Tauziehen um EU-Verordnung gegen Entwaldung

ISSOUF SANOGO/AFP via Getty Images
Virginijus Sinkevičius, bis Juli EU-Kommissar für Umwelt, besucht im April dieses Jahres die Côte d'Ivoire und informiert sich auf einer Plantage über den Kakaoanbau. Gefährdet die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten kleine landwirtschaftliche Betriebe wie diesen?
Brüssel
Die Kritik an der EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten wächst; Regierungen sowie Industrieverbände fordern eine Verschiebung. Umweltorganisationen und die EU-Kommission weisen das zurück.

Nach der vor einem Jahr vom Europäischen Parlament beschlossenen Verordnung müssen Importeure und Händler von Rindfleisch, Kaffee, Kakao, Palmöl, Soja, Holz und Kautschuk nachweisen, dass die Waren, die sie in der EU  verkaufen, ohne die Abholzung von Wäldern produziert wurden. Die Verordnung tritt am 30. Dezember in Kraft und gilt zunächst für Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten; für kleinere Firmen gilt eine Übergangsfrist bis Juni 2025. 

Einige europäische Staaten wie Österreich, in denen die Land- und Forstwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, aber auch Entwicklungs- und Schwellenländer, die die betroffenen Produkte exportieren, kritisieren die Verordnung. So monieren laut einem Bericht von „Politico“ die Landwirtschaftsminister der lateinamerikanischen Staaten Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Paraguay und Uruguay in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Verordnung missachte die Rechtslage, die Verhältnisse und die Kapazitäten in den betroffenen Ländern. Hingegen haben sich brasilianische Umweltorganisationen bereits im Mai in einem Brief an die Kommissionspräsidentin mit Nachdruck für die Verordnung als wichtiges Instrument zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes ausgesprochen.

Kritik kommt auch aus der Wirtschaft, etwa von Kaffeeröstern, und sogar von Fairtrade International, dem internationalen Verband für fairen Handel. Beide argumentieren, die EU-Verordnung könnte vor allem Kleinbauern überfordern, die in Ländern des globalen Südens Kaffee oder Kakao anbauen und an Kaffeeunternehmen und Schokoladehersteller auf dem EU-Markt liefern. Denn sie müssten ihren Abnehmern Geodaten und andere Informationen liefern, die belegen, dass für ihre Produkte kein Wald abgeholzt wurde. Das sei vor allem für kleinbäuerliche Betriebe schwierig. Für sie bestehe deshalb das Risiko, dass sie zugunsten größerer Zulieferer aus dem Markt gedrängt werden, die die erforderlichen Daten leichter liefern können.

Es gibt Lösungen für Kleinbauern

Lioba Schwarzer von der Tropenwaldschutzorganisation OroVerde wundert sich über die Einwände mancher Unternehmen: „Die Industrie kritisiert jetzt Nachteile für Kleinbauern, um deren Anliegen sie sich bisher jahrzehntelang wenig gekümmert hat.“ Für viele Kleinbauern sei es zwar herausfordernd, die erforderlichen Daten zu liefern, sagt Schwarzer. Aber es gebe zunehmend Lösungen dafür, die allen Beteiligten brächten. In Ghana und der Côte d’Ivoire etwa, den beiden größten Kakaoproduzenten der Welt, arbeiten die Regierungen zusammen mit Kleinbauern und den nationalen Verbänden der Kakaoproduzenten an Verfahren, mit denen sich die Herkunft und die Lieferkette geernteter Kakaobohnen bis zum Ursprung zurückverfolgen lassen soll. 

Schwarzer teilt indes die Kritik von Fairtrade International, dass die EU-Kommission erst fünf Jahre nach Inkrafttreten prüfen will, wie sich die Verordnung auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft auswirkt. „Es ist sehr riskant abzuwarten, welche negativen Folgen eintreten, und dann erst zu handeln.“ Es müsse stattdessen jetzt schon ermittelt werden, was Produzenten brauchen, „um nicht auf der Strecke zu bleiben“. Zusammen mit anderen Organisationen wie der Deutschen Umwelthilfe, Germanwatch und Inkota hat OroVerde einen zwanzigseitigen Faktencheck veröffentlicht, der Fehlannahmen korrigiert, die nach Ansicht von Kritikern gegen die Entwaldungsverordnung sprechen.

Die EU-Kommission lehnt es ab, das Inkrafttreten der Verordnung zu verschieben. Zur Kritik daran sagt ein Kommissionssprecher auf Anfrage, Kleinbauernverbände aus verschiedenen Ländern hätten betont, „dass die Verordnung eine Chance für sie sein könnte, insbesondere wenn sie von gezielten Unterstützungsmaßnahmen begleitet wird“. Der Besitz von Geolokalisierungsdaten könne Kleinbauern „eine stärkere und unabhängigere Position in der Wertschöpfungskette“ verschaffen, was wiederum fairere Preise zur Folge haben könne. Zudem könne eine besser rückverfolgbare Wertschöpfungskette Kleinbauern helfen, neue Märkte zu erschließen und sich auf die Nachhaltigkeit ihrer Produkte zu konzentrieren. 

EU-Entwicklungspolitiker verteidigen die Verordnung

Auch der EU-Entwicklungspolitiker Udo Bullmann verteidigt die Verordnung. Die EU müsse ihre Außenhandelsinstrumente „konsequent nutzen, um die Nachhaltigkeitsstrategie 2030 auch global voran zu bringen“, sagt Bullmann, der für die SPD im Europäischen Parlament sitzt. Ein „Roll-back“, werde es „mit uns nicht geben“. Stichhaltige Kritik müsse allerdings ernst genommen werden. So müssten Partner im globalen Süden künftig von Anfang an in die EU-Gesetzgebung einbezogen werden, wenn sie davon betroffen seien. „Genau das sollten wir von Seiten des EU-Parlaments in der neuen Wahlperiode anstreben."

Lioba Schwarzer von OroVerde weist das in diesem Zusammenhang von manchen Kritikern vorgebrachte Argument zurück, die EU-Verordnung sei „neokolonial“, weil sie anderen Ländern eigene Regeln aufdränge. Das sei falsch, denn tatsächlich übernehme die EU mit der Verordnung endlich Verantwortung für die von ihr durch Konsum und Handel verursachte Entwaldung weltweit und wolle sie abstellen.

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