Gegen Europas falsches Selbstbild

Carlos Lopes: The self-deception trap. Exploring the Economic Dimensions of Charity Dependency within Africa-Europe Relations. Palgrave Macmillan/Springer, Cham 2024, 252 Seiten, E-Book, Open Access oder 53,49 Euro Printausgabe

Carlos Lopes geht in seinem Buch "The Self-Deception Trap" Ursachen und Wirkungen von Fehleinschätzungen in den Beziehungen zwischen Afrika und Europa auf den Grund. Als früherer Diplomat und heutiger Professor in Kapstadt beleuchtet er die Probleme anschaulich.

Der in Guinea-Bissau geborene Entwicklungsökonom Carlos Lopes hat viele Jahre für die Afrikanische Union (AU) und für UN-Organisationen in Afrika gearbeitet. Entsprechend baut sein Buch vor allem auf seine umfangreichen Erfahrungen mit Verhandlungen zwischen Europäischer Kommission und AU auf. Darüber hinaus geht er auf wichtige postkoloniale afrikanische Theoretiker und Denker ein, beispielsweise Amílcar Cabral, der ebenfalls aus Guinea-Bissau stammt. Dabei ist sein Buch kein Theoriediskurs. Vielmehr schreibt er über konkrete Machtkonflikte zwischen europäischen und afrikanischen Verhandlungspartnern und strittige Themen in den europäisch-afrikanischen Beziehungen wie Migration. Anschaulich erläutert er unterschiedliche Wahrnehmungsmuster, etwa aus der kolonialen Vergangenheit, und darauf zurückzuführende heutige hier­archische Rollenzuweisungen von Gebern und Empfängern. Lopes moniert besonders andauernde, damit verbundene Selbsttäuschungen, die alle Beteiligten überwinden sollten.

Das faktenreiche Buch behandelt Finanzhilfen der EU für afrikanische Partner, aber auch die Abwehr afrikanischer Migranten an den Küsten und Außengrenzen der EU. Und es geht sehr ausführlich auf Handelsfragen ein. Hier kritisiert der Autor, dass die EU zu sehr partikulare Handelsabkommen verfolge und damit die Bemühungen um eine afrikanische Freihandelszone beeinträchtige. So habe sich das Taktieren der EU-Kommission bei Handelsverhandlungen mit der AU schädlich auf die Umsetzung von deren Plänen und Entwicklungszielen, etwa der Agenda 2023, ausgewirkt. Lopes gibt zu bedenken, dass überkommene Handels- und Wirtschaftsmodelle aus der Kolonialzeit Langzeitwirkungen im Denken der Planer hätten. So würden afrikanische Länder in den Köpfen europäischer Verhandler weiterhin vor allem auf den Status von Ressourcenlieferanten gedrückt. 

Die Strukturanpassungsprogramme internationaler Kreditgeber bewertet Lopes ebenfalls kritisch und moniert, dass sie afrikanische Staaten schädigten. Deren Regierungen seien in die Abhängigkeit von Gebern getrieben worden und ihre Kreditwürdigkeit werde von wenigen Ratingagenturen mit Oligopolstellung bestimmt. 

Anwalt Afrikas

Der Autor benennt allerdings auch Defizite im Auftreten der AU und von deren Mitgliedern: In etlichen Handels- und Wirtschaftsbereichen fehlten verbindende Strategien. Das beeinträchtige ihre aktive Rolle gegenüber Europa. Selbst in der Energie- und Klimapolitik hätten afrikanische Länder Probleme, strategische Prioritäten gegenüber der EU zu formulieren und diese auch durchzusetzen.

Trotzdem positioniert sich Lopes immer wieder als Anwalt Afrikas, wobei er – anders als viele EU-Vertreter, - den gesamten Kontinent in den Blick nimmt und nicht nur die Staaten südlich der Sahara. Von der EU verlangt er differenziertere Vorgehensweisen und mehr Kenntnisse über die vielfältigen Länder, Ökonomien, Gesellschaften und Strukturen auf dem südlichen Nachbarkontinent. 

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