Konzernverantwortung revisited

KEYSTONE/Urs Flueeler
Protest gegen die Geschäftspraktiken des Schweizer Rohstoffhändlers Glencore in Zug anlässlich der Glencore-Generalversammlung Ende Mai 2023.
Schweiz
Der Evaluationsbericht zum Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte bestätigt die Zivilgesellschaft: Es braucht griffige Regeln, die Firmen dazu verpflichten, die Menschenrechte einzuhalten.

Der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) beschreibt, wie die Schweiz die 2011 beschlossenen UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen will, also wie stark sie sich für Konzernverantwortung engagiert. In den vergangenen Jahren hat sie vor allem auf Freiwilligkeit gesetzt: Es gab Informationen und Aufklärung für Großkonzerne und Kleinunternehmen, aber kaum gesetzliche Regulierungen.

Das scheint sich zu ändern. Zumindest suggeriert dies der Evaluationsbericht zum NAP für die Jahre 2020-2023 und die Stellungnahme des Außendepartements EDA und des Wirtschaftsdepartements WBF, die Ende November veröffentlicht wurden. Die meisten Unternehmen, heißt es in der Evaluation, seien der Ansicht, „dass Veränderungen vorwiegend durch regulatorische Vorgaben, Investor/innen, öffentlichen Druck sowie Medienberichterstattung vorangetrieben werden“.

Der Bericht, der vom Menschenrechtszentrum der Universität Zürich, der Anwaltskanzlei „Good Anwälte“ und der Beratungsfirma „engageability“ erarbeitet wurde, und die Stellungnahme der Behörden anerkennen, was die zivilgesellschaftliche Seite schon lange sagt: dass es Gesetze braucht, um sicherzustellen, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz in ihren Geschäften die Menschenrechte einhalten. Zuletzt hat dies die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) gefordert, die im Herbst 2020 zwar vom Volk angenommen, von einer Mehrheit der Kantone jedoch abgelehnt wurde. Sie wollte erreichen, dass Schweizer Firmen für Menschenrechtsverletzungen von Tochterfirmen im Ausland haftbar gemacht werden können. Das Gesetz, das der Bundesrat stattdessen schließlich verabschiedet hatsieht nur für die Bereiche Kinderarbeit, Konfliktmineralien sowie – später hinzugekommen – Zwangsarbeit eine Sorgfaltspflicht vor – die zudem viele Ausnahmeregelungen enthalte und dehalb wenig griffig sei, kritisieren NGOs.

Das EU-Lieferkettengesetz als Ansporn

Der Zugang zu Wiedergutmachung ist neben dem staatlichen Schutz der Menschenrechte und der Pflicht der Unternehmen, selbst die Menschenrechte zu achteneine von drei Säulen der UN-Leitprinzipien. „Die Evaluation erwähnt explizit, dass dies bisher weder von Unternehmen noch vom Staat ausreichend umgesetzt wird und dass es hier einen größeren Fokus braucht“, sagt Anina Dalbert von der Organisation Public Eye.

Dass sich in der Schweizer Politik nun etwas bewegt, hängt vor allem mit der veränderten Rechtslage in europäischen Nachbarländern zusammen. Mitte Dezember haben sich das Europaparlament und die EU-Staaten auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Dieses sieht eine Sorgfaltsprüfungspflicht und die Schaffung einer Aufsichtsbehörde vor, um die Einhaltung zu überwachen. „Damit geht das EU-Gesetz noch etwas weiter als die damalige Konzernverantwortungsinitiative“, sagt Dalbert.

Weil das EU-Gesetz auch für bestimmte Firmen mit Sitz im Ausland gelten soll, könnte es Folgen für viele Schweizer Unternehmen haben. Dies könne gar dazu führen, dass Schweizer Firmen nun selbst vom Bund strengere Regeln fordern, weil es für sie einfacher ist, wenn die Schweizer Gesetzgebung jener der EU entspricht, sagt Laurent Matile von Alliance Sud, dem Netzwerk Schweizer Hilfsorganisationen. „Wir fordern und gehen davon aus, dass die Schweiz ihre Gesetzgebung anpassen wird“, sagt Matile. 

Fragwürdige Methodik, fragwürdige Ergebnisse

Kritik übt Matile am zweiten Bericht zur Unternehmungsverantwortung der Beratungsfirma Ecofact und des Soziologischen Instituts der Universität Zürich, der gleichzeitig mit der Evaluation des NAP veröffentlicht wurde. Dieser sollte prüfen, ob und wie weit Schweizer Firmen die UN-Leitprinzipien sowie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen einhalten. Die Methode des Berichts sei jedoch fragwürdig, sagt Matile. Er komme zum Schluss, dass 70 Prozent der großen Unternehmen und 40 Prozent der KMUs sich an die Leitlinien halten. Tatsächlich dürften es aber nur rund 30 Prozent der Großfirmen und weniger als fünf Prozent der KMUs sein.

Die Koalition für Konzernverantwortung, zu der auch Public Eye und Alliance Sud gehören, hat indes angekündigt, eine neue Initiative für Konzernverantwortung lancieren zu wollen. Damit wolle man sicherstellen, dass im politischen Verfahren ein mögliches neues Gesetz nicht verwässert oder ewig verzögert werde, so Dalbert von Public Eye. 

Die Politik könnte beispielsweise davor zurückschrecken, eine Aufsichtsbehörde zu schaffen – mit dem Argument, dass man Firmen nicht unnötig kontrollieren will. Sie sei jedoch eine wichtige Ergänzung zum Haftungsmechanismus, sagt Dalbert. Sie könnte bei Verstößen Bußen ausstellen, zudem könnten zivilgesellschaftliche Organisationen präventiv Beschwerden einreichen, statt nur Betroffene im Schadensfall. „Vor Gericht geht es um Menschenrechtsverletzungen, die bereits passiert sind. Eine Aufsichtsbehörde kann früher eingreifen“, sagt Dalbert.

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