Am Gängelband der Geber

Der große Anteil zweckgebundener Mittel schadet der UN-Entwicklungshilfe

Wenn es um die Finanzierung von multilateralen Entwicklungsorganisationen geht, messen die Geber oft mit zweierlei Maß. So überweisen sie der Weltbank oder dem europäischen Entwicklungsfonds überwiegend einfach einen bestimmten Beitrag zum Budget, mit dem diese dann ihre Aufgaben finanzieren können. Diese Beiträge sind rechtlich verbindlich und werden über längere Zeiträume von in der Regel drei bis sechs Jahren zugesagt. Die Aufsichtsgremien der Organisationen, in denen die Geberländer in der Regel die Mehrheit stellen, beschließen dann, welche Entwicklungsprogramme mit dem Geld finanziert werden.

Anders bei den Vereinten Nationen: Den UN stellen die meisten Geber nur zweckgebundene Beiträge für bestimmte Projekte zur Verfügung – und das auch nur auf freiwilliger Basis. Mehr als 70 Prozent der Mittel, die die Geber UN-Organisationen wie dem Kinderhilfswerk UNICEF, der Weltgesundheitsorganisation WHO oder dem Welternährungsprogramm WFP überweisen, sind zweckgebunden, lediglich die übrigen knapp 30 Prozent dienen der Kernfinanzierung der Organisationen.

Autor

Timo Mahn

ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung bi- und multilaterale Entwicklungspolitik am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn.
Vor knapp 20 Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt: Mitte der 1990er Jahre lag der Anteil zweckgebundener Beiträge nur bei einem Drittel. Der Trend zeigt deutlich: Die Vereinten Nationen müssen in ihrer Entwicklungsarbeit zunehmend ohne Kernfinanzierung auskommen.

Mit der Zweckbindung instrumentalisieren die Geber die Vereinten Nationen für ihre eigenen Wunschprojekte. So beteiligen sie sich beispielsweise nur an solchen Projekten, an denen sie ein nationales Interesse haben. Auf diesem Wege schmücken sie sich nach außen mit der bekannten „Marke“ der Vereinten Nationen, ohne sich gleichzeitig an der Finanzierung allgemeiner Aufgaben der UN zu beteiligen. Zu solchen Aufgaben, von denen letztlich auch zweckgebunden finanzierte Projekte profitieren, gehören etwa die Verwaltung oder die Arbeit an konzeptionellen und normativen Grundlagen der UN-Entwicklungsarbeit. Die Kosten dafür lassen sich nur aus dem Kernbudget bestreiten. Eine solide Kernfinanzierung wird zudem für entwicklungspolitische Programme gebraucht, die aus Gebersicht weniger sichtbar oder attraktiv erscheinen.

Es zeichnet sich bereits ab, dass die Zahl der Länder schrumpft, die sich für die Kernfinanzierung der Vereinten Nationen verantwortlich fühlen. Traditionell leisten die nordischen Ländern, im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft, die größten Beiträge. Doch nun hat auch Norwegen angekündigt, es werde seine Beiträge für die Entwicklungsarbeit der Vereinten Nationen in den kommenden Jahren neu ordnen. Immer weniger Geber scheinen sich dem vermeintlichen oder tatsächlichen Druck entziehen zu können, ihre Beiträge an bestimmte Projekte zu binden, um ihnen so sichtbare Ergebnisse zuzuordnen. Befürworter zweckgebundener Beiträge argumentieren, durch sie könnten zusätzliche Mittel für Entwicklungsprogramme mobilisiert werden, da die Geber für diese Beiträge bei ihren Parlamenten und Öffentlichkeiten die notwendige Unterstützung einfacher bekommen.
Kritiker verweisen indes darauf, dass die Geber über die Zweckbindung ihren Einfluss auf die Arbeit der UN zusätzlich erhöhen. In einem Bericht stellt der UN-Generalsekretär fest, dass einzelne UN-Organisationen ihre Mandate, Richtlinien, Prioritäten und Ziele regelmäßig überdehnen, um sie mit zweckgebundenen Beiträgen vereinbar zu machen. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass die Geber den multilateralen Charakter der Entwicklungsarbeit der Vereinten Nationen von innen aushöhlen.

Kleinteilige Projekte bringen Widersprüche, die durch Koordinierung wieder ausgebügelt werden müssen

Das Anliegen der Geber, mit zweckgebundenen Beiträgen die Kontrolle darüber zu behalten, wie ihr Geld verwendet wird, steht im Konflikt mit dem anderen Interesse, dass ihre Beiträge möglichst wirksam und effizient sind. Die Praxis zeigt, dass zweckgebundene Beiträge für die Entwicklungsarbeit der Vereinten Nationen in der Regel an sehr restriktive Vorgaben für die durchführenden UN-Organisationen geknüpft sind. Unter dem Gesichtspunkt, die Wirksamkeit von Entwicklungsfinanzierung zu erhöhen, ist das wenig sinnvoll. Viele kleinteilige Projekte zersplittern die Arbeit der UN, führen zu Doppelungen und Widersprüchen, die dann nachträglich durch Koordinierung mühsam wieder ausgebügelt werden müssen. Ein wesentlicher Vorteil der multilateralen Entwicklungsarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen, ähnlich wie in der Automobilindustrie durch das Bündeln von Ressourcen die Arbeit effizienter zu machen, wird durch projektspezifische Parallelstrukturen ausgehebelt. Laut Schätzungen muss die Weltgesundheitsorganisation im Jahr rund 5000 Projektberichte verfassen, um individuellen Berichtspflichten der Geber nachzukommen – ein erheblicher Verwaltungsaufwand, der Personal, Ressourcen und Zeit bindet, die wirksamer eingesetzt werden könnten.

Zudem liegt wegen der in der Regel kurzen Laufzeit zweckgebunden finanzierter Projekte der Schwerpunkt vorwiegend auf schnell zu erreichenden, allerdings auch schnell verpuffenden entwicklungspolitischen Erfolgen. Und ein weiteres Manko ist schließlich, dass zweckgebundene Finanzierung die Aufsichtsgremien der UN-Organisationen umgeht, indem die Projekte individuell zwischen den Geschäftsführungen und den Gebern ausgehandelt werden. Auch das schadet der Wirksamkeit, denn die Praxis zeigt, dass Entwicklungsvorhaben erfolgreicher sind, wenn die Partnerländer, die neben den Gebern in den Aufsichtsgremien vertreten sind, beteiligt werden.

Die UN-Generalversammlung hat in der Vergangenheit wiederholt bekräftigt, dass Kernfinanzierung das Fundament der UN-Entwicklungsarbeit ist. Es ist daher dringend notwendig, den gegenwärtigen Trend umzukehren. Für einzelne Geber bestehen allerdings kaum Anreize, ihre Beitragspraxis grundlegend zu ändern, wenn sich nicht auch andere dazu verpflichten. Eine allgemeine Verpflichtung auf einen „Kodex für gutes Geberverhalten“ (good donorship) könnte dieses Trittbrettfahrer-Problem lösen. Darin sollten sich die Geber auf eine „kritische Masse“ an Kernfinanzierung verständigen, um die Abwärtsspirale zu stoppen. Sie sollten längerfristige Beiträge zusagen, so dass die Vereinten Nationen in Entwicklungsländern verlässlich strukturelle Reformen unterstützen können. Statt den UN detaillierte Vorgaben für einzelne Projekte zu machen, sollten die Geber sich auf sektorelle Vorgaben wie zum Beispiel eine Verwendung für den Bildungs- oder Gesundheitsbereich beschränken und ihre Beiträge in größeren programmatischen Fördertöpfen zusammenlegen. Aus solchen Schritten würde die Einsicht sprechen, dass die Kernfinanzierung eine zentrale Bedingung für eine wirksame Entwicklungsarbeit der Vereinten Nationen ist.  

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erschienen in Ausgabe 2 / 2013: Ägypten: Aufruhr und Aufbruch
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