Arme machen nur Urlaub im Heimatdorf

Sam Olukoya
Der Karneval in Calabar im Bundesstaat Cross River ist eins der größten Straßen­feste Afrikas; jedes Jahr reisen Tausende Nigerianer dorthin.
Nigeria
Die reichsten Nigerianer machen ähnlich luxuriöse Reisen wie die Superreichen aus Europa und Amerika. Für die Mittelschicht gibt es Attraktionen im Land, und die arme Mehrheit reist vor allem für Feste zur Familie.

Der nigerianische Milliardär Femi Otedola ist für seine extravaganten Reisen bekannt. Während eines Ferienaufenthalts in Monaco ist er einmal im Privatjet für eine Stunde nach Italien geflogen, um Eiscreme zu kaufen. Eine seiner Töchter beschrieb das als „kurzen Zwischenstopp zum Eis­essen in Italien“ in einem „wirklich tollen“ Urlaub. 

Der Geschäftsmann, dessen Reichtum aus der Ölindustrie, Immobiliengeschäften und dem Bankwesen stammt, gönnt sich und seiner Familie häufig extravagante Auslandsurlaube und teure Geschenke. Zu seinem 60. Geburtstag charterte er vor drei Jahren die Superjacht „Christina O“ für drei Wochen. Laut Medienberichten könnte die Kreuzfahrt die Familie etwa zwei Millionen US-Dollar gekostet haben. Die langen Auslandsurlaube Otedolas können schon mal bis zu zwei Monate dauern. 

Zu seinen bevorzugten Zielen gehört Monte Carlo, Monacos beliebtestes Urlaubsziel für Reiche. Dort besitzt er auch eine Villa mit Blick auf die berühmte Rennstrecke, auf der alljährlich der Große Preis von Monaco der Formel 1 ausgetragen wird. Auch in Orten wie Dubai, London und New York besitzt Otedola komfortable Villen. Seine Kinder leben auf ähnlich großem Fuß wie ihr Vater. So mietete eine seiner Töchter während eines Urlaubs in Dubai ein komplettes Kino, um dort mit ihrem Freund den amerikanischen Superheldenfilm „Black Panther“ zu schauen. 

Luxusshopping, Nachtleben, extravagante Hotels und unberührte Strände 

Die Familie Otedola ist ein Beispiel dafür, wie reiche Nigerianer Urlaub machen: Sie reisen oft in Privatjets und Luxusjachten und shoppen im Ausland gern Luxusartikel wie Taschen, Sonnenbrillen oder Schuhe. Zu ihren bevorzugten Zielen gehören Orte im Nahen Osten wie Dubai, die extravagante Hotels, erstklassige Einkaufsmöglichkeiten und ein pulsierendes Nachtleben bieten. Auch die Karibik ist beliebt bei reichen Nigerianern, hier vergnügen sie sich an unberührten Stränden und in erstklassigen Resorts. Auch in westliche Länder wie das Vereinigte Königreich, Frankreich oder die USA reisen sie gern. 

Orte wie Dubai und die Karibik sind sehr geeignet für rauschende Feste. Die prominente Geschäftsfrau Aisha Achimugu etwa flog 2024 mit einer Gruppe von Nigerianern auf die Karibikinsel Grenada, um dort sieben Tage lang ihren 50. Geburtstag zu begehen – inklusive Strandaufenthalte, Partys und Auftritte etlicher Künstler. Medienberichten in Nigeria zufolge kostete der Geburtstag rund eine Million US-Dollar.

Lagos ist für die Mittelschicht ein beliebtes Reiseziel

Anders als die Superreichen verbringen Angehörige der nigerianischen Mittelschicht und erst recht die mehrheitlich arme Bevölkerung ihre freien Tage in der Regel zu Hause. Zur Mittelschicht zählen hohe Angestellte beim Staat und im Privatsektor und etwa Geschäftsleute, Ärzte, Rechtsanwälte und Bankiers; diese Schicht macht nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank etwa 23 Prozent der Bevölkerung aus. Lagos, die größte Stadt und Handelsmetropole Nigerias, ist besonders für sie ein beliebtes Reiseziel. Die Küstenstadt hat zahlreiche Strände, private Badeorte und touristische Sehenswürdigkeiten, die für die Mittelschicht erschwinglich sind.

Autor

Sam Olukoya

ist freier Journalist in Lagos (Nigeria).

Etwa das Lekki Conservation Centre: Durch dieses riesige Feuchtgebiet zieht sich eine 22,5 Meter hohe Plattform, von der aus Besucher des Naturreservats Affen, Krokodile, Schlangen, Buschböcke, Schweine und verschiedene Vögel beobachten können. Eine weitere Attraktion, die vor allem von der Mittelschicht besucht wird, ist das Obudu Mountain Resort im Hochland der tropischen Wälder des Cross River State. Die Ranch ist bekannt für atemberaubende Aussichten auf eine üppige Vegetation und auf Wasserfälle. Auch der Karneval von Calabar, der jedes Jahr im Dezember in der Hauptstadt des Bundesstaates Cross River stattfindet, zieht Tausende nigerianische Touristen an. 

Dieses größte Straßenfest in Afrika dauert zwei Wochen und ist ein farbenprächtiges Ereignis mit Paraden, Musik und Tanz; einheimische und internationale Musiker, Schauspieler und Schauspielerinnen treten auf. Tagesausflüge zu solchen Zielen sind relativ erschwinglich, aber Reisen mit Hotelübernachtungen können schnell das monatliche Einkommen übersteigen; sie kommen in der Regel nur für die gehobene Mittelschicht infrage. 

Die Kinder armer Familien arbeiten in den Sommerferien

Arme Nigerianer können sich derlei Ausflüge in aller Regel gar nicht leisten. Wenn sie einmal reisen, dann in ihre Heimatdörfer. Es ist üblich, dass Menschen vor allem aus dem südlichen und mittleren Teil Nigerias zu Feiern am Jahresende in ihre Dörfer zurückkehren. Dies sind überwiegend christlich geprägte Gebiete, in denen zum Jahresende Weihnachten und Neujahr gefeiert werden. Im Norden leben vor allem Muslime, für sie spielt das Jahresende keine größere Rolle. Doch insgesamt wird besonders unter Armen erwartet, dass man zu religiösen und kulturellen Festen in die Herkunftsorte reist. Während der langen Sommerferien verreisen arme Familien, die hauptsächlich im Kleingewerbe tätig sind, dagegen nicht, sondern binden ihre Kinder in die Geschäfte ein: Der Nachwuchs arbeitet dann oft im Straßenhandel mit oder bietet von Tür zu Tür Waren feil.  

Die Religion fördert nicht nur Reisen von Einheimischen, sondern zieht auch ausländische Touristen nach Nigeria. Die Synagogue Church of All Nations beispielsweise hatte vor dem Tod ihres charismatischen Propheten und Gründers T. B. Joshua 2021 wöchentlich Tausende von Besuchern aus aller Welt. Die meisten kamen aus Afrika, Asien und Südamerika, viele aber auch aus Europa und den USA. Damals stufte die nigerianische Einwanderungsbehörde die Kirche als die größte Touristenattraktion Nigerias ein. Es ist unklar, ob die Zahl ihrer Besucher immer noch so hoch ist. Auch einige andere nigerianische Kirchen unter Leitung von charismatischen Pastoren, die Wunderkräfte beanspruchen und eine Wohlstandstheologie vertreten, ziehen Menschen aus der ganzen Welt an. 

Manche sagen, dass Nigeria sein Tourismuspotenzial nicht ausschöpfe. Das Land besitzt zahlreiche historische Stätten und Naturattraktionen wie das Jos-Plateau mit wunderschönen Felsformationen und Wasserfällen. Es hat Parks und Wildreservate, die reich an Tieren wie Elefanten, Flusspferden, Giraffen, Pavianen, Löwen und Krokodilen sind. Auch das lebendige Kulturerbe und die dynamische Kreativbranche – darunter Bollywood, die zweitgrößte Filmindustrie der Welt – könnten mehr Besucher anlocken. Ebenso kulturelle Feste wie das Durbar-Festival, eine spektakuläre Pferdeparade von Stämmen im Norden des Landes, und das jährliche Festival zu Ehren der Flussgöttin von Osun im Südwesten. 

Nigeria gehen hohe mögliche Tourismuseinnahmen verloren

Das touristische Potenzial bleibt unterentwickelt, weil Straßen schlecht und die Stromversorgung unzuverlässig sind. Hinzu kommt die Unsicherheit, die Dschihadisten und andere bewaffnete Gruppen in mehreren Teilen des Landes schaffen. Botschaften in westlichen Ländern warnen häufig vor Reisen in einige Teile Nigerias wegen der Gefahr von Terrorismus, Entführungen, Gewaltverbrechen und Unruhen. Und die Nationalparks haben mit Klimawandel, Umweltzerstörung und Wilderei zu kämpfen, die den Wildbestand erheblich reduziert haben. 

So gehen Nigeria hohe mögliche Tourismuseinnahmen verloren. Gleichzeitig bringen reiche Nigerianer ihr Kapital in großem Stil ins Ausland. Kritiker im Land sagen, dass Nigerianer, die im Ausland Urlaub machen, die Gelegenheit verpassen, mehr über wichtige Teile ihres eigenen Landes, seine Kultur und Geschichte zu erfahren. Zudem würden sie sich im Ausland unpassenden westlichen Einflüssen aussetzen wie der Akzeptanz für gleichgeschlechtliche Beziehungen oder gewaltfördernden Filmen und sich zudem von einheimischen Sprachen abwenden, die verloren zu gehen drohen.

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2025: Gutes Reisen
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