Fair Trade wird salonfähig

Faire Produkte stehen längst auch in den Regalen von Edeka und Rewe. Und sie finden zunehmend Abnehmer: In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Umsatz in Deutschland vervierfacht. Der faire Handel ist eine Erfolgsgeschichte. Aber auf dem Weg von der sozialen Bewegung zur Handelsbranche verändert er sich mehr, als manchen Engagierten recht ist.

München, Sendlinger Straße. Im Zentrum der Stadt trinkt ein junges, urbanes Publikum bei Starbucks seinen Cappuccino und Latte Macchiato. Den meisten Gästen dürfte nicht bewusst sein, dass ihr Kaffee etwas Besonderes ist: Er stammt aus fairem Handel. Seit März 2010 serviert Starbucks nur noch Espressogetränke aus Kaffee mit Fairhandels-Siegel. Mehr als 300.000 Tassen Kaffee pro Tag setzt die amerikanische Kaffeehauskette allein in Europa um. Mit dem Umsatz seiner Produzenten aus Guatemala, Costa Rica und Peru ist Starbucks zum weltweit größten Abnehmer von Fairtrade-zertifiziertem Kaffee avanciert.

Autorin

Claudia Mende

ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.de

Der faire Handel ist offenbar in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Schon längst führt er kein Aschenputteldasein mehr in Hinterhöfen und alternativen Wohngemeinschaften. Mehr als 3,4 Milliarden Euro haben Verbraucher 2009 weltweit für gesiegelte faire Produkte ausgegeben, 15 Prozent mehr als im Jahr davor. In Deutschland waren es nach Angaben des Forums Fairer Handel 2010 etwa 413 Millionen Euro, eine Steigerung von 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In den vergangenen sechs Jahren hat sich hierzulande der Umsatz vervierfacht. Mehr als vier Fünftel aller fair gehandelten Waren haben das Transfair-Siegel. 69 Prozent der Deutschen kennen es und halten es in der Regel für vertrauenswürdig, 2008 waren es erst 30 Prozent – so eine neue Studie von Globe-Scan, einem kanadischen Meinungsforschungsinstitut, das auf Nachhaltigkeitsfragen spezialisiert ist. Importeure wie die GEPA, die Fairhandelsgenossenschaft dwp oder El Puente kaufen ihren Produzenten fair gehandelte Waren zu Konditionen ab, die noch über die Bedingungen von Transfair hinausgehen.

Entstanden ist die kirchliche inspirierte Fairhandelsbewegung ab 1970 aus Solidarität mit notleidenden Kaffeebauern und Zuckerrohrfarmern in Afrika, auf den Philippinen und in Mittelamerika. Neben dem Mitgefühl treibt die Bewegung auch der Impuls an, sich politisch für gerechte Handelsbeziehungen einzusetzen. Die Produzenten in der Dritten Welt sollen mit Hilfe gerechter Handelsstrukturen die Chance erhalten, sich mit eigener Arbeit aus Armut zu befreien.

Raus aus der Nische Weltladen

Wer das Siegel des fairen Handels haben will, muss den Lieferanten im Süden einen Mindestpreis bezahlen, der meist über dem Weltmarktpreis liegt. Klettert dieser jedoch über das Niveau des Fairtrade-Preises, wie derzeit beim Kaffee, dann zahlen die fairen Importeure den höheren Preis. Anders als auf dem konventionellen Markt, wo die Preise für Agrargüter stark schwanken, erhalten Produzenten vom fairen Handel langfristige Verträge. Ihre Preise bleiben stabil, sie können für die Zukunft planen. Außerdem enthält der Preis eine festgelegte Prämie für Gemeinschaftsprojekte, die Genossenschaften und Kooperativen für ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung nutzen können. So zahlt allein Starbucks für seinen fairen Kaffee pro Jahr 2,6 Millionen Euro an zusätzlichen Prämien aus.

In den 1970er und 1980er Jahren verkauften praktisch nur Weltläden und kleine Initiativen fair gehandelte Waren. Mit der Gründung der Organisation Transfair 1992 änderte sich das. Transfair handelt nicht selbst, sondern vergibt ein Siegel für fair gehandelte Produkte, das weltweit, unabhängig und transparent von rund 130 Inspektoren kontrolliert wird. Die Warenpalette wächst stetig. Raus aus der Nische Weltladen, lautete die Botschaft mit der Gründung von Transfair. Seitdem hat der gerechte Handel eine beispiellose Erfolgsgeschichte erlebt. Mit Tengelmann, Rewe und Edeka haben auch Konzerne den Handel zu gerechten Konditionen entdeckt, faire Produkte ins Sortiment genommen und den Umsatz in die Höhe schießen lassen. Aus der sozialen Bewegung wird zunehmend eine eigene Handelsbranche. 2009 gelang international ein Durchbruch. Seitdem Süßwaren-Konzerne wie Cadbury und der Eishersteller „Ben und Jerrys“ ihre Zutaten von Fair-Trade-Bauern beziehen, ist der Absatz von fair gehandeltem Kakao und Rohrzucker sprunghaft um 57 Prozent angestiegen. Sogar der vielgehasste Schweizer Multi Nestlé lässt seit Januar 2010 den Kakao aus der Elfenbeinküste für „Kit kat“, den beliebtesten Schokoriegel Englands, als fair zertifizieren.

Aber der Erfolg hat seine Schattenseiten. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob der faire Handel weiter aus der Nische herausfinden kann, ohne seine Identität aufzugeben, oder ob er sich von seinen tragenden Milieus entfernt. Schon jetzt wird die Konkurrenz härter, und an den rund 800 deutschen Weltläden geht der Erfolg des fairen Handels großteils vorbei: Sie haben gegenüber Supermärkten und Discountern, aber auch gegenüber Großabnehmern wie den Kommunen stetig Marktanteile verloren. Seit 2004 ist der Anteil der Weltläden am Umsatz fair gehandelter Produkte „deutlich zurückgegangen“, sagt der Münchner Weltladen-Experte Markus Raschke. Er schätzt, dass es sich um eine Größenordnung von über zehn Prozent handelt.

„Überlassen ausgerechnet die Pioniere des fairen Handels einen boomenden Markt den anderen?“, fragt Raschke. Zwar mussten im vergangenen Jahr bundesweit nur drei Weltläden schließen, doch ohne professionelles Marketing wird es künftig schwer sein. Jean-Marie Krier, Weltladenberater aus Österreich, warnt vor einem „großen Reinemachen“ in den nächsten Jahren. Immer mehr Unternehmen geben sich einen ethischen Anstrich, auch wenn der nicht immer lupenrein ist. Webportale mit fair gehandelten Produkten wie „World of Goods“ von Ebay stecken noch in den Kinderschuhen, werden aber wichtiger, die Direktvermarktung übers Internet wird kommen. Ein großes Problem ist auch der anstehende Generationenwechsel in den Weltläden, der nicht immer gelingt. Für Jean-Marie Krier haben viele den „Anschluss verloren“. Er hält rund die Hälfte der deutschen Weltläden für nicht professionell geführt. „Viele gehen unbequemen Fragen aus dem Weg. Bei einigen wäre es nicht schade, wenn sie in einigen Jahren zumachen würden“, sagt er provozierend.

2006 gab es erstmals massive Kritik an Transfair

Das muss aber nicht so kommen. In Innsbruck, einer Stadt mit 150.000 Einwohnern, gibt es drei Weltläden im Abstand von 800 Metern, die zusammen einen Jahresumsatz von einer Millionen Euro machen. In Österreich schreibt die Arbeitsgemeinschaft Weltläden ihren Mitgliedern einen Mindestumsatz von 50.000 Euro pro Jahr vor. Im Münchner Stachus-Untergeschoss gibt es seit 2011 mit dem Fair Trade Shop ein Geschäft in bester Lage, das nichts mehr mit ehrenamtlich geführten Hinterhofläden gemein hat. Auch beim deutschen Weltladenverband sieht man den dringenden Bedarf einer Professionalisierung. Im Vergleich zu Österreich steht die deutsche Weltladenbewegung damit aber noch am Anfang.

Auch für die Fairhandelsimporteure wie die GEPA wachsen die Anforderungen, denn Weltläden sind die Hauptabnehmer ihrer Produkte. Die GEPA ist Europas größter Fairhandels-Importeur mit einem Jahresumsatz von zuletzt rund 58 Millionen Euro. Sie garantiert ihren Produzenten in rund 190 Genossenschaften Afrikas, Asiens und Lateinamerikas höhere Standards als unter dem Transfair-Siegel vorgesehen. Außerdem importiert sie auch Produkte aus dem Handwerk und manche Textilien, die nicht ins Siegelsystem passen. „Der Wettbewerb zwischen den Transfair-Lizenznehmern wird immer härter“, sagt der Geschäftsführer der GEPA, Thomas Speck. Trotz eines Umsatzplus von 7,3 Prozent im Geschäftsjahr 2010-11 wird die GEPA drei Regionalzentren schließen und 20 von bundesweit 180 Arbeitsplätzen abbauen. Gestiegene Rohstoffpreise bei Lebensmitteln, die die Handelsspanne verringern, machen der GEPA zusätzlich zu schaffen. Speck sieht die Entwicklung von der sozialen Bewegung zur Fairhandelsbranche kritisch: Die politischen Anliegen drohten in Vergessenheit zu geraten.

2006 brach erstmals heftige Kritik von nichtstaatlichen Organisationen über Transfair herein, als der Discounter Lidl acht fair gehandelte Produkte in sein Sortiment aufnahm. Lidl gilt als einer der aggressivsten Preisdrücker auf dem deutschen und europäischen Markt. Sein Umsatz von rund 52 Milliarden Euro pro Jahr entspricht etwa dem Bruttosozialprodukt von Bangladesch, wo einige seiner Textilzulieferer sitzen. 2009 hat Transfair-USA Bananen des Konzerns Dole zertifiziert, während gleichzeitig ans Tageslicht kam, dass Dole kolumbianische Paramilitärs finanziell unterstützt; das International Labor Rights Forum hat den Konzern auf die Liste der fünf übelsten Arbeitgeber weltweit gesetzt.

Alte Apartheid-Strukturen werden weiter gefestigt

Die Frage, wie man mit Konzernen umgehen soll, die ein Prozent ihres Umsatz mit Fairtrade-Produkten machen, während 99 Prozent nach zweifelhaften sozialen und ökologischen Standards entstehen, spaltet die Bewegung. „Wir dürfen wegen dem einen Prozent nicht auf Kritik verzichten, sonst handelt es sich um ‚Greenwashing‘“, mahnt Thomas Speck. Transfair sieht das anders und verweist darauf, dass das Fair-trade-Siegel Produkte auszeichnet und nicht Unternehmen. „Um möglichst viele Produzenten in den Entwicklungsländern ins Fairtrade-System zu integrieren, müssen wir Märkte und Absatzmöglichkeiten für sie schaffen“, betont Transfair-Geschäftsführer Dieter Overath. Zu diesem Zweck hat die Fairtrade Labelling Organisation (FLO), die internationale Dachorganisation von Transfair, bei gemischten Produkten wie Schokoriegeln die Bestimmungen für die Zertifizierung verändert. Jetzt müssen statt 50 Prozent der Zutaten nur noch 20 Prozent aus fairem Handel stammen, damit der Riegel das Transfair-Siegel tragen darf. Allerdings müssen nach wie vor alle Zutaten, die aus fairem Handel erhältlich sind wie Kakao, Zucker oder Gewürze, gesiegelt sein.

Die Kritik an der Zertifizierungspraxis von FLO wächst. Viele Kleinbauern im Süden sehen in dieser Politik eine Umsatzsteigerung um jeden Preis, die zu ihren Lasten geht. FLO verlange Preise, bei denen die Kleinbauern nicht mehr mithalten könnten. Ursprünglich war der faire Handel ja gerade angetreten, den Marktzugang für benachteiligte Kleinbauern zu verbessern. 85 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in der Dritten Welt sind kleinbäuerliche Familienbetriebe mit bis zu vier Hektar Land. In Südafrika zum Beispiel können die Rooibos-Pflanzer von der Tee-Kooperative Highveld nicht zu dem Preis produzieren, den FLO fordert. Ihre Konkurrenten von den Großplantagen haben es da leichter – sie gehören meist Weißen und haben die besseren Böden. Die alten Apartheid-Strukturen werden so weiter verfestigt. Highveld liefert stattdessen über den Importeur dwp an Weltläden, die ihnen das Doppelte zahlen.

Die Verbraucher erfahren in der Regel nichts über die Debatten und Diskussionen in der Fairhandelsbewegung. Für sie genießt das Fairtrade-Siegel einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit. Diese Glaubwürdigkeit sollte es nicht verspielen.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2011: Nigeria: Besser als sein Ruf
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