Die Zahlen sind beeindruckend: Laut dem Energiebericht des Ministeriums für Industrie, Energie und Bergbau betrug 2024 der Anteil der erneuerbaren Energieträger am gesamten Energieverbrauch in Uruguay 64 Prozent. Bei der Stromproduktion entfielen sogar 99 Prozent auf die Erneuerbaren Wasserkraft (43 Prozent), Windenergie (28 Prozent), Biomasse (24 Prozent) und Solaranlagen (4 Prozent). Uruguay gilt in der Region neben Paraguay als das Land mit dem höchsten Anteil erneuerbarer Energieträger und weltweit als ein herausragendes Beispiel für eine gelungene Energiewende.
Tatsächlich deutete vor zwanzig Jahren noch nichts darauf hin, dass Uruguay einmal zu den Pionieren bei der Dekarbonisierung des Energiesektors zählen würde. Zwar gab es im Land bereits mehrere Wasserkraftwerke, aber Erdöl war als Energieträger noch bis Anfang des Jahrhunderts eindeutig dominant. Da Uruguay aber über keine eigenen Ölvorkommen verfügt, litt es ab 2005 stark unter dem sprunghaften Anstieg der Rohölpreise auf dem Weltmarkt. Die Suche nach Alternativen wurde zu einer drängenden wirtschaftlichen Notwendigkeit und mit entsprechendem Nachdruck verfolgt. Bereits 2017 betrug der Anteil des Erdöls am Strommix nach Angaben des uruguayischen Präsidialamtes nur noch zwei Prozent.
Mehrere Faktoren dürften ausschlaggebend für diesen schnellen Erfolg gewesen sein. Zum einen gelang es der damaligen Mitte-links-Regierung unter Tabaré Vázquez, einen breiten, überparteilichen und auf ökonomischen Argumenten basierenden Konsens zu erreichen. Zum anderen wurde die uruguayische Energieversorgung nie privatisiert. Die staatliche Administración Nacional de Usinas y Transmisiones Eléctricas (UTE) besitzt von jeher das Monopol auf die Energieversorgung und ist auch Eigentümerin der mit Erdöl betriebenen Anlagen, die heute nur noch bei Bedarf temporär hochgefahren werden. Ein Umstand, der es unnötig machte, mit Privatunternehmen mühsame Kompromisse und gegebenenfalls teure Entschädigungen zu vereinbaren. Hinzu kommt, dass der Stromverbrauch in Uruguay, wo gerade einmal 3,5 Millionen Menschen leben und wenig Industrie vorhanden ist, mit rund zwölf Terawattstunden pro Jahr vergleichsweise gering ist; der Wert entspricht etwa 2,6 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland.
Nur drei der 48 Windparks gehören vollständig der staatlichen UTE
Nichtsdestotrotz hat UTE – entgegen dem bisherigen Selbstverständnis – verstärkt auf Firmen aus der Privatwirtschaft gesetzt, um angesichts begrenzter Eigenmittel den Umbau hin zu erneuerbaren Energien finanzieren zu können. Von den schätzungsweise sieben Milliarden US-Dollar, die zwischen 2010 und 2015 in die Transformation des Energiesektors investiert wurden, kamen lediglich 1,7 Milliarden von UTE selbst. Das bedeutet auch, dass nur drei der 48 Windparks des Landes vollständig UTE gehören. Neben mehreren Privatunternehmen ist auch eine staatliche Treuhandgesellschaft beteiligt, die Geld öffentlicher und privater Anleger verwaltet. So haben die deutsche KfW und die Bayern LB zusammen 70 Prozent der Kosten eines Windparks im norduruguayischen Tacuarembó vorfinanziert.
Dennoch ist die UTE nach wie vor die zentrale Planungs- und Leitungsinstanz. Der erzeugte Strom darf ausschließlich von ihr an Haushalte oder Unternehmen verkauft werden. Im Gegenzug erhalten die privaten Stromerzeuger eine langfristige, bis zu zwanzig Jahre reichende Abnahmegarantie zu Festpreisen in US-Dollar. Darüber hinaus legt UTE großen Wert auf Transparenz, um der Skepsis in Bezug auf die Zusammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Akteuren entgegenzuwirken. Über ihre Website lassen sich alle Verträge einsehen, die mit den Windparkbetreibern abgeschlossen wurden.
Autor
Wolfgang Ecker
lebt in Montevideo und ist ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift „ila. Das Lateinamerika-Magazin“.Im Vergleich zur schleppenden Energiewende in Deutschland scheint Uruguay zwar vieles richtig gemacht zu haben. Ein grünes Vorzeigeland ist Uruguay dennoch nur bedingt. Denn in einem Aspekt war der Umbau ökologisch durchaus bedenklich. Unter dem Label der Energiegewinnung durch „Biomasse“ verbirgt sich fast ausschließlich die Verbrennung von Produktionsrückständen der drei Zellulosefabriken des Landes. Abgesehen davon, dass dabei große Menge an CO2 freigesetzt werden, die erst im Laufe der Jahre durch nachwachsende Bäume kompensiert werden sollen, basiert die Zellulose-Produktion und damit auch die rentable Energieerzeugung auf großflächigen Eukalyptus-Plantagen. Deren schädliche Auswirkungen auf den Wasserhaushalt und die Bodenqualität sind von Umweltorganisationen wie beispielsweise dem World Rainforest Movement hinreichend dokumentiert.
Verbilligter Strom sorgt in der Bevölkerung für Wohlwollen
Trotz solcher Widersprüche blickt die Mehrheit der uruguayischen Bevölkerung wohlwollend auf die Ergebnisse der Transformation. Das dürfte nicht zuletzt mit einem weiteren Aspekt der Dekarbonisierung zu tun haben: In den letzten zehn Jahren verringerte sich der Anteil des Einkommens, der für Strom ausgegeben werden muss, um durchschnittlich ein Fünftel. Tendenziell dürfte diese Entwicklung einer relativen Verbilligung weiter anhalten, auch ungeachtet der Tatsache, dass in Zukunft weitere umfangreiche Investitionen in den Energiesektor nötig sein werden.
Schließlich handelt es sich bei dem Erreichten nur um einen Zwischenschritt. Bis 2050 will das Land „klimaneutral“ werden. Dazu soll Uruguay auch ein Produktionsstandort für synthetische Kraftstoffe werden. Für diesen sogenannten zweiten Transformationsschritt vollzieht sich im Moment jedoch ein Paradigmenwechsel. Es sind nicht mehr öffentliche Institutionen, sondern internationale Großinvestoren, die die Ziele definieren.
Das wichtigste Projekt treibt derzeit HIF Global voran, ein international tätiger Konzern, an dem auch Porsche zu 12,5 Prozent beteiligt ist. 2026 will das Unternehmen in Uruguay mit dem Bau einer der weltweit größten Produktionsstätten für grünen Wasserstoff und daraus erzeugten synthetischen Treibstoffen beginnen. Neben der eigentlichen Raffinerie sollen auch eigene Wind- und Solarparks errichtet werden, um die für die Produktion von jährlich 700.000 Tonnen Methanol benötigte Energie bereitzustellen. Nach Angaben von HIF Global sollen sechs Milliarden US-Dollar in das Projekt fließen. Das wäre die größte jemals in Uruguay getätigte Einzelinvestition – und entspräche rund acht Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes.
HIF Global kann allein bestimmen, für wen produziert wird
So wie bei der Stromversorgung die staatliche UTE das Heft in der Hand hat, könnte man erwarten, dass die Rahmenbedingung für die Methanolproduktion vom staatlichen Treibstoffhersteller Administración Nacional de Combustibles, Alcohol y Portland (ANCAP) vorgegeben werden. Aber darauf wurde seitens der uruguayischen Regierung explizit verzichtet. Dass diese Entscheidung auf Druck von HIF Global zustande kam, ist wahrscheinlich, aber nicht belegbar. HIF Global kann allein bestimmen, für wen produziert wird. Ein wie immer gearteter Nutzen für die uruguayische Gesellschaft steht nicht im Fokus. Der Konzern will den Treibstoff exportieren, vornehmlich in Länder des globalen Nordens.
So hat der Konzern bereits ein erstes vorläufiges Abkommen über die Lieferung von jährlich 100.000 Tonnen Methanol mit dem Hamburger Energieunternehmen MB Energy Holding vereinbart. In Uruguay bleiben hingegen die mit der Produktion verbundenen politischen, sozialen und ökologischen Risiken, die die von der Regierung erhofften, positiven wirtschaftlichen Effekte mehr als aufwiegen dürften. Zumal sich jene hauptsächlich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen während Bauphase beschränken. In der Betriebsphase selbst sollen in dem Werk – je nach Quellen – lediglich zwischen 200 und 300 Personen arbeiten. Ferner kann HIF Global mit umfangreichen Steuerbefreiungen zumindest für die ersten zehn Betriebsjahre rechnen.
Der politische Schaden scheint indes bereits eingetreten zu sein. War bislang das Ziel, durch größtmögliche Transparenz die Bevölkerung bei dem Transformationsprozess im Energiesektor „mitzunehmen“, so gilt dies in Bezug auf HIF Global nicht mehr. Schon Anfang 2024 sorgte das Memorandum of Understanding (MoU) zwischen HIF Global und der damaligen liberalkonservativen Regierung für Kritik bei Opposition, Gewerkschaften und Umweltverbänden, da Teile des Inhalts umgehend als „vertraulich“ eingestuft wurden. Selbst ein Gerichtsurteil, das der Klage einer Umwelt-NGO auf Veröffentlichung stattgegeben hatte, wurde monatelang von der Regierung ignoriert (solange, bis eine Berufungsinstanz das ursprüngliche Urteil revidierte). Vorrangig ging es bei der Klage um vermutete „vertrauliche“ Passagen im MoU, die verschiedene Umweltaspekte betreffen – und damit verbunden um potenzielle soziale Konflikte, die sich aus dem geplanten Standort der Raffinerie ergeben.
Protest gegen den Bau und Betrieb der Raffinerie
Dieser befindet sich direkt am Río Uruguay nahe des Artenschutzgebiets der Queguay-Inseln, das im Falle eines Unfalls unmittelbar bedroht wäre. Darüber hinaus leben in dem Abschnitt des Grenzflusses zu Argentinien viele Menschen vom Tourismus, der mit Ruhe und einer weitgehend intakten Natur wirbt. Der Bau und Betrieb der Raffinerie dürfte dem die Grundlage entziehen, zumal auch eine beständige Kontamination der Luft befürchtet wird. Denn auch in der Raffinerie sollen große Mengen von Biomasse verfeuert werden. Mit fast einer Million Tonnen Forstabfällen pro Jahr soll Strom und der Großteil des CO2 erzeugt werden, das für die „grüne“ Methanol-Produktion benötigt wird.
Angesichts dieser Perspektiven formiert sich vor allem in den betroffenen Gemeinden Protest. Sowohl auf der uruguayischen als auch auf der argentinischen Seite des Flusses hofft man, dass das seit März in Uruguay regierende Mitte-links-Bündnis die Parameter des Projekts erstmals wirklich zur Diskussion stellen könnte. Danach sieht es bislang allerdings nicht aus – im Gegenteil: Obwohl eine öffentliche Anhörung zu Umweltrisiken noch aussteht, wird am Bau der Raffinerie sowie am vorgesehenen Standort ausdrücklich festgehalten. Die Beteiligung der staatlichen ANCAP ist weiterhin nicht vorgesehen, ebenso wenig die Veröffentlichung der „vertraulichen“ Passagen des MoU.
Offenbar bildet sich angesichts milliardenschwerer Investitionsversprechen ein neuer parteiübergreifender Konsens hinsichtlich der Zukunft des Energiesektors in Uruguay, der andere Schwerpunkte setzt als jener vor zwanzig Jahren. Es wird sich zeigen, ob die Bevölkerung bereit ist, einen Weg mitzugehen, der gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten und Transparenz den Geschäftsinteressen internationaler Konzerne und der Befriedigung des Ressourcenhungers des globalen Nordens opfert.
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