Während Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit aller Härte weiterführt, debattiert die Schweiz darüber, wie der Schutz für ukrainische Geflüchtete eingeschränkt werden kann. So sollen nur noch Geflüchtete aus Landesregionen, in denen aktiv gekämpft wird, den Schutzstatus S erhalten. Der Status wird an manche besonders schutzbedürftige Geflüchtete vergeben und gewährt auch ohne ordentliches Asylverfahren ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in der Schweiz.
Dazu soll das Staatssekretariat für Migration (SEM) die Ukraine in „sichere“ und „unsichere“ Gebiete aufteilen. Die Verschärfung geht auf eine Motion – einen parlamentarischen Vorstoß – der Ständerätin Esther Friedli von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) zurück. Die Motion wurde bereits im Dezember 2024 mit einer knappen Mehrheit angenommen. Die Schweizer Regierung ist verpflichtet, den Auftrag umzusetzen – auch wenn sie sich dagegen ausgesprochen hat.
Welche Gebiete in der Ukraine als „sicher“ eingestuft werden können, ist jedoch fraglich. Beim SEM hieß es auf Anfrage der „NZZ am Sonntag“, man tausche sich dafür eng mit Norwegen aus: Das Land hat als bisher einziges in Europa die Ukraine bereits vor rund einem Jahr entsprechend aufgeteilt. Norwegen bezeichnet 14 ukrainische Regionen, insbesondere im Westen des Landes, als sicher.
Schwer vorhersehbares Kriegsgeschehen
Die Schweizer Regierung hatte nach der Annahme der Motion einen Vorschlag zur Umsetzung ausgearbeitet. Den legte sie den Schweizer Kantonen sowie Hilfswerken und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR zur Stellungnahme vor. Die Antworten sind größtenteils ablehnend. So schreibt die Schweizerische Flüchtlingshilfe in einer Medienmitteilung: „Eine verlässliche Einteilung der Ukraine in sichere und unsichere Regionen ist weder möglich noch praktikabel, verursacht einen großen administrativen Aufwand und erfolgt nicht in Absprache mit der EU.“ Ähnlich klingt es beim UNHCR, das in der Ukraine präsent ist: „Das Kriegsgeschehen ist dynamisch und schwierig vorhersehbar, mit sich ständig verschiebenden Frontlinien und verstärkten Luftangriffen auf städtische Zentren und wichtige Infrastrukturen.“
Vor diesem Hintergrund empfehlen UNHCR und Schweizerische Flüchtlingshilfe der Regierung, beim Parlament zu beantragen, die Motion abzuschreiben, also zurückzunehmen. Das ist unter bestimmten Bedingungen möglich. „Auf jeden Fall sollte das SEM zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Gebiet in der Ukraine als sicher einstufen“, betont das UNHCR. Und wenn, dann müssten diese Entscheide mehrmals pro Jahr überprüft werden.
Auch die Kantone äußern teilweise große Bedenken, vor allem zum administrativen Aufwand, der das ohnehin bereits überlastete Asylsystem weiter strapazieren würde: Die genaue Herkunft einer Person zuverlässig festzustellen, sei sehr aufwändig „und in vielen Fällen kaum möglich“, heißt es vom Kanton Baselland. Denn wird einem Geflüchteten aus der Ukraine der Schutzstatus S verweigert, wird er als Konsequenz ein reguläres Asylgesuch stellen – ein oft langwieriges und kostspieliges Verfahren. Die Reporterin des „Tages-Anzeigers“ Sascha Britsko schreibt in einem Kommentar: „Die Menschen verschwinden nicht einfach, sie wechseln nur die Warteschlange.“
Ob die neue Regelung in Norwegen den gewünschten Effekt hat, ist unklar. Zwar ist dort die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine dieses Jahr zurückgegangen, aber das sind sie in anderen Ländern auch – in der Schweiz, wo die neue Regelung noch gar nicht gilt, sogar etwas stärker als in Norwegen. Auch in der Schweiz hätte die geplante Änderung vermutlich nur geringe Auswirkungen, wie neueste Zahlen des SEM zeigen: Nur 27 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer kommen aus Regionen, die künftig als sicher eingestuft würden
Der Bundesrat will im Herbst über die Ausgestaltung der neuen Bestimmung entscheiden. Es wird sich zeigen, ob die mehrheitlich kritischen Reaktionen von Hilfswerken und Kantonen ihn dazu bewegen, beim Parlament die Abschreibung der Motion zu beantragen.
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