Romantik und Feminismus

Angélica Lopes: Die Frauen der Familie Flores. München, Hanserblau 2025, 304  Seiten, 22 Euro

Angélica Lopes‘ Roman verbindet spannungsgeladene Handlung mit den großen Themen des brasilianischen Feminismus, erzählt über ein Jahrhundert hinweg.  

Um 1900 im ländlichen Brasilien: Ein angesehener Mann erlaubt sich kurz vor seinem Eheschluss einen Seitensprung mit einer Wahrsagerin. Als sie schwanger wird und das verheiratete Paar um Hilfe bittet, streitet er alles ab. Seine Frau glaubt ihm, die Wahrsagerin fällt in Trauer und hat nach der Geburt ihres Sohnes nicht ausreichend Milch, ihn zu stillen, er stirbt. Der Fluch, den sie daraufhin über das Brautpaar legt – sieben Generationen lang sollen die Männer in dieser Familie sterben – liegt Angélica Lopes‘ Roman zugrunde. 

Die bekannte Autorin von Telenovelas und „Young Romance“ nähert sich hier erstmals Themen wie Patriarchat, Femiziden und struktureller Gewalt in Brasilien an, über ein Jahrhundert hinweg bis heute. 

Aus der Ich-Perspektive von der jungen Inês erzählt, vierte Generation jener verfluchten Familie, folgt die Handlung dem Schicksal ihrer Freundin Eugênia, die einen deutlich älteren Adelsmann heiraten soll. Der angesehene Colonel betrachtet sie als Objekt; abgesehen vom „Vollzug der Ehe“ – ihrer regelmäßigen Vergewaltigung – ist er nicht an ihr interessiert. Eugênia und Inês kennen sich aus einer früheren Arbeitsgemeinschaft. Mit dem Sticken schöner Muster verdienten beide ihren Lebensunterhalt, bis Eugênia, nach ihrer Heirat, nicht mehr zurückkehren durfte. 

„Das Leben ist wie ein einziges Stickmuster“

Mit Sticken versucht Eugênia auch jetzt, ihrem Schicksal zu entkommen. Anstatt direkt jemanden um Hilfe zu bitten und dabei zu riskieren, dass sich ihre Situation verschlimmert, erfindet sie einen geheimen Code, den sie auf Schleier stickt, die bei Inês landen. So nimmt ein verflochtener und spannungsgeladener Plot seinen Lauf, dessen Verstrickungen und Kurven den Lesenden einem Code nicht unähnlich erscheinen mögen. Wie eine Figur zum Ende hin kommentiert: „Das Leben ist wie ein einziges Stickmuster, Kind. Alles hängt miteinander zusammen. Wären die Fäden anders verbunden worden, wäre ein anderes Muster herausgekommen.“

Das Muster führt die Autorin bis in die brasilianische Gegenwart, genauer die 2010er Jahre, wo die gerade achtzehn gewordene Alice, letzte der sieben Generationen, in Rio de Janeiro gegen Femizide protestiert. Im Radio hört sie vom Fall einer jungen Frau, die von ihrem Mann vergewaltigt wurde und nach ihrer Klage vor Gericht auch noch ihr Sorgerecht verlor. 

Schmucklos geschrieben, leicht zu lesen

Obwohl dem Roman diese schweren Themen zugrunde liegen, liest er sich leicht. Das mag daran liegen, dass der Fluch der Flores‘ zur Hoffnung avanciert, etwa wenn die unglückselige Eugênia ihn „in Wahrheit einen Segen“ nennt: „Hätte ich das Glück, diesen Namen zu tragen, wäre Aristeu schon längst tot.“ Aber der Leichtigkeit liegt auch Lopes‘ Stil zugrunde. Sie schreibt schmucklos, lässt keine Sprachspiele zu. Viele Figuren gleichen Archetypen; die politische Alice, mit ihren blau gefärbten Haaren, etwa, oder Inês‘ Tante, die streng religiös ist, aber es gut meint. Selten gibt es Ambivalenzen, viele Figuren haben eine klare Funktion für die Handlung, die manch eine Wendung nimmt, die an Booktok-Romanzen erinnert, inklusive verbotener Liebe. 

Kleine, unaufgelöste Ungenauigkeiten lassen vermuten, dass literarische Perfektion nicht Lopes‘ Ambition ist. Das reicht von überflüssigen Wiederholungen bis zur Fokussierung des gesamten Textes auf ein Mädchen, das gleichzeitig Teil der Handlung und allwissende Erzählerin ist. Bis zuletzt bleibt unklar, wann Inês das gesamte Wissen über die Gefühlswelten von Figuren erlangte, mit denen sie teilweise nicht einmal gesprochen hat.

Wer durch Spannung und Romantik unterhalten werden und gleichzeitig etwas Politisches lesen möchte, ist mit den „Frauen der Familie Flores“ gut bedient. Wer vom Setting ausgehend magischen Realismus mit literarischer Sprache erwartet, sollte vielleicht lieber woandershin greifen. 

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