Leben in ständiger Angst und Unsicherheit

Kirche und Ökumene
Deutschland und die Europäische Union müssen mehr gegen das Verbrechen des gewaltsamen Verschwindenlassens von Menschen tun. Dies war das Fazit einer Veranstaltung von Misereor und Justitia et Pax Mitte Mai in Berlin. 

Gewaltsames Verschwindenlassen ist ein grausames Verbrechen. Und es wird zu einem gesellschaftlichen Problem, wenn die Behörden eines Landes sich nicht ernsthaft um die Aufklärung eines jeden Falles bemühen und politische Eliten mit den Tätern gemeinsame Sache machen. Allein in Mexiko geht man heute von fast 100.000 Menschen aus, die gewaltsam verschwinden gelassen wurden, sei es von kriminellen Gruppen, sei es von den Sicherheitskräften oder dem Militär. 

Die Angehörigen wissen oft jahrelang nichts über das Schicksal ihrer Väter, Mütter, Söhne oder Töchter. Was dies für Familien bedeutet, haben zwei Frauen aus Kolumbien und Mexiko auf der Konferenz in Berlin deutlich gemacht. Sie berichten, dass sie in ständiger Angst und Unsicherheit leben. Sie betonten, wie wichtig die Unterstützung von Menschenrechtsgruppen sei, die sich für die Aufklärung der Einzelfälle einsetzen und Druck auf die Behörden machen. 

Anschließend berichteten zwei Vertreter von Menschenrechtsorganisationen aus Kolumbien und Mexiko, wie das Desinteresse der Behörden an der Aufklärung von Vermisstenfällen und der Mangel an politischem Willen, mehr Rechtsstaatlichkeit zu schaffen, das gewaltsame Verschwindenlassen in ihren Ländern zusätzlich befördere. Die Fallzahlen nähmen zu. 

Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft müssen an einem Strang ziehen

Franz Marré, Referatsleiter für Lateinamerika im Bundesentwicklungsministerium (BMZ), nannte als Ursache und Nährboden außerdem das hohe Gewaltpotenzial in den jeweiligen Gesellschaften. Es fehle der gesellschaftliche Konsens, dass Konflikte nicht mit Gewalt, sondern nur im Dialog gelöst werden sollten. Das BMZ sei diesbezüglich zwar in einem guten Austausch mit Partnerorganisationen vor Ort. Aber erst wenn solche Gespräche auch auf Ministerebene, von der Außenministerin oder dem Bundeskanzler mit ihren Amtskollegen geführt würden, gebe es eine Chance, dass das Problem wirksam angegangen werde. „Das Ansehen von Deutschland als Vermittler oder Moderator ist in Lateinamerika sehr hoch“, sagte Marré. Und auch wenn das Gebot der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten gelte, gebe es Möglichkeiten der Einflussnahme. „Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft müssen da an einem Strang ziehen“, sagte Marré.

Auch auf internationaler Ebene wird mittlerweile mehr Druck gemacht. So haben die Vereinten Nationen 2010 den Ausschuss gegen das Verschwindenlassen gegründet, dessen Vize-Vorsitzende, Barbara Lochbihler, bei der Podiumsdiskussion allerdings vor zu hohen Erwartungen warnte. Die Arbeit des Gremiums hänge neben der guten Fachinformation von Menschenrechtsorganisationen vor Ort auch davon ab, wer gerade an der Macht sei und ob eine Regierung mit dem Ausschuss zusammenarbeiten wolle oder nicht. Deswegen sei es wichtig, dass Länder wie Deutschland das Thema bei bilateralen Verhandlungen hochhielten und den Aufbau von funktionierenden, rechtsstaatlichen Strukturen unterstützten. Deutschland und die EU-Länder könnten die Länder außerdem bei der Identifikation von Leichnamen und sterblichen Überresten mittels moderner forensischer Technik helfen. „Die Verantwortlichen, die in den Ländern wirklich etwas verändern können, müssen in die Pflicht genommen werden“, sagte Lochbihler.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2022: Das Zeug für den grünen Aufbruch
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