Afghanische Schülerinnen in der Provinz Herat. Beobachter und Aktivistinnen fürchten, dass die Taliban Mädchen und jungen Frauen erneut den Zugang zu Schulen und Bildung verwehren.
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Die Schule für Mädchen im Taliban-Land
Seit etwa einem Jahr betreibt Habib-ur-Rahman eine kleine Mädchenschule in seinem Haus in Badikehl, einem Dorf in Chost, einer abgelegenen Provinz im Südosten Afghanistans, in der die Taliban den Ton angeben. Das wäre vor dem 11. September 2001, als die Taliban noch das ganze Land beherrschten, undenkbar gewesen. Die Islamisten hatten damals jegliche Schulbildung für Mädchen verboten. Doch das hat sich geändert, berichten Dorfbewohner.
Manche der Mädchen in Rahmans Schule kommen aus Familien von Taliban, die offenbar keine Probleme mit der Schule haben. „Unter meinen Schülerinnen sind Töchter, Schwestern oder Nichten von Talibankämpfern. Die meisten dieser Männer leben nicht in unserem Dorf“, erklärt Rahman. „Sie sind mit Kämpfen beschäftigt und leben im Untergrund. Aber sie ermuntern ihre Verwandten, meine Schule zu besuchen und etwas zu lernen.“ „Mein Bruder ist ein Talibankämpfer, aber er hat nichts gegen die Schule“, sagt Latifa Khostai, eine von Rahmans Schülerinnen. „Er will, dass ich klug bin und etwas lerne.“
Trotz eines von den USA ausgehandelten Waffenstillstandsabkommens toben rund um das Dorf Kämpfe zwischen Taliban und afghanischen Streitkräften. Doch Rahman ist vorsichtig optimistisch, dass nicht alles wieder wird wie vorher. „Ich bin stolz auf meine Arbeit, sie trägt dazu bei, Vorurteile zu überwinden“, sagt der in der afghanischen Hauptstadt Kabul ausgebildete Lehrer. Der Islam messe Bildung einen hohen Stellenwert zu. „Das wissen auch die Taliban, obwohl ihre Position zur Bildung von Mädchen nicht so klar ist.“

Praktisch alle Regierungen Afghanistans sowie die Besatzungsmächte haben das Thema Frauenrechte politisch instrumentalisiert. Die Kommunisten inszenierten sich nach ihrem brutalen Staatsstreich Ende der 1970er Jahre als Befreier der afghanischen Frauen und betonten die Bedeutung von Bildung. Eine wichtige Rolle spielten dabei Propagandafilme über die angebliche Transformation der afghanischen Gesellschaft nach der sogenannten „Revolution“, wie die Kommunisten ihren Staatsstreich von 1978 bezeichneten. In diesen Filmen wurde die Befreiung der Frauen sehr eindeutig durch Miniröcke und Alkoholkonsum dargestellt. Gleichzeitig sank die Zahl der Schulen im ganzen Land infolge zahlreicher Schließungen, während viele Dissidentinnen in Geheimgefängnissen gefoltert und ermordet wurden.
Autoren
Emran Feroz
ist freier Journalist, Autor und Gründer von Drone Memorial, einem virtuellen Ort der Erinnerung an die zivilen Opfer des Drohnenkriegs. Der Text ist zuerst bei „Foreign Policy“ erschienen.Seit die USA Ende Februar ein Friedensabkommen mit den Taliban unterzeichnet haben, ist klar, dass diese Aufständischen früher oder später in irgendeiner Form an die Macht zurückkehren oder sich irgendwie mit der Regierung in Kabul arrangieren werden. Faktisch kontrollieren die Taliban schon jetzt weite Teile Afghanistans. Doch insbesondere in den Städten fürchten viele Afghaninnen und Afghanen immer noch einen Rückfall in die finstere Zeit des Talibanregimes. Vor allem glauben Beobachter und Aktivisten, dass die Taliban Mädchen und jungen Frauen wieder den Zugang zu Bildung verwehren werden.
Sowohl die Regierung in Kabul als auch die amerikanische Verhandlungsdelegation haben klargestellt, dass ein solcher Rückfall nicht in Frage komme. Die Führung der Taliban hingegen hielt sich in diesem Punkt bedeckt: „Wir sind nicht gegen Bildung von Frauen oder dagegen, dass Frauen arbeiten. Aber wir sind für die Beachtung islamischer Werte. Dies ist immerhin nicht der Westen“, erklärte Sher Mohammad Abbas Stanikzai, der Leiter des Büros der Taliban in Katar, kürzlich in einem Interview.

Die Dorfbewohner von Badikehl haben ihre Erfahrungen mit der widersprüchlichen Haltung der Taliban gemacht. Während einige Taliban weibliche Verwandte in Rahmans Schule schickten, in der heute 30 Schülerinnen unterrichtet werden, reagierten andere mit Drohungen. Der Dorfbewohner Akhtar Zaman berichtet, dass unbekannte Kämpfer die Schließung der Schule forderten, andernfalls werde dies „Konsequenzen“ für Rahman haben. Schließlich kontaktierten die Dorfbewohner die Familienmitglieder der Schülerinnen. „Wir haben mit den Taliban, die wir kannten, geredet. Sie wurden wütend und sagten, sie würden schon herausfinden, wer die Schule bedroht habe“, erzählt Zaman. „Da ihre eigenen Kinder die Schule besuchen, haben sie die Sache sehr persönlich genommen.“
Rahman musste auch gegen andere Widerstände kämpfen. Oft weigerten sich Familien, Mädchen in die Obhut eines Mannes zu geben, der nicht mit ihnen verwandt ist. Und viele konnten sich generell nicht mit der Idee anfreunden, Mädchen in eine Schule zu schicken. Doch im Laufe der Zeit und mit viel Geduld schaffte es Rahman, die meisten Dorfbewohner zu überzeugen. „Dem Wunsch nach Bildung nachzugehen, war immer schon ein Problem für afghanische Frauen“, sagt Mahbuba, die in Badikehl die Schule besucht und ihren Nachnamen nicht nennen will. Aber sie sei zuversichtlich, dass sich die Verhältnisse langsam ändern. „Ich freue mich, zur Schule gehen zu können und so viele Dinge zu lernen“, sagt sie. Mahbuba berichtet, dass auch in ihrer Familie anfangs Skepsis gegenüber ihrem Schulbesuch herrschte. Doch nach einiger Zeit unterstützten sie dann alle und ermutigten sogar andere Verwandte, ihre Töchter, Schwestern und Nichten ebenfalls zur Schule zu schicken. Mahbuba möchte eines Tages die Universität besuchen. „Wir sind ein wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft Afghanistans, aber ohne Bildung können wir unserer Rolle nicht gerecht werden“, erklärt sie.

Der Mangel an Schulbildung in Afghanistans ländlichen Gebieten kann nicht allein den Taliban angelastet werden. „Ich frage mich, ob die Regierung überhaupt weiß, dass ich eine Schule in meinem eigenen Haus in einem Dorf betreibe“, sagt Rahman. Seine Mittel sind bescheiden; die Schule hat er mit seinen privaten Ersparnissen und lokalen Spenden aufgebaut. „Die Leute reden meist nur von Schulen und Universitäten in Kabul. Aber was ist mit den Dörfern?“, fragt er. „Es ist, als würden wir gar nicht existieren.“
Seit dem Jahr 2002 hat die US-Regierung eine Milliarde Dollar ausgegeben, um in Afghanistan Schulen zu bauen, Klassenzimmer auszustatten und die Provinzen mit Schulbüchern zu überschwemmen. Doch der größte Teil des Geldes floss in die Taschen von Warlords und korrupten Beamten, viele Schulen blieben leer und verfielen wieder. Im Jahr 2015 waren mindestens 1100 der Schulen, die das afghanische Bildungsministerium 2011 gezählt hatte, gar nicht in Betrieb. Der Ausdruck „Geisterschulen“ machte die Runde. Auch wurde die Zahl der Mädchen häufig zu hoch angegeben, um noch mehr US-Hilfsgelder an Land zu ziehen. Kaum etwas versinnbildlicht so sehr das Versagen der Vereinigten Staaten in Afghanistan wie die ernüchternde Existenz dieser Geisterschulen, die von keinem Mädchen je betreten wurden.
Rahman weiß, dass er in Zukunft weitgehend auf sich allein gestellt bleibt, zumal die Amerikaner nun gehen. „Unsere Schule leistet sehr konkrete Arbeit“, sagt er. „Aber ich bezweifle, dass die Leute in den Hauptstädten im Westen oder in der Blase von Kabul sich für uns interessieren werden.“
Aus dem Englischen von Thomas Wollermann
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