Wenn die Heimat keine Heimat mehr ist

Fida Jiryis: Stranger in My Own Land. Palestine, Israel and One Family’s Story of Home. Hurst and Company, London 2022, 392 Seiten, 28 Euro (Taschenbuch 14 Euro)

Fida Jiryis eröffnet mit ihrem Buch eine weithin unbekannte Perspektive auf die Vertreibung der Palästinenser vor 75 Jahren. Die palästinensische Autorin kennt das Leben im Exil ebenso wie das in der Diaspora, in Israel – und in den besetzten Gebieten.

Fida Jiryis‘ Eltern Sabri und Hanneh stammen aus Fassouta, einem christlichen Dorf im Norden Galiläas, das während des Palästinakriegs 1948 nicht von israelischen Truppen zerstört wurde. Die Familien der Eltern versuchen sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren. Fidas Vater Sabri studiert als einer der ersten Palästinenser Jura an der Hebräischen Universität, wird Anwalt und spezialisiert sich auf Landrechte und Eigentumsfragen. Er wird Mitbegründer von Al-Ard (arabisch für „das Land“), der ersten politischen Bewegung der in Israel verbliebenen Palästinenser. Als er in Konflikt mit den israelischen Behörden gerät, geht er 1970 in den Libanon, wo er die Leitung des Forschungszentrums für Palästina der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) übernimmt und Berater von Jassir Arafat wird. 

Fida wird 1973 in Beirut geboren. Als Kind erlebt sie die Schrecken des Bürgerkriegs und der israelischen Invasion 1982. Ihre Mutter Hanneh wird bei einem Anschlag auf das Palästinensische Forschungszentrum 1983 getötet. Der Vater geht mit Fida und ihrem jüngeren Bruder Moussa nach Zypern. 1995 kann er als einer der ganz wenigen Palästinenser in sein Heimatdorf Fassouta zurückkehren. Die 22-jährigeida kommt so in ein Land, das sie nur aus Familienerzählungen kennt.

Das ständige Gefühl, am falschen Ort zu sein

Hier beginnt der ungewöhnliche Teil des Buches. Denn Fida Jiryis schreibt von ihrem Leben als palästinensische Bürgerin in Israel. Deren Situation wird nicht so häufig thematisiert wie die der Menschen auf der anderen Seite der Mauer. Fida schreibt von alltäglicher Diskriminierung, von Unbehagen und dem ständigen Gefühl, am falschen Ort zu sein. Bei der Suche nach einer Wohnung mit ihrem damaligen Ehemann wird ihr zum Beispiel gesagt, dass man nicht an Araber vermiete, „als wäre das einfach eine Tatsache“. An einem Gebäude in der Nähe des Strandes in Nahariya, ist sie „verblüfft, als wir ein handgeschriebenes Schild sahen: ,Keine Hunde, keine Araber‘. Wir standen da und starrten es an“.

2003 wandert sie mit ihrem Mann nach Kanada aus, wird aber auch dort nicht heimisch. 2008, mittlerweile geschieden, zieht sie nach Ramallah in der Westbank, wo sie auch heute noch lebt und mit den alltäglichen Unsicherheiten und Einschränkungen durch die israelische Besatzung klarkommen muss. 

Heimat existiert nur noch in den Erinnerungen der Eltern und Großeltern

Fida Jiryis‘ Familiengeschichte steht stellvertretend für die seit 75 Jahren anhaltende Suche nach Heimat, welche das gesamte palästinensische Volk prägt, egal wo auf der Welt sie leben. Anhand der persönlichen Erfahrungen der Autorin wird deutlich, dass es diese Heimat, so wie sie in den Erinnerungen der Eltern und Großeltern immer wieder aufleuchtet, heute nicht mehr gibt. Das wirft auch ein ungewohntes und beunruhigendes Licht auf die zentrale Forderung nach einem Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge, weil deutlich wird, dass es die Heimat, so wie es sie bis 1948 gab, nicht mehr gibt. 

Doch eben weil Palästinenserinnen und Palästinenser damals ihre Heimat verloren haben, sollten alle, denen der Friede in diesem Land am Herzen liegt, sich gegen Diskriminierung und Entwürdigung und für ein Ende der Besatzung einsetzen oder zumindest versuchen zu verstehen, was es auch heute noch heißt, als Palästinenser geboren zu werden. 

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