Ab Mitte 2014 überfiel die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) jesidische Frauen, Männer und Kinder in ihren Siedlungsgebieten im Nordirak. Nach Angaben von Pro Asyl tötete die Terrororganisation zwischen 5000 und 10.000 Menschen und verschleppte weitere 7000. Frauen und Mädchen wurden Opfer von sexueller Gewalt. Anfang 2023 erkannte der Bundestag die Verbrechen als Völkermord an.
Baden-Württembergs rote-grüne Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann nahm 2014 und 2015 im Rahmen eines Sonderkontingents rund tausend besonders schutzbedürftige Jesidinnen mit ihren Kindern auf. Sie haben seitdem einen gesicherten Aufenthaltsstatus, das ist bei anderen jesidischen Geflüchteten in Deutschland nicht immer der Fall. Baden-Württemberg übernahm damals mit einer ad hoc eingerichteten Stelle in Dohuk im Nordirak die gesamte Logistik für das Aufnahmeprogramm, zu der Zeit eine beispiellose Aktion.
Sie war auch die Geburtsstunde für die Partnerschaft des Bundeslands mit der irakischen Provinz Dohuk. 2015 wurde eine Vereinbarung mit Vertretern der Provinz unterzeichnet. Dohuk und die Provinzen Erbil und Sulaimaniyye im Nordirak bilden zusammen die Autonome Region Kurdistan, in der eine weitgehende kurdische Selbstverwaltung besteht. Die Siedlungsgebiete der Jesiden um Sindschar gehören zu den zwischen Bagdad und der Kurdenregion umstrittenen Gebieten. Dennoch ist Projektarbeit auch dort möglich.
Die Zukunft der Partnerschaft ist ungewiss
Seit Beginn der Partnerschaft hat die Landesregierung mit etwa drei Millionen Euro rund 50 Projekte vor allem zu den Schwerpunkten Gesundheit, psychosoziale Versorgung und Bildung gefördert. Die Partnerschaft hat sie seither mehrmals neu bestätigt. Projektanträge für Herbst dieses Jahres und für Frühjahr 2026 werden derzeit geprüft.
Wie es danach weitergeht, kann Lena Wimmer von der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) nicht sagen. Die SEZ setzt die Entwicklungszusammenarbeit des Bundeslandes um. Im März finden in Baden-Württemberg Landtagswahlen statt. „Da die Partnerschaft politische Zustimmung braucht, wissen wir heute noch nicht, was wir für die Zukunft planen können“, sagt Wimmer. Man gehe jedoch davon aus, dass weiterhin Projekte bewilligt werden könnten. Auch Politikern sei klar, dass man Partnerschaften nicht nach Belieben ein- und ausschalten könne. Angesichts der ungewissen Zukunft will die SEZ breitere Akzeptanz für die Partnerschaft im Bundesland schaffen. Im November findet in Stuttgart eine Konferenz statt, auf der sich mehr Vereine und Initiativen als bis jetzt einbringen sollen.
Zentrale Themen der Zusammenarbeit sind die Bewältigung von Traumata und die Stärkung des Zusammenhalts der multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft im Nordirak. „Die Situation ist auch mehr als zehn Jahre nach dem Völkermord immer noch fragil“, sagt Mirza Dinnayi. Die Ereignisse damals seien bislang nicht aufgearbeitet worden. Dinnayi ist Deutsch-Iraker jesidischer Herkunft. Er hat den Verein Luftbrücke gegründet und war bereits seit 2014 für Baden-Württemberg bei der Koordinierung des Aufnahmeprogramms im Nordirak tätig.
Eine Studie von Pro Asyl von 2024 beschreibt den Nordirak als eine Region mit schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen, in der Milizen aller Art agieren und die Nachbarstaaten Türkei und Iran sich einmischen. Es gebe weiterhin religiöse Vorbehalte der sunnitisch-islamischen Mehrheitsbevölkerung gegenüber Jesiden. Die Nachbarn der traumatisierten Opfer können potenzielle Täter gewesen sein, schreibt Pro Asyl. Etwa die Hälfte der rund 200.000 noch im Irak verbliebenen Jesidinnen und Jesiden lebe in Camps für Binnenflüchtlinge, die Infrastruktur ist häufig noch zerstört und wirtschaftliche Perspektiven gibt es kaum.
Zu den ehrgeizigsten Projekten der Partnerschaft mit Baden-Württemberg gehört der Aufbau einer Struktur zur psychosozialen Versorgung von Menschen mit Traumata und Suchtproblemen in Sindschar und Dohuk. Dazu wird in Kooperation mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg ein Masterstudium für Therapeuten an der Universität Dohuk aufgebaut. Rund 40 Therapeuten konnten bereits ihre Arbeit aufnehmen.
Auch dem Verein Luftbrücke geht es um Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen. Im Projekt Friedenserziehung werden Lehrer und Gymnasiasten in Sindschar geschult, damit sie zur Deeskalation von Konflikten beitragen können. Falschmeldungen etwa würden immer wieder Hass gegen Jesiden fördern. „Die Regierungen in Bagdad und in der Kurdenregion erfüllen ihre Aufgabe nicht, Spannungen abzubauen. Das müssen Basisinitiativen leisten“, sagt Dinnayi. Mehr als zehn Jahre nach dem Völkermord hat sich aber auch in Deutschland die politische Lage verändert, eine Aufnahmeaktion wie damals ist heute nur noch schwer vorstellbar. Für Dinnayi ist klar: „Wenn die politische Situation damals so gewesen wäre wie heute, dann hätten wir niemandem helfen können.“
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