„Der Druck von der Straße wird anhalten“

picture alliance / AA/Mahmoud Hjaj
In Khartoum demonstrieren die Menschen Ende Oktober gegen die Macht der Militärs und für den Erhalt einer Regierung aus Zivilisten
Sudan
Im Sudan wird der abgesetzte Premier wieder eingesetzt. Doch viele junge Leute wollen nun die Generäle von der Macht verdrängen und weiter friedlich für eine zivile Regierung demonstrieren. Sudan-Expertin Marina Peter erklärt die Hintergründe.

Marina Peter ist Beraterin für Analyse und Advocacy Ostafrika und Horn von Afrika bei Brot für die Welt sowie Vorsitzende des Sudan und Südsudan Forum e.V.
Das Militär im Sudan hat am 25. Oktober den Premierminister Abdalla Hamdok abgesetzt und ihn jetzt wieder eingesetzt. Ist der Putsch damit gescheitert?
Leider kann man das so nicht sagen. Das Militär unter General Abdel Fattah al-Burhan hat im Oktober den Premierminister abgesetzt und ihn sowie andere Minister unter Hausarrest gestellt, zwei Minister wurden verhaftet; aber es hat die Regierungsmitglieder offiziell gar nicht entlassen. Jetzt hat es eine Expertenregierung unter Hamdok zugestanden, damit die internationale Hilfe wieder fließen kann.

Die Minister waren nach dem Putsch handlungsunfähig, aber weiter im Amt?
Ja. Erst am 22.11. sind sie nach der Einigung zwischen Hamdok und Burhan auf die neue Expertenregierung aus Protest gesammelt zurückgetreten bis auf fünf, und von denen sind zwei im Gefängnis und zwei untergetaucht. Das entscheidende Gremium ist aber auch nicht die Regierung, sondern der Souveräne Rat, der nach der Revolution von 2019 eingerichtet worden ist. Damals haben die Protestbewegung der Forces for Democratic Change (FFC) und das Militär sich auf einen Kompromiss für eine Übergangsperiode zur Demokratie geeinigt, die Grundlage ist das Verfassunggebende Dokument. Danach sitzen im Souveränen Rat Militärs und Zivilisten gemeinsam und müssen zusammenarbeiten. Das war von vornherein ein schwieriges Konstrukt. Mit dem Putsch hat General Burhan nun am 25. Oktober die zivilen Mitglieder in dem Rat, die von den FFC vorgeschlagen worden waren, abgesetzt und durch selbst ausgewählte ersetzt. Und das wird jetzt nicht rückgängig gemacht. Im Verfassunggebenden Dokument war festgelegt, dass am 17. November 2021 der Vorsitz im Souveränen Rat, den Burhan innehat, an einen Zivilisten übergeben wird.

Was wollte Burhan mit dem Putsch erreichen – dass er den Vorsitz behält?
Ja, das war einer der Gründe. Gleichzeitig stand er unter Druck aus den eigenen Reihen. Denn ältere Generäle kontrollieren einen großen Teil der Wirtschaft. Sie haben Angst, dass aufgeklärt und verfolgt wird, was sie über die Jahre beiseite geschafft und an Geld ins Ausland verschoben haben. Es gibt im Militär andererseits Leute, die mit Burhan nicht einverstanden sind. Und nicht zuletzt gibt es starke Spannungen zwischen Burhan und Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, der die Rapid Support Forces anführt – spezielle Kräfte, die aus den Janjaweed-Milizen im Darfur-Krieg seit 2003 hervorgegangen sind. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Souveränen Rats. Burhan wollte in dieser Lage seine Macht beweisen, seinen Führungsanspruch ausbauen und vor allen Dingen den Einfluss der zivilen Kräfte und politischen Parteien loswerden. Deshalb dringt er jetzt auf eine Regierung aus sogenannten Technokraten statt aus Politikern. Bestärkt hat ihn paradoxerweise der Frieden, den die Regierung im August 2020 mit fünf Rebellengruppen aus einzelnen Landesteilen geschlossen hat. Deren Führer hat man in die Regierung geholt, zum Beispiel als Finanzminister. Sie haben die militärische Seite im Staat gestärkt, denn diese Leute haben fast alle jahrelang bewaffnet gekämpft und wenig Sympathie für die Zivilgesellschaft. Sie haben den Militärputsch unterstützt außer einem, der umgehend verhaftet wurde. Zwei von ihnen hat Burhan nun in den Souveränen Rat geholt.

Wie haben Militärs die Wirtschaft kontrolliert und ausgebeutet?
Das Militär war im Sudan fast dreißig Jahre an der Macht, der 2019 gestürzte Präsident Omar al-Bashir war ja auch ein General. In dieser Zeit haben sie immer mehr Wirtschaftsbetriebe übernommen. Sie hatten auch den Goldhandel unter Kontrolle, Hemeti und seine Truppen haben ebenfalls erheblich davon profitiert. Sie haben Angst, dass sie ihre Pfründe verlieren und dass der Korruption auf den Grund gegangen wird. Zum Kompromiss nach der Revolution gehört ja, dass eine Anti-Korruptions-Kommission geschaffen wurde. Es ist bezeichnend, welche Bestimmungen des Verfassungsgebenden Dokuments Burhan nach seinem Putsch außer Kraft gesetzt hat: Dazu gehören die über die Anti-Korruptions-Kommission und die, wonach die alten Islamisten keine Ämter mehr haben dürfen.

Welche alten Islamisten?
Die Mitglieder der Partei von Omar al-Bashir, der National Congress Party (NCP). Burhan und Hemeti sind beide Ziehsöhne von al-Bashir und viele hohe Militärs waren Mitglieder der NCP. Die Partei ist nach der Revolution 2019 verboten worden. Aber der alte Sicherheitsapparat wurde nicht aufgelöst, sondern hat im Untergrund mehr oder weniger offen weitergearbeitet. Viele junge Leute aus der Revolutionsbewegung haben gesagt, dass nicht das Militär auf sie geschossen hat, sondern Mitglieder dieses Sicherheitsapparats und Truppen von Hemeti. Nach dem Putsch im Oktober sind etliche dieser Sicherheitsleute, die 2019 verhaftet worden waren, freigelassen worden. Einige sind inzwischen erneut verhaftet worden. Das ist ein Zeichen, dass die Truppen von Burhan und die Einheiten von Hemeti nicht einig sind.

Nach dem Putsch hat Burhan versucht, mit Repressionsmaßnahmen wie Verhaftungen den Widerstand zu ersticken. Er ist aber vor unbegrenzter Gewalt nach dem Muster der Putschisten in Myanmar zurückgescheut, oder?
Zimperlich waren sie nun nicht: Das Militär hat nach dem Putsch mindestens 40 Menschen durch gezielte Schüsse getötet und Hunderte schwer verletzt, darunter auch Kinder. Aber es stimmt, natürlich hätten sie noch weit härter zuschlagen können.

Warum haben sie das nicht getan und sich auf einen neuen Kompromiss eingelassen?
Aus zwei Gründen. Der eine ist der Druck von der Straße. Dass die Menschen sich so schnell organisieren konnten, obwohl das Internet und Telefon blockiert wurde, und dass sie entschlossen weiter friedlich protestieren, obwohl teils mit brutaler Härte gegen sie vorgegangen wird, haben die Putschisten unterschätzt.

Haben hohe Militärs verstanden, dass sie gegen diesen Widerstand letztlich kaum regieren können?
Den Eindruck habe ich leider nicht. Eher hatten sie Sorge, mit dem Putsch die kleinen Erfolge der Regierung aufs Spiel zu setzen. Die Wirtschaft im Sudan liegt völlig am Boden, aber nach der Revolution ist die Zusammenarbeit mit der Weltbank wieder aufgenommen worden, ein umfangreiches Entschuldungsprogramm wurde aufgelegt, erste Gelder sind zugesagt und geflossen. Der zweite Grund ist Druck aus der Staatengemeinschaft: Geld, das dem Sudan zugesagt war, wurde nach dem Putsch sofort eingefroren – etwa von der Gruppe „Friends of Sudan“, in der Deutschland eine wichtige Rolle spielt, von der Weltbank und von den USA. Dagegen haben die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und wohl auch Saudi-Arabien den Putsch von Burhan zunächst wohlwollend gesehen und wahrscheinlich unterstützt. Doch die USA und Europa haben die Golfstaaten unter Druck gesetzt, sich zurückzuhalten. Die Frage war dann, was die Afrikanischen Union tun würde, in der Ägypten Mitglied ist. Sie hat ja den Grundsatz, keine aus einem Putsch hervorgegangene Regierung anzuerkennen. Auf einem Ministertreffen der EU und der AU in Ruanda konnte sie überzeugt werden, die Mitgliedschaft des Sudan wegen des Putsches zu suspendieren. Damit hatten die Putschisten nicht gerechnet.

Was genau beinhaltet der Kompromiss, der Hamdok wieder ins Amt bringt?
Er umfasst 14 Punkte, darunter: Premierminister Hamdok wird wieder eingesetzt, an der Spitze einer Regierung von sogenannten Technokraten. Das Verfassungsgebende Dokument soll weiter die Basis für den Übergang zur Demokratie bilden, aber modifiziert werden. Es ist unklar, ob alle darin enthaltenden Bestimmungen anerkannt werden – auch die, die Burhan nach dem Putsch gestrichen hatte. Es sollen, wie 2019 vereinbart, nach einer Übergangsperiode Wahlen abgehalten werden, aber es gibt in der Erklärung keinerlei Zeitangaben. Völlig unklar ist, wie viel Macht die Regierung in dieser Zeit haben wird im Verhältnis zum Souveränen Rat.

Wie soll der nun zusammengesetzt sein – wie vor dem Putsch?
Nein. Es sitzen weiterhin Militärs und Zivilisten darin, aber die Zivilisten sind nicht mehr von der Revolutionsbewegung entsandt, sondern von Burhan handverlesen. Offensichtlich wird Burhan auch den Vorsitz behalten, es ist völlig unklar, für wie lange. Entscheidende Schritte der Militärs werden also nicht rückgängig gemacht. Das ist für die Opposition ein großer Rückschritt. Die Verhaftungen von Oppositionellen gehen weiter, und zwar in erheblichen Umfang. Und am 26. November sind auch wieder Demonstrierende erschossen worden.

Die Demokratiebewegung lehnt die neue Verständigung mit den Militärs ab?
Ja. Viele Menschen auf der Straße akzeptieren das nicht, vor allem nicht die ganz jungen Leute. Sie sagen klar und deutlich, die Herrschaft von Militärs reicht uns ein für alle Mal und wir leisten so lange weiter friedlichen zivilen Widerstand, bis sie aufgeben. „Es gibt nicht genug Kugeln, unseren Traum zu töten“ hat jemand von ihnen jüngst getwittert. Die FFC erklären, dass man nach dem Putsch nicht zum Zustand davor zurückkehren kann, wie die Staatengemeinschaft es will, denn das Militär habe bewiesen, dass man ihm nicht trauen kann. Auch sie sind wild entschlossen, weiter Widerstand zu leisten. Und für viele von ihnen hat Hamdok, nachdem er in der Zeit seines Hausarrests zur Symbolfigur des Widerstands geworden war, mit der Zustimmung zu dem neuen Kompromiss jedes Vertrauen verspielt. Das schwächt seine Stellung gegenüber den Militärs weiter.

Aber die EU, die USA und die AU begrüßen den Kompromiss?
Ja, denn ihnen geht es in erster Linie um Stabilität und darum, größeres Blutvergießen zu verhindern. Der Vertreter der UN in Khartum, Volker Perthes – der frühere Leiter der SWP in Berlin –, hat auch mit Vertretern der Opposition gesprochen, aber gleich danach sind Mitglieder der FFC verhaftet worden. Die jungen Leute und die Nachbarschaftskomitees in den Städten, nicht nur in Khartum, sind die treibenden Kräfte der Revolution und fühlen sich ausgegrenzt. Man muss ihnen mehr zuhören.

Eröffnet der Putsch denn eine realistische Chance, die Militärs von der Macht zu entfernen?
Kaum, zumindest nicht kurzfristig. Das werden die Militärs freiwillig nicht akzeptieren. Aber der Druck von der Straße wird anhalten. Kurzfristig sind also die Aussichten nicht gut; es kann sein, dass es noch mehr Blutvergießen gibt. Darüber hinaus gehen alle Fachleute davon aus, dass es früher oder später zum offenen Kampf zwischen Burhan und Hemeti kommt, der sich während des Putsches sehr geschickt öffentlich zurückgehalten hat. Er hat große Ambitionen. Und die alten Seilschaften sind längst nicht besiegt.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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