Folgenschweres Versäumnis

Als die EU vor vier Jahren eine neue Regelung zur Förderung von Projekten im Rahmen der EU- Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet hat, haben die maßgeblichen Leute nicht aufgepasst und eine Kleinigkeit vergessen – mit der Folge, dass Hilfsorganisationen Steuern und Zölle nun generell nicht mehr als Projektkosten angeben dürfen. Ihnen drohen zusätzliche Ausgaben in Millionenhöhe.

Normalerweise gilt für von Brüssel geförderte Vorhaben im Ausland wie auch im EU-Binnenmarkt, dass Steuern, Zölle und Abgaben, „die zurückerstattet werden“, nicht als Projektkosten angerechnet werden dürfen. Das macht auch Sinn, denn Vorzölle und Mehrwertsteuern auf Waren und Dienstleistungen, die in andere Länder geliefert werden, werden in den jeweiligen EU-Staaten erstattet, aus denen sie stammen. Eine zusätzliche Kostenerstattung aus dem EU-Budget wäre deshalb nicht gerechtfertigt.

Dieser kleine Passus, dass nur solche Abgaben nicht als Projektkosten angerechnet werden können, die ohnehin erstattet werden, fehlt jedoch in den Regeln für das gesamte „Instrument der EU-Entwicklungszusammenarbeit“ (DCI), wie es im Brüsseler Jargon heißt, ebenso wie in den Finanzregeln des „Instruments“ der EU zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten (EIDHR). Die Budgets dieser beiden Instrumente sind für den Zeitraum 2008 bis 2013 auf 2,2 Milliarden beziehungsweise 160 Millionen Euro jährlich festgelegt. Finanziert wird daraus eine Vielzahl von Programmen – von agrartechnischer Ausbildung in Lateinamerika bis zum Urwaldschutz auf Borneo, von Grundschulmaterial zu Demokratie in Südostasien bis zu Bürokosten von Menschenrechts- und Bürgerinitiativen in Ländern rund ums Mittelmeer und in Osteuropa, nicht zu vergessen die EU-Zuschüsse zur entwicklungspolitischen Bildung in der EU selbst.

Fast alle solcher Vorhaben werden von nichtstaatlichen Organisationen durchgeführt – und die dürfen nun wegen dieses Fehlers seit 2008 sämtliche Steuern und Zölle, die sie vor Ort zahlen, nicht mehr als Projektkosten angeben. Einer Berechnung des NGO-Dachverbands Concord Europe zufolge betrifft das im Durchschnitt 7,1 Prozent der gesamten Projektkosten, in manchen Fällen sogar mehr als 15 Prozent. Die müssen die betroffenen Organisationen nun aus eigenen Mitteln bestreiten, was gerade von Organisationen aus Entwicklungsländern kaum zu leisten ist. Im Effekt werden diese damit regelrecht bestraft, wenn sie sich auf Vorhaben mit EU-Förderung einlassen.

Concord war dieser Missstand schon 2008 aufgefallen. Doch damals hatten die EU-Rechnungsprüfer noch keine Rückzahlungen gefordert, denn die EU-Mühlen mahlen langsam. Erst seit diesem Frühjahr kommen die ersten Prüfungen für Vorhaben in Gang, die seit Anfang 2008 beantragt wurden. Auf unzählige NGOs kommen nun möglicherweise Rückforderungen oder Abstriche bei den Kostenerstattungen in Millionenhöhe zu.

Die EU-Kommission kann das Gesetz „nicht missachten“

Und niemand kann das anhalten. Die Finanzregeln ebenso wie die Entwicklungshilfe-Instrumente für den Zeitraum 2008 bis 2013 sind eherne EU-Gesetze. Zwar sollte 2009/2010 eine Zwischenprüfung (Mid-Term Review) stattfinden, aber die kann nicht erfolgen, weil sich das EU-Parlament und der EU-Ministerrat auf Grund des EU-Vertrags von Lissabon über die Zuständigkeit streiten. Die EU-Kommission ist nach eigener Aussage „nicht in der Lage, das Gesetz zu missachten“. Sie empfiehlt den Hilfsorganisationen deshalb, sich in den Einsatzländern um „Ausnahmegenehmigungen“ zu bemühen, um die Zahlung von Steuern und Zöllen zu vermeiden. Dabei hat die Kommission noch im April in einer „Mitteilung“ zum Thema Steuern und Entwicklung darauf gedrungen, die Entwicklungsländer sollten ihre Steuer- und Zollbehörden dazu anhalten, mehr eigene Mittel aufzubringen. Für Concord ist das ein klarer Fall von Inkohärenz zwischen offiziellen EU-Verlautbarungen und der Praxis.

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2010: Andenländer, alte Kulturen neue Politik
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