selbst bedienen, zum Beispiel das WFP die Ernährung, UNICEF Kinder in Not und so weiter.
Wenn Geber ihren politischen Zielen Vorrang geben, erschwert das dann auch die Koordination der verschiedenen Hilfsmaßnahmen?
Auf jeden Fall. Einzelne Firmen außerhalb des humanitären Systems zu beauftragen, untergräbt jede Koordination. Es ist dann ja auch oft gar nicht mehr das Ziel, auf Basis gemeinsamer Ziele und Standards effektiv zu helfen.
Und was bedeutet die Beauftragung privater Firmen für Versuche, Hilfe mehr über lokale, einheimische Organisationen zu leisten?
Es ist zumeist das Gegenteil einer sinnvollen Zusammenarbeit mit diesen. Neben den anderen Vor- und Nachteilen hat der Privatsektor auch das Problem, dass ihm häufig Landeskunde fehlt. Internationale Hilfsorganisationen haben dagegen oft über Jahre ein Netz von lokalen Partnern aufgebaut.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
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