Warum beansprucht Venezuela einen Teil von Guyana?

Kurz erklärt
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hat im April ein Gesetz erlassen, mit dem die Region Essequibo im Nachbarland Guyana zu einem venezolanischen Bundesstaat erklärt wird. Dahinter steckt vor allem politisches Kalkül, erklärt Jesus Renzullo vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.

Jesus Renzullo hat an der Universität von Venezuela in Caracas Internationale Beziehungen studiert und ist Research Fellow am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.

Was steckt hinter diesem Streit?

Die Besitzansprüche für dieses Gebiet sind schon umstritten, seit Guyana im 16. Jahrhundert von den Niederlanden kolonisiert wurde. Damals beanspruchte Spanien das Gebiet für sich, schaffte es aber nicht, es zu kontrollieren. 1814 fiel Niederländisch Guyana  dann mit dem Britisch-Niederländischen Vertrag an Großbritannien. Aber Großkolumbien, das 1819 von Spanien geschaffen wurde und zu dem Venezuela damals gehörte, beanspruchte das Territorium weiterhin für sich. Nach einem internationalen Schiedsspruch 1899 in Paris musste es seinen Anspruch aufgeben. Seit aber Mitte des 20. Jahrhunderts Dokumente eines beteiligten venezolanischen Anwalts öffentlich wurden, laut denen der Pariser Richter aus politischen Gründen zugunsten Großbritanniens entschieden hätte, fordert Venezuela erneut die Souveränität über Essequibo. Seit 2018 liegt der Fall dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag vor.

Und warum eskaliert dieser Konflikt jetzt?

Das hat vor allem politische Gründe. Im Juli sind Präsidentschaftswahlen in Venezuela, und Nicolás Maduro fürchtet die Opposition. Deren aussichtsreichster Kandidatin, María Corina Machado, hat seine Regierung gerade die Ausübung öffentlicher Ämter für 15 Jahre verboten. Trotzdem deuten Umfragen auf einen Erfolg des Oppositionsbündnisses hin, das sich bereits auf einen neuen Kandidaten, Edmundo González, geeinigt hat. Der Streit mit Guyana liefert der Regierung eine gute Möglichkeit, neue Themen zu setzen und bei der Bevölkerung zu punkten – denn so gut wie alle Venezolaner sind überzeugt, dass Essequibo zu Venezuela gehört, das ist ein ganz emotionales Thema. Außerdem geht es um Erdöl.

Weil der US-amerikanische Konzern ExxonMobil 2015 erstmals Erdöl an der Küste vor Essequibo gefunden hat?

Ja. Seitdem hat Guyana etliche Ölquellen erschlossen und hat heute mit über 20 Prozent Wirtschaftswachstum seit 2020 den Spitzenplatz unter den Ländern der Welt. Das kann Venezuela nicht recht sein. Das Säbelrasseln und Drohen mit militärischem Einschreiten hat nicht zuletzt das Ziel, die Ölförderung in Essequibo zu unterbrechen. Allerdings hat ExxonMobil bereits signalisiert, dass sie sich von Venezuela nicht stören lassen werden.

Für wie groß halten Sie das Risiko einer militärischen Auseinandersetzung?

Dazu wird es nicht kommen, Venezuela wird da nicht militärisch reingehen. Zum einen ist ihre militärische Ausrüstung nicht mehr richtig funktionstüchtig – und Russland, das sie ansonsten unterstützen würde, ist militärisch gerade anderweitig engagiert. Zum anderen weiß Maduro, dass er damit die Staaten der Region und weit darüber hinaus gegen sich aufbringen würde. Es sieht schlecht aus für Venezuela, und vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat es auch nichts Gutes zu erwarten.

Wieso nicht?

Es gibt kaum Dokumente aus der Zeit vor der Unabhängigkeit, mit denen die Landfrage zweifelsfrei geklärt werden könnte. Und die Bevölkerung von Essequibo spricht Englisch und hat guyanische Pässe. Würde dort im Zuge der Selbstbestimmung eine Volksbefragung abgehalten, würden sich die Menschen bestimmt nicht mehrheitlich für Venezuela entscheiden.

Das Gespräch führte Barbara Erbe.

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