Bunte Kunst hinter dicken Wänden

Sudanese in einem hellgelben T-Shirt, die Hände in die Hüften gestemmt, an einem Tisch mit Malutensilien sitzend; hinter ihm an der Wand sind verschiedene Gemälde und Bilder befestigt.
Simone Schlindwein
Mohammed Waleed in seinem Studio im Kunstzentrum 32° East in Kampala. Der Sudanese musste vor dem Krieg nach Uganda fliehen und tauscht sich hier nun mit anderen Künstlern aus.
Kunst in Uganda
In Ugandas Hauptstadt Kampala steht das Kunstzentrum 32° East. Hier können sich Geflüchtete, aber auch Kunstschaffende aus aller Welt für ein Stipendium bewerben und ohne Angst vor Verfolgung eine Weile leben und arbeiten. Das Zentrum soll auch Brücken zwischen den Kulturen bauen.

Das Kreischen einer Kreissäge hallt durch das steinerne Gebäude. Vergeblich versucht der DJ am Mischpult, gegen den Lärm anzusteuern. Er dreht die Lautstärkeregler hoch. Hunderte Besucher drängen sich an einem Samstagnachmittag im August in den bereits fertiggestellten Räumen des Kunstzentrums 32° East in Ugandas Hauptstadt Kampala. Künstler und an Kunst Interessierte, Nachbarn, Freunde und Verwandte sowie die über 130 Mitglieder des Kulturzentrums sind eingeladen, um den Fortschritt der Bauarbeiten zu begutachten und eine Party zu feiern. 

Alles wirkt noch etwas improvisiert in dem halb fertigen Gebäude im geschäftigen Kneipenviertel Kabalagala: Der große Mehrzweckraum, der in Zukunft als Café und Co-Working-Space dienen soll, muss derzeit noch als Bi­bliothek und Verkaufsraum für Pinsel, Farben und Leinwände herhalten. Daran reihen sich drei Studios, in denen sich jeweils für drei Monate Kunstschaffende einquartieren dürfen. Sie erhalten vom Zen­trum ein Stipendium, womit Lebens- und Unterhaltskosten sowie Materialkosten abgedeckt sind. Dies gibt ihnen die finanzielle Freiheit, sich auszuprobieren, denn nur die wenigsten können von ihren Werken leben. 

Der 26-jährige Fotograf Joel Agaba sitzt am Eingang und begrüßt die Besucher. Dann führt er sie durch die Baustelle und die fertigen Räume. Agaba kennt im 32° East jeden Winkel. Seit Beginn der Bauarbeiten 2021 hat er jeden Schritt mit seiner Kamera dokumentiert: vom Abriss der alten Häuser bis hin zur aktuellen Bauphase. „Ich liebe Gebäude und finde es spannend, was sie mit uns Menschen machen“, sagt er. Mit seiner Hand berührt er dabei die dicke Mauer aus Lehm. Er hat sich für sein Stipendium, als er Anfang dieses Jahres drei Monate lang hier lebte und arbeitete, das neue Gebäude als Objekt für seine Fotodokumentation ausgesucht. „Ich fühle mich sehr sicher hier hinter diesen Wänden. Selbst die Akustik beruhigt mich“, erzählt er. „Hier drin habe ich das Gefühl, so sein zu können, wie ich wirklich bin“, sagt er etwas verlegen. 

Auf queere Kunst stehen jetzt harte Strafen

Der kleine Mann mit der Brille ist queer und beschäftigte sich in der Vergangenheit mit queerer Aktfotografie. Doch nach der Verabschiedung des LGBTQI-Gesetzes 2023 steht in Uganda queere Kunst unter harten Strafen, weil sie angeblich Homosexualität „bewirbt“, wie es im Gesetzestext heißt. Seitdem muss er sich andere Projekte suchen, denn er weiß nicht einmal mehr, wo und wie er seine Bilder verstecken kann. Selbst eine Galerie zu finden, die seine Werke ausstellt, ist unmöglich geworden. „Das macht mir richtig Angst“, sagt er. „Aber man kann nichts dagegen tun. Wenn man sich dagegen auflehnt, ist man tot, oder meine Familie wird unter Druck gesetzt.“ Im 32° East hat er nun eine Familie und einen Ort gefunden, wo er seine Werke nicht nur sicher verwahren, sondern auch ausstellen kann. 

Teesa Bahana ist Direktorin des Kunst­zentrums.

Das 32° East ist eines der führenden Kulturzentren in Uganda. Dahinter steht eine Non-Profit-Organisation, die sich über Crowdfunding, Gelder von Philanthropen und Stiftungen aus den Niederlanden, Großbritannien und den USA sowie Mitgliedsbeiträgen finanziert. Gegründet wurde das Kulturzentrum 2011 von zwei Britinnen, die beide einen künstlerischen Hintergrund hatten, erklärt Geschäftsführerin Teesa Bahana. „Sie erkannten das Potenzial eines Raums für Künstler, in dem sie frei sein, lernen und ihre Interessen und Neugierde ohne finanziellen Druck ausleben können.“ Denn die meisten Künstler müssen, so Bahana, wenn sie von ihren Werken leben wollen, etwas schaffen, was gern gekauft wird: „Dann malen sie vor allem Gorillas, weil Touristen solche Bilder gern als Souvenir kaufen. Sie haben nicht so viele Möglichkeiten, ihren eigenen Leidenschaften nachzugehen und sich als Künstlerinnen zu entdecken.“

Bis 2020 hausten die Künstler in umgebauten, stickigen Schiffs­containern und stellten ihre Werke im Innenhof aus. Das 32° East hat nach einer jahrelangen Fundraising-Kampagne das Grundstück 2020 gekauft. Man wollte ein eigenes Gebäude bauen und damit verhindern, irgendwann von Vermietern wegen kontroversen Ausstellungen rausgekickt zu werden. Für die Stipendiaten soll das Zentrum in Zukunft für die Zeit ihres dreimonatigen Stipendiums ein Zuhause werden. Sobald der nächste Gebäudeabschnitt fertiggestellt ist, sollen die Künstler*innen in den neu errichteten Maisonettewohnungen auch hier wohnen. 

Das Haus ist bewusst aus ­Naturmaterial gebaut

Im Innenhof steht eine Wand aus Wellblech, um die Baustelle abzugrenzen. Die Künstler*innen haben sie mit bunten Acrylfarben bemalt. Dahinter wird derzeit das Fundament für den nächsten Gebäudekomplex errichtet, der in rund einem Jahr fertiggestellt werden soll. In Hemd, kurzen Hosen und Birkenstocksandalen begutachtet der deutsche Architekt Felix Holland die Baustelle. Der 48-Jährige lebt seit 20 Jahren in Uganda und hat die Firma Localworks gegründet. Sie ist ein Architekturbüro und wickelt zudem die Bauaufträge ab. Bislang hat Holland vor allem Öko-Lodges für internationale Touristen in den zahlreichen Nationalparks des Landes entworfen. 

Der deutsche Architekt Felix Holland hat das Kunstzentrum entworfen. Mit seinen dicken Lehmwänden ist es für ihn wie ein „Ökobunker“, der die künstlerische Freiheit schützt.

Das 32° East sei ein spannendes Projekt, sagt er. Denn seine Firma ist spezialisiert auf nachhaltiges Bauen. „Wir nutzen als Baustoffe die Steine und Materialien, die wir aus dem Boden ausgraben“, erklärt Holland. Statt Stahl und Glas aus China nutzt er Stein, Lehm, Papyrus und Bambus aus Uganda. Die 50 Zentimeter dicken Wände des neuen Kunstzentrums sind aus Stampflehm, den man „aus der Erde herstellt, die wir ohnehin ausgraben, um ein Fundament zu legen“. Aus diesem Material wird in Uganda seit Urzeiten gebaut, denn es hat den Vorteil, dass es kühl bleibt – egal, wie heiß es draußen ist. Dies sei hinsichtlich der stetig steigenden Temperaturen als Folge des Klimawandels eine Methode, stromfressende Klimaanlagen zu vermeiden. 

Autorin

Simone Schlindwein

ist Journalistin und Afrika-Korrespondentin der Tageszeitung (taz) in Berlin. Sie berichtet seit zwölf Jahren aus der Region der Großen Seen.

„Die Kunstszene in Kampala ist wie ein kleines Pflänzchen, auf dem jeder herumtrampelt“, erklärt Holland die Idee eines massiven Gebäudes. „Die dicken Mauern beschützen die künstlerische Freiheit – wie eine Art Ökobunker.“ Dieses Bild sei ihm eingefallen, als 2023 das LGBTQI-­Gesetz verabschiedet wurde, erzählt er. An jenem Tag stieg im 32° East eine Einweihungsfeier für den ersten Bauabschnitt. Doch die Stimmung war am Boden, berichtet Holland: „Die Künstler waren alle geschockt und manche sind ja auch persönlich betroffen“, sagt er: „Da war mir klar, dass wir für diese Leute nichts Leichtes, Transparentes aus Glas hätten bauen können, sondern das Gebäude musste eine massive Sprache sprechen.“

Ein Begegnungsort auch für die Flüchtlinge in Kampala

Der Bauplatz liegt versteckt hinter hohen Bürotürmen in Kabalagala. In den geschäftigen Gassen unweit der Internationalen Universität von Kampala leben Studierende aus allen Teilen Afrikas. Hier ist Tag und Nacht viel los. Bis zum frühen Morgen hört man die Lautsprecher in den Discotheken wummern.

Das 32° East soll nicht nur eine Begegnungsstätte für Ugandas Kunstszene sein, sondern für die ganze Nachbarschaft, erklärt Geschäftsführerin Bahana. Denn rund um den Ökobunker leben viele Flüchtlinge aus Afrikas Krisengebieten – etwa aus Eritrea, Somalia, dem Sudan oder dem Kongo. Uganda ist in seiner Flüchtlingspolitik weltweit vorbildlich: Es beherbergt mehr als 1,8 Millionen Geflüchtete, mehr als jedes andere Land auf dem Kontinent. Geflüchtete dürfen arbeiten und sich frei irgendwo niederlassen. Wer kein Geld hat, um eine Wohnung zu bezahlen, erhält in den gewaltigen Flüchtlingslagern ein Stück Land und ein Startpaket, um selbst Lebensmittel anzubauen. 

Viele junge Geflüchtete, die sich in Kampala niederlassen, besuchen die Internationale Universität, doch in ihrer Freizeit bleiben sie unter sich. „Meist treffen sie sich je nach Nationalität in ihren eigenen Restaurants, Kneipen und Treffpunkten – und bleiben dort unter sich“, erklärt Bahana. Mittlerweile sind vor allem im Stadtviertel Kabalagala Parallelgesellschaften entstanden, meist aufgrund sprachlicher Barrieren. Die Eritreer haben Fahrschulen und Kindergärten gegründet, wo nur auf der eritreischen Sprache Tigrinya unterrichtet wird. Die Sudanesen haben unweit des 32° East eine Klinik eröffnet, wo sudanesische Ärzte Patienten auf Arabisch behandeln. Unter Ugandern wachsen die Ressentiments gegen die immense Zahl an Geflüchteten in der Hauptstadt, sie haben das Gefühl, sie nehmen ihnen den knappen Wohnraum und die Arbeitsplätze weg. 

Das will das 32° East ändern: Es soll mit einer guten Internetleitung ein Co-Working-Space für alle werden. „Wir haben festgestellt, dass unser Kulturzentrum den Leuten hier in der Nachbarschaft eine Möglichkeit bietet, sich untereinander kennenzulernen“, sagt Bahana. Die Idee, geflüchteten Kunstschaffenden aus Kriegsgebieten wie dem Sudan mit einem Stipendium wieder auf die Beine zu helfen, habe das Kunstzentrum zu einem Ort der Integration verwandelt. 

Die Stipendien stehen Künstlern aus aller Welt offen

Aber das 32° East steht nicht nur Geflüchteten offen. Von überall können sich Künstler*innen für ein Stipendium bewerben. So hat es auch Sonya Mwambu zurück nach Kampala verschlagen. Die 29-jährige Filmemacherin ist gebürtige Uganderin, aber in Kanada aufgewachsen. Für ihre Abschlussarbeit an der kanadischen Filmhochschule dreht sie einen Film über ihre Großfamilie in Uganda, allerdings mit einer alten Schwarz-Weiß-Kamera mit alten Filmrollen. Um diese auf nachhaltige Weise zu entwickeln und umweltschädliche Chemikalien zu vermeiden, experimentiert sie in der Zeit ihres Stipendiums mit natürlichen Substanzen, die in Uganda wachsen: Kaffeebohnen und Schalen von Kochbananen. „Ich war seit meiner Geburt nie wieder in Uganda und wollte während meines Projektes auch meine Identität erkunden“, berichtet Mwambu. Während der Vorbereitung für die Reise in ihr Heimatland sei sie bei der Recherche online zufällig auf das 32° East gestoßen und bewarb sich, um mit anderen Kunstschaffenden in Uganda in Kontakt zu treten. „Es ist eine wunderbare Erfahrung, die mir meine Heimkehr sehr erleichtert hat“, sagt sie und zeigt auf das Studio neben ihr. „Meine Mitstipendiaten arbeiten ebenfalls mit biografischen Quellen und Identitäten – wir können uns großartig austauschen.“  

Bevor die Partygäste an dem Samstag im August in das 32° East strömen, sitzt Mohammed Waleed an seiner Werkbank in einem der Studios und bemüht sich, sein aktuelles Werk zu vollenden. Mit einem nassen Tuch wischt er auf einem Foto herum. „Ich versuche, es so aussehen zu lassen, als sei es alt und ausgeblichen“, erklärt er. Der 25-jährige Sudanese ist nach Ausbruch des Krieges in seinem Land aus seiner Heimatstadt Khartum geflohen, zunächst nach Kenia, dann weiter nach Uganda. „Ich musste alle meine Werke und Materialien zurücklassen, nicht einen einzigen Pinsel konnte ich mitnehmen“, berichtet er und zeigt auf seinem Handy Videos von seinem verwüsteten Studio, die ein Nachbar aufgenommen und geschickt hat, nachdem Waleed bereits das Land verlassen hatte.  

Die eigene Identität erforschen

„Ich war sehr glücklich, ein Stipendium von 32° East zu erhalten – damit konnte ich neu anfangen“, sagt er und zeigt auf seine Werkbank voller bunter Farbtuben, Pinsel, Schwämme und Wischtücher. Daneben liegen ausgedruckte Fotos in Schwarz-Weiß, einige sind übermalt mit Farbe. „Sie sind aus unserem Familienalbum“, erklärt Waleed und zeigt auf die Wand hinter ihm. Dort hängt ein Bild mit dem Porträt einer Frau: ein mit Farbe übermaltes Foto. „Das ist meine Mutter, als sie noch jung war“, sagt er. „Alle Fotoalben mussten wir bei unserer Flucht zurücklassen.“ 

Doch er hatte Glück. Noch bevor im April 2023 im Sudan der Krieg ausbrach, hatte er angefangen, die alten Bilder zu digitalisieren und online zu speichern. „Damals hatte ich bereits die Idee, mit diesen Fotos etwas Kreatives anzustellen, um meine eigene Identität zu erforschen“, erklärt er. Als er dann im Exil bei null beginnen musste, war er froh, dass er Zugriff auf dieses Archiv im Internet hatte und er das Projekt nun mit Hilfe des 32° East-Stipendiums umsetzen kann.

Dann betreten weitere Sudanesen das kleine Studio von Waleed, darunter einige von Waleeds Verwandten, die als Flüchtlinge unweit des Kunstzentrums leben. Sie liegen sich in den Armen und bewundern Waleeds bunte Familienfotos, die an den dicken Wänden hängen. „Fast wie zu Hause“, scherzt Waleed. 

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erschienen in Ausgabe 5 / 2025: Gelebte Vielfalt
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