Zivilgesellschaft an der Kette

Ein umstrittenes NGO-Gesetz in Russland sorgt für Aufruhr bei Menschenrechtsorganisationen. Auch in anderen Ländern wie Äthiopien, Kambodscha und Israel stehen nichtstaatliche Organisationen seit einiger Zeit zunehmend unter besonderer Beobachtung.

Im Juli unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, das Mitarbeiter von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), die finanziell aus dem Ausland unterstützt werden, als „Agenten“ einstuft: Sie müssen sich registrieren lassen und regelmäßig über ihre Arbeit und Finanzen Auskunft geben. Verstöße sollen mit Geldstrafen oder gar Gefängnis geahndet werden. Menschenrechtler befürchten nun, dass sie der Auslandsspionage bezichtigt werden.

Russland ist ein weiterer Staat auf einer langen Liste mit Ländern, die die Arbeit von nationalen oder ausländischen Organisationen an strenge Bedingungen knüpfen. In China, Indien oder Bangladesch beispielsweise müssen ausländische Spenden an zivile Gruppen zuerst von offizieller Stelle genehmigt werden. Die Staaten begründen ihr restriktives Vorgehen damit, dass mehr Transparenz unter der wachsenden Zahl von nichtstaatlichen Organisationen nötig sei. Menschenrechtler kritisieren, dass es mit derlei Gesetzen leichter werde, regierungskritischen Gruppen den Geldhahn zuzudrehen.

Andere Länder verzichteten aufgrund internationaler Proteste auf ähnliche Gesetzesvorhaben. So zog die kambodschanische Regierung 2011 einen Entwurf wieder zurück, der ebenfalls auf eine umfassende Beobachtung von nichtstaatlichen Organisationen abzielte. Doch „der zivilgesellschaftliche Freiraum“ in dem Land werde trotzdem „durch die Hintertür ausgehöhlt“, sagt Jutta Werdes vom Evangelischen Entwicklungsdienst. Es gebe bereits ein Gesetz, das die Versammlungsfreiheit einschränke, indem es Demonstrationen auf 200 Teilnehmer begrenze. Gegen Demonstranten oder Umweltaktivisten setze die Polizei zunehmend Gewalt ein.

Auch Israel geriet im vergangenen Jahr in die Kritik, weil zwei Gesetze der Regierung Netanjahu sich gezielt gegen linke israelische Organisationen in den besetzten palästinensischen Gebieten richteten. Demnach sollten gemeinnützige Organisationen nur noch maximal 20.000 Schekel jährlich, umgerechnet rund 4000 Euro, von ausländischen Regierungen erhalten dürfen. Die Zuschüsse sollten zudem mit 45 Prozent besteuert werden. „Für viele unserer Partnerorganisationen hätte dies schlicht das Aus bedeutet“, sagt Maria Haarmann vom katholischen Hilfswerk Misereor.

Die zwei Gesetzesentwürfe wurden zunächst wieder auf Eis gelegt, da das Oberste Gericht vor einer Klagewelle warnte. Spenden, die israelische Siedler von Privatpersonen aus dem Ausland erhalten, wären nicht besteuert worden – Juristen erkannten hier eine klare Benachteiligung von Organisationen, die sich für die palästinensische Bevölkerung einsetzen. Eine Drohkulisse bleibe trotzdem erhalten, sagt die Nahost- und Nordafrikareferentin Haarmann.

Autorin

Saara Wendisch

war bis August 2012 Volontärin bei "welt-sichten".

Als „akut beunruhigender“ bezeichnet sie die Situation in Ägypten. Dort müssten NGOs, deren Projekte aus dem Ausland unterstützt werden, bis zu einem Jahr auf die Genehmigungen warten, um starten zu können. Nach welchen Kriterien die Genehmigungen erteilt werden, sei unklar, sagt Haarmann. Oft wollten sich die erteilenden Behörden nicht festlegen, solange nicht klar sei, wer letztendlich an die Macht gelange. Auch könne es sein, dass die Regierung das Engagement radikal-fundamentalistischer Organisationen aus dem arabischen Ausland fürchte. Human Rights Watch wirft der ägyptischen Regierung vor, insbesondere militärkritischen Organisationen die Arbeitserlaubnis zu entziehen.

2009 verabschiedete Äthiopien ein Gesetz, nachdem sich nur noch solche einheimische Organisationen mit „gesellschaftlich sensiblen Themen“ wie HIV, Gender, Religionen, Justiz- oder Polizeireform befassen dürfen, die weniger als zehn Prozent ihres Budgets aus dem Ausland erhalten.

Ausländische Mitarbeiter von NGOs erhalten seitdem grundsätzlich nur noch in Einzelfällen Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. Das betrifft auch die Deutsche Welthungerhilfe, die dem Gesetz dennoch offener gegenübersteht als andere Hilfswerke: Dass vornehmlich nationale Fachkräfte eingesetzt werden, komme letztendlich dem Selbsthilfegedanken der deutschen Entwicklungszusammenarbeit entgegen, sagt Bruno Friedrich, zuständig für Ost- und Süd-Afrika. Friedrich räumt aber ein, dass es für seine Organisation leichter sei als für andere, da sie nicht zu politischen Themen arbeite.

Der britische Entwicklungsexperte und Oxfam-Mitarbeiter Duncan Green stellt in seinem Blog „From Poverty to Power“ die Frage, inwieweit es legitim ist, dass Staaten über zivilgesellschaftliche Organisationen Außenpolitik betreiben. Nicht nur die USA unterstützten gezielt oppositionelle Bewegungen, um Regierungen zu schwächen. Und sollten NGOs nicht genauso zur Transparenz verpflichtet sein wie Unternehmen? Natürlich, sagt Asienexpertin Werdes vom Evangelischen Entwicklungsdienst: In jedem Land gebe es Gesetze für die Arbeit von nichtstaatlichen Organisationen. Schwierig werde es nur, wenn die Arbeit behindert werde oder internationale Konventionen wie zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit unterlaufen werden.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2012: Südliches Afrika: Wohlstand nur für wenige
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