Das Vertriebenenlager liegt in der Provinz Idlib ganz im Norden Syriens, wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Olivenhaine überziehen die felsigen Hügel. Von der Straße aus sieht man Überreste antiker Stätten, dazwischen jene von Häusern, die Binnenvertriebene hier gebaut, in den vergangenen Monaten abgerissen und in ihren zerstörten Heimatdörfern wiederaufgebaut haben.
Bis zum Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 lebten hier mehr als 1000 Menschen, die in den Jahren davor vor den Angriffen der Regierung aus ihren Dörfern geflohen waren. Der Nordwesten Syriens war die einzige Region, die bis zum Sturz von Assad nach dreizehn Jahren Krieg unter der Kontrolle der islamistischen Rebellen stand. Insgesamt rund zwei Millionen Binnenvertriebene lebten hier, viele hatten die Hoffnung längst aufgegeben, irgendwann in ihre Heimatdörfer zurückzukehren.
Doch seit dem Ende von Assads Herrschaft ringen Syrerinnen und Syrer, die der Krieg über die ganze Welt zerstreut hatte, mit der Frage: Wann und unter welchen Bedingungen könnten sie zurückkehren?
Der Bundeskanzler sieht keinen Asylgrund mehr
Auch in der deutschen Politik wird über diese Frage gestritten. „Hier können wirklich kaum Menschen würdig leben“, sagte Bundesaußenminister Johann Wadephul angesichts der Zerstörung, während er im Oktober einen Vorort von Damaskus besuchte. Seine Aussage schlug hohe Wellen. Kurz darauf erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz, da der Krieg in Syrien beendet sei, gebe es keinen Grund mehr für Asyl in Deutschland; auch Abschiebungen seien jetzt wieder möglich.
Aus dem Lager in Idlib seien seit Assads Sturz bereits vier von fünf Bewohnern nach Hause zurückgekehrt, sagt Lagervorsteher Adnan Ramah. Davon zeugen die Backsteine abgerissener Häuser, die vereinzelt auf den Feldern liegen. Wer in Zelten ausharren musste, hat diese mitgenommen, um sie neben ihren zerstörten Häusern zu Hause neu zu errichten.
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Safia Khalas al-Jumaa hingegen ist geblieben. Sie sitzt am Boden des Zeltes, in dem sie zusammen mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern wohnt. Sie hält ihr jüngstes Kind, einen drei Monate alten Jungen, im Arm, während sie erzählt: 2018 mussten sie aus ihrem Dorf Tall Alloush südlich von Aleppo vor der vorrückenden Armee fliehen. Sie kamen nach Idlib, zogen von einem Lager ins nächste bis hierher. Bekannte, die nach Tall Alloush zurückgekehrt seien, hätten ihr abgeraten, ebenfalls zu kommen, sagt sie. „Sie meinten, hier oben im Norden sei es besser für uns.“ Hier gebe es für ihren Mann mehr Möglichkeiten als in ihrem Dorf, als Tagelöhner etwas Geld zu verdienen, etwa auf dem Bau.
Das Leben in den zerstörten Dörfern ist teuer
Weil ihr Mann mit psychischen Problemen kämpft und nur eingeschränkt arbeiten kann, liegt die Hauptlast, die Familie zu ernähren, auf al-Jumaa. Sie zeigt auf die Nähmaschine, die in der Ecke neben dem Zelteingang am Boden steht. In den vergangenen Jahren hat sie damit Kleider und andere Textilien von Lagerbewohnern geflickt und etwas Geld verdient. Doch weil inzwischen die meisten das Lager verlassen haben, habe sie diese Einkommensmöglichkeit verloren, sagt sie.
Andere, die im Lager geblieben sind, seien schlicht zu arm, um den Transport für die Rückreise zu bezahlen, sagt Adnan Ramah. Zudem sei auch das Leben in den zerstörten Dörfern für viele zu teuer: Wenn etwa die Wasserversorgung beschädigt oder zerstört sei, müssten die Rückkehrer einen Wassertank installieren, wofür vielen das Geld fehle. Nach Jahren des Kriegs leben 90 Prozent der Syrer unter der Armutsgrenze.
Zwischen Dezember 2024 und Oktober 2025 sind rund 1,9 Millionen Binnenvertriebene in ihre Heimatorte zurückgekehrt, schreibt die UN-Flüchtlingshilfe UNHCR. Hinzu kommen über eine Million Menschen, die aus Syrien in andere Länder geflüchtet waren und inzwischen wieder zurückgekehrt sind. Insgesamt hat der Krieg rund 13 Millionen Syrerinnen und Syrer innerhalb und außerhalb des Landes vertrieben, die Hälfte der Bevölkerung.
Unklar ist, woher das Geld für den Wiederaufbau kommen soll
Ein großes Hindernis für eine Rückkehr ist die weitgehende Zerstörung, die die Menschen erwartet. Rund ein Drittel der Wohnhäuser in Syrien und die Hälfte der Infrastruktur wie etwa die Strom- und Wasserversorgung wurden während des dreizehnjährigen Kriegs zerstört oder beschädigt. Der Wiederaufbau könnte nach einer Schätzung der Weltbank rund 216 Milliarden US-Dollar kosten. Woher das Geld kommen und wie der Wiederaufbau ablaufen soll, ist unklar. Bis heute haben weder die syrische Übergangsregierung noch die internationale Gemeinschaft einen Plan dafür vorgestellt.
Was eine Rückkehr für Syrerinnen und Syrer unter diesen Umständen bedeutet, kann man im stark zerstörten palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk im Süden der Hauptstadt Damaskus sehen. Der Begriff Lager ist irreführend, denn vor dem Krieg war Jarmuk von anderen Stadtteilen im Süden von Damaskus nicht zu unterscheiden. Bis zum Kriegsbeginn 2011 lebten hier laut dem UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA 160.000 Menschen. Dann wurde Jarmuk von Rebellen besetzt und im Jahr 2013 vom Assad-Regime über Monate hinweg belagert und ausgehungert. 2018 wurde ein Großteil von der syrischen und der russischen Luftwaffe schwer bombardiert und zerstört, die Bewohnerinnen und Bewohner mussten fliehen. Ab 2020 begannen manche von ihnen, zurückzukehren, inzwischen sind 15.000 wieder zurückgekommen.
Bei einem Besuch im Januar 2025 gleicht Jarmuk an vielen Orten einer Geisterstadt. Die Hauptstraße führt vorbei an ausgebrannten Geschäften und Wohnhäusern. Die Zerstörung wird größer, je weiter man der Straße folgt, die irgendwann in eine Trümmerlandschaft mündet. Von den sechs- bis achtstöckigen Wohnblocks hier sind meist nur noch die Stützpfeiler und Stockwerke übrig, manchmal die Außenwände. Die Zerstörung ist so groß, dass viele ehemalige Bewohner bei einem ersten Besuch Mühe haben, ihre Häuser überhaupt zu finden.
In einer kleinen Gasse inmitten der Trümmerlandschaft lebt die Witwe Fatma Awad Hamze zusammen mit der Familie ihres Sohnes. Die Palästinenserin ist in Jarmuk aufgewachsen. Als der Krieg 2011 begann, flüchteten sie und lebten in einer Mietwohnung im Nordwesten von Damaskus. Weil die Mieten immer teurer wurden, beschlossen sie vor vier Jahren, nach Jarmuk zurückzukehren.
„Das Haus war komplett geplündert und ausgebrannt“, sagt Hamze. Sie kauften eine Batterie und ein paar LED-Lampen – Strom gab es keinen. Mit Decken und ohne Heizung überwinterten sie das erste Jahr, für das Wasser zogen sie eine Leitung von einem Wasserloch bei der nahe gelegenen Moschee zum Haus. Stück für Stück begannen sie, die Wohnung aus eigener Kraft wiederaufzubauen. Heute finden sich im Wohnzimmer keine Spuren der Zerstörung mehr. Die Wände sind sauber gestrichen und mit Malereien verziert, dünne Matratzen sind als Sitzgelegenheiten ausgelegt.
Nach und nach öffnen in Jarmuk immer mehr Geschäfte, häufig im Erdgeschoss von Häusern, deren obere Stockwerke noch immer schwerbeschädigt sind. In manchen Gebäuden sieht man einzelne Wohnungen mit intakten Fenstern und neu gestrichenen Fassaden – ein Zeichen, dass hier eine Familie wohnt, die das nötige Geld oder unterstützende Verwandte im Ausland für den Wiederaufbau hat. Doch ohne einen umfassenden Plan dürfte es noch Jahre dauern, bis die Menschen in großer Zahl zurückkehren.

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