Hoffen auf die Turbinen von Turkana

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Globale Energieversorgung
Wasserstoffproduktion in Afrika
Thomas Mukoya/REUTERS
Windpark in Turkana im Norden von Kenia. In der entlegenen Regionen leben vor allem Viehhirten, von denen viele bewaffnet sind.
Energiezukunft von Ostafrika
Ostafrika ringt um die Zukunft der Energieversorgung: Einige Länder setzen auf Sonnenkraft und Wind, andere weiter auf Öl und Gas. Konsens besteht darüber, dass der Ausbau nationaler Netze allein nicht reicht, um mehr Menschen mit Strom zu versorgen.

Die Rotorblätter riesiger Windkraftanlagen in Turkana, einer trockenen Region im Norden von Kenia, reflektieren die Sonne. Sie durchschneiden die warme Luft über dem uralten Turkana-See und lassen einen glauben, Ostafrika könnte seine Energiearmut mit erneuerbaren Energien überwinden. Doch weniger als 650 Kilometer weiter südlich stehen die beengten Hütten im Mukuru-Slum von Nairobi, die nur durch flackernde Kerosinlampen beleuchtet werden.

In Kibera, einem armen Viertel in Kenias Hauptstadt Nairobi, repariert ein Tecniker die Stromleitung. Viele hier haben keinen Netzanschluss.

In Kenia haben drei Viertel der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität, mehr als in jedem anderen Land in Ostafrika. Doch zwölf Millionen Einwohner leben immer noch ohne Strom. In Nairobis Slum Kibera erklärt Fatuma Hirdi, Schneiderin und Mutter von vier Kindern, welche Folgen das hat: „Stellen Sie sich vor, Sie versuchen, ein kleines Schneidergeschäft nur mit Kerzenlicht zu betreiben.“ Der Strommangel schränke ihre Produktion ein und halte sie in der Armut gefangen. „Außerdem können meine Kinder nicht gut lernen, und ich mache mir ständig Sorgen um ihre Gesundheit, weil sie die gefährlichen Dämpfe der Lampen einatmen, die ich benutzen muss.“

Hirdis Geschichte wiederholt sich viele Male in anderen Ländern Ostafrikas. Während mittlerweile mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Ruanda (64 Prozent), Uganda (52 Prozent) und Somalia (50 Prozent) Zugang zu Elektrizität hat, gilt das laut Daten der Weltbank nicht für Tansania (48 Prozent), die Demokratische Republik Kongo (22 Prozent), Burundi (12 Prozent) und Südsudan (5,4 Prozent).

Auf dem afrikanischen Kontinent haben 600 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, keinen Zugang zu Elektrizität. Vor diesem schwierigen Hintergrund wurde 2024 die Mission 300 ins Leben gerufen: Der Plan sieht vor, bis 2030 insgesamt 300 Millionen Menschen mit Strom zu versorgen, wobei die Kosten dafür auf 90 Milliarden US-Dollar veranschlagt werden. Eine Hälfte der neuen Anschlüsse sollen aus dem Ausbau bestehender nationaler Netze kommen, die andere Hälfte aus netzunabhängigen Lösungen wie mit Wind- und Solarenergie gespeisten Mininetzen.

Nationale Energiepakete

Finanzieren sollen das multilaterale Entwicklungsbanken, staatliche Entwicklungsagenturen, philanthropische Fördertöpfe und private Unternehmen. Die beiden wichtigsten Institutionen hinter dem Programm sind die Weltbankgruppe, die 30 Milliarden US-Dollar zugesagt hat, und die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), die sich mit 18 Milliarden US-Dollar beteiligen will.

Im Januar 2025 veranstalteten die beiden Institutionen den Mission 300 Africa Energy Summit in Tansanias Wirtschaftsmetropole Daressalam. Bei diesem Treffen veröffentlichten zwölf Länder, darunter die Demokratische Republik Kongo und Tansania, „nationale Energiepakte“ ganz im Sinne von Mission 300. Die Pakte legen Ziele und Zeitpläne für den Ausbau der Energieinfrastruktur, den Aufbau dezentraler erneuerbarer Energien und die Förderung privater Investitionen fest.

Auf dem Gipfel gaben auch zwei weitere Entwicklungsbanken Zusagen bekannt: Die Islamische Entwicklungsbank mit Sitz in Saudi-Arabien versprach 2,65 Milliarden US-Dollar für die Projektfinanzierung und weitere zwei Milliarden für die Versicherung von Projekten. Die Asiatische Infrastruktur-Entwicklungsbank aus China sagte rund 1,5 Milliarden US-Dollar zu.

Mehr als nur die bloße Bereitstellung von Strom?

Autor

Gitonga Njeru

ist Journalist und lebt in Kenia. Er schreibt über Umwelt, Wissenschaft und Entwicklung, unter anderem für die „BBC“, „Al Jazeera“, „The Guardian“ und „New Scientist“. Dieser Artikel ist zuerst in Englisch auf der Website „Dialogue Earth“ erschienen.

Werden diese beträchtlichen Summen in Zukunft bestmöglich eingesetzt werden? Kann Ostafrika es vermeiden, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, als Hilfe manchmal in Stromleitungen investiert wurde, die kein Licht brachten?

Mohammed Adow, Gründer und Direktor von Powershift Africa, gibt sich vorsichtig optimistisch: „Wenn die Initiative gut genutzt wird, wird sie das Wirtschaftswachstum nicht nur in Ostafrika, sondern auf dem gesamten afrikanischen Kontinent verbessern.“ Er warnt jedoch auch: „Mission 300 muss die strukturellen Ursachen für die Unterentwicklung und finanzielle Abhängigkeit Afrikas bekämpfen und darf nicht nur eine weitere oberflächliche Lösung anbieten.“

Adow und andere Kritiker argumentieren, dass die bloße Bereitstellung von Strom bestehende Missstände noch verschärfen könnte, wenn Probleme wie Verschuldung, übermäßige Abhängigkeit von privatem Kapital und eine mangelnde lokale Wertschöpfung nicht gelöst werden. Außerdem könnte dies eine echte nachhaltige Entwicklung weiter behindern.

„Die Finanzierung muss sich grundlegend ändern“

John Mutua, Direktor für Wirtschaftsregulierung und Strategie bei der kenianischen Behörde für Energie und Erdöl, betont, Mission 300 müsse sich von den herkömmlichen Finanzierungsmodellen verabschieden, bei denen Kredite mit hohen Zinsen und strengen Rückzahlungsbedingungen vergeben werden. Denn solche Kredite seien besonders für Start-ups noch ohne Erfolgsbilanz oder Organisationen mit begrenzten Finanzmitteln schwierig zu bedienen. „Mission 300 ist ehrgeizig, aber die Art und Weise, wie wir die letzte Meile bei Stromanschlüssen finanzieren, muss sich grundlegend ändern“, sagt Mutua. „Wir brauchen clevere Wege, um verschiedene Arten von Geld wie staatliche Mittel, Spenden und private Investitionen zu kombinieren, damit es für private Unternehmen weniger riskant ist, in Projekte zu investieren, die den Menschen vor Ort helfen.“ 

Für Mutua gibt es drei zentrale Möglichkeiten, den Zugang zu beschleunigen: die Energie bezahlbar machen, netzunabhängige Lösungen wie Mininetze und kleine Solaranlagen für abgelegene Gebiete fördern und die Stromversorgung regional zu bündeln. „Die Betonung von netzunabhängigen Lösungen innerhalb von Mission 300 ist entscheidend. Der Ausbau des Stromnetzes allein kann das Ziel für 2030 nicht erreichen, insbesondere in abgelegenen Gebieten“, erklärt er. „Wir müssen robuste Standards und Anreize für Mininetze und isolierte Anlagen schaffen, denn diese sind die wahre Grenze für einen beschleunigten Zugang.“

Die Region verfügt über viele Ressourcen an sauberer Energie, die vor allem Kenia schon nutzt. Daniel Kiptoo, Generaldirektor der kenianischen Behörde für Energie und Erdöl, zeichnet ein optimistisches Bild von der Zukunft seines Landes: „Kenia ist in einer einzigartigen Position, um die Energiewende in Afrika anzuführen, da bereits über 90 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Quellen wie Geothermie, Wind und Wasser stammen“, sagt er. „Unser Fokus liegt jetzt nicht nur auf der Stromerzeugung, sondern darauf, ein widerstandsfähiges Stromnetz aufzubauen und den Zugang zu unterversorgten Regionen zu erweitern.“ Zudem arbeite man daran, ein regulatorisches Umfeld zu schaffen, das private Investitionen und Innovationen unterstützt, insbesondere im Bereich der netzunabhängigen Anlagen und Mininetze.

Mehr Investitionen in Ölpipelines als in Solarparks

Das Nachbarland Äthiopien hat den Bau des Grand Ethiopian Renaissance Dam abgeschlossen, der voraussichtlich das größte Wasserkraftwerk Afrikas werden wird, während Solar-Mikronetze und Dachpaneele in netzfernen Dörfern immer häufiger zu finden sind.

Doch neben diesem grünen Aufschwung streben Uganda und Tansania weiterhin die Ausbeutung ihrer Öl- und Gasreserven an. Regierungsvertreter argumentieren, fossile Brennstoffe wie Gas könnten als „Brücke“ zu erneuerbaren Energien dienen, um die Infrastruktur zu fördern und Einnahmen zu generieren. Kritiker sind davon nicht überzeugt. „Wir hören Versprechungen, aber wir sehen mehr Investitionen in Ölpipelines als in Solarparks“, sagt David Kibirige, ein Umweltaktivist in Ugandas Hauptstadt Kampala. „Ist das wirklich eine Brücke oder werden wir auf den gleichen alten schmutzigen Weg geführt?“ Mithika Mwenda, Generalsekretär der Pan African Climate Justice Alliance, einer zivilgesellschaftlichen Koalition mit Sitz in Nairobi, mahnt: „Wir sollten die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Die Welt entfernt sich rasch von fossilen Brennstoffen. Ostafrika muss sauberen Energien Vorrang einräumen, um seine Zukunft zu sichern und zu vermeiden, dass es mit Vermögenswerten belastet wird, die bald nichts mehr wert sind.“

Die Ostafrikanische Gemeinschaft, zu der Burundi, die DR Kongo, Kenia, Ruanda, Somalia, Südsudan, Tansania und Uganda gehören, versucht zu diesem Zweck die regionale Zusammenarbeit zu verstärken und die Energiepolitik zu harmonisieren. Die Entwicklung des sogenannten East African Power Pool, der die nationalen Stromnetze miteinander verbinden soll, ist ein entscheidender Schritt, um den grenzüberschreitenden Stromhandel zu erleichtern und Energiesicherheit zu gewährleisten. 

„Die Umsetzung ist ein Alptraum“

Dabei bestehen jedoch weiterhin erhebliche Hürden. Uneinheitliche Politik, Bürokratie, finanzielle Zwänge und logistische Schwierigkeiten verzögern oder verhindern oft wichtige Projekte. „Es ist, als würden wir immer einen Schritt vorwärts und zwei Schritte zurückgehen“, beklagt Samson Tsegaye, Fachmann für Energiepolitik in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. „Die Politik sieht auf dem Papier gut aus, aber die Umsetzung ist ein Alptraum. Es gibt so viel Korruption und Ineffizienz.“

Der Klimawandel verschärft die Dringlichkeit zusätzlich. „Dürren, Überschwemmungen und andere extreme Wetterereignisse stören die Energieerzeugung und -verteilung“, warnt Ivetta Gerasimchuk, leitende Expertin für nachhaltige Finanzen am International Institute for Sustainable Development in Kanada. „Ostafrika muss in klimaresistente Energieinfrastrukturen und dezentrale Lösungen für erneuerbare Energien investieren, die lokale Gemeinschaften stärken“, fügt sie hinzu.

In einer Weltbank-Diskussion im vergangenen Frühjahr sagte Kenias Energieminister Opiyo Wandayi: „Mission 300 verändere die Sichtweise globaler Partner auf die Energiezukunft Afrikas entscheidend. Für Kenia geht es nicht nur darum, Stromanschlüsse bereitzustellen, sondern um den Aufbau widerstandsfähiger, dezentraler Netze, die Gemeinden stärken und einen echten wirtschaftlichen Wandel vorantreiben, weg von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Der tatsächliche Erfolg von Mission 300 hängt von nachhaltigen Finanzierungsmechanismen ab, die auch die letzten Kilometer erreichen.“ Es brauche Investitionen in eine zuverlässige und erschwingliche Stromversorgung für alle Haushalte und Unternehmen und nicht nur in den Ausbau des nationalen Stromnetzes.

Ostafrika befindet sich an einem Wendepunkt. Seine Windparks, Wasserkraftwerke und Solaranlagen signalisieren einen Wandel, der bereits im Gange ist. Allerdings verdeutlichen informelle Siedlungen ohne Stromversorgung wie Mukuru und Kibera die eklatanten Unterschiede, wer von diesem Fortschritt profitiert. Ob sich die Vision einer Zukunft mit sauberer Energie von den Turbinen in Turkana bis in die Slums von Nairobi erstreckt, hängt von der Entschlossenheit der Institutionen, der Transparenz der Finanzierung und der Rechenschaftspflicht derjenigen ab, die daran arbeiten. Die Region steht vor der Entscheidung zwischen konkurrierenden Wegen für ihre Energiezukunft. Für welchen sie sich entscheidet, könnte ihre Entwicklung für Jahrzehnte prägen.

Aus dem Englischen von Melanie Kräuter. 

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