Ein Problem, das sich nicht lösen lässt

Wolfgang Ammer
Klimawandel
Allein aus den Fakten zur Erderhitzung ergibt sich nicht, was dagegen politisch zu tun ist. Es braucht einen moralischen Kompass, warum es geboten ist, gegen den Klimawandel vorzugehen – und der uns hilft, mit ihm zu leben.

Der Klimawandel bringt die Menschheit in eine unerfreuliche und verwirrende Situation, der wir weder Herr werden noch uns ihrer entledigen können. Das Dilemma ist zum Teil das Vermächtnis einer Vergangenheit, die wir nicht gewählt, aber dennoch geerbt haben: des mit fossilen Brennstoffen befeuerten Industriezeitalters, das die Länder des globalen Nordens in der Welt verbreitet und den einst kolonisierten und unterdrückten Völkern aufgezwungen haben. Diese Erbschaft zeigt sich im heutigen Zustand der Atmosphäre – und sie spiegeln sich in der Verletzlichkeit von Gemeinschaften, die dem Klimawandel besonders stark ausgesetzt sind.

Weder Technologie noch Politiker können den Weg aus der Klimakrise weisen. Wissenschaftliche Fakten zum Klimawandel zu sammeln oder Prognosen zu erstellen, treibt den politischen Wandel nicht von allein an. Es bringt nichts, sich geschlossen hinter die Wissenschaft zu stellen, die objektiven Fakten auf den Tisch zu legen und zu meinen, das sei bereits die Lösung. Die Wissenschaft allein bietet keine moralische Vision, keine ethische Haltung, kein politisches Gerüst für die Art von Welt, nach der Menschen sich sehnen. Sich auf symbolträchtige Zahlen zu stützen, mag ein Gefühl von Dringlichkeit vermitteln, aber Zahlen sind kein moralischer Kompass. 

Aber es gibt Handlungsmotive jenseits der Wissenschaft – motivierende moralische Verbindlichkeiten, die laut dem Philosophen Jürgen Habermas in säkularen Gesellschaften fehlen. Womöglich mangelt es an Geschichten, Narrativen – übergeordneten Mythen, wenn man so will –, die von unterschiedlichen Menschen getragen werden und die die Politik anleiten, um dem Klimawandel zu begegnen. Solche Zukunftsvisionen wurzeln in unterschiedlichen kulturellen Werten und stehen oft im Widerstreit miteinander. Doch sie alle fordern, dass Wissenschaft und Technologie sich den normativen Vorstellungen dieser Narrative von einer wünschenswerten Welt unterordnen.

Zukunftsvisionen und Narrative

Das erste Beispiel für eines dieser Narrative ist der Ökomodernismus. Ökomodernisten betrachten den Klimawandel als Resultat einer rasanten und weitreichenden technologischen Expansion sowie des Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums. Doch dem Klimawandel kann Einhalt geboten werden, indem die Errungenschaften der Moderne an gerechteren und ökologischeren Zielen ausgerichtet werden – das ist die Idee des grünen Wachstums. Das „Ökomoderne Manifest“ zum Beispiel forderte im Jahr 2015, „dass die Menschen ihre wachsenden sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Kräfte dazu verwenden, das Leben der Menschen zu verbessern, das Klima zu stabilisieren und die Natur zu schützen“.

Autor

Mike Hulme 

ist Professor für Humangeografie am Institut für Geografie an der Universität Cambridge. Teile dieses Essays basieren auf seinem Kommentar „One Earth, many futures, no destination“, der dieses Jahr in der Zeitschrift „One Earth“ erschienen ist.
Ein anderes motivierendes Narrativ ist das der ökologischen Zivilisation. Ihre Vertreter glauben, dass die zerstörerischen Folgen des Klimawandels nur durch eine ganz neue Form der Zivilisation abgewendet werden können, die auf ökologischen Prinzipien basiert. Es gibt technologische und romantische Spielarten dieser Zukunftsvision, die sich fundamental unterscheiden. Die technologische Version der ökologischen Zivilisation ist seit 2012 in der Kommunistischen Partei Chinas verankert. Es unterscheidet sich stark von der romantischen Version, das sogenannte Tiefenökologen verbreiten. Sie streben danach, dass der Mensch sich seiner Fähigkeit bewusst wird, seine Welt zu bewahren oder eben zu zerstören – und entsprechend handelt. Die kulturelle Bewegung Dark Mountain Project etwa will die Grundprinzipien der westlichen Zivilisation auflösen.

Ein drittes Narrativ ist die radikale öko-sozialistische Kapitalismuskritik. Nach dem Buch „Kapitalismus vs. Klima“ von Naomi Klein aus dem Jahr 2014 wurde es noch entschlossener von der sozialen Bewegung Extinction Rebellion (XR) vorgetragen. Deren Anhänger sind überzeugt, dass der Umsturz der sozialen Ordnung und des kapitalistischen Wirtschaftssystems die einzige adäquate Antwort auf den Klimawandel ist. Den wahren Feind eines gleichbleibenden und gemäßigten Klimas sehen sie in einem von Rassismus geprägten Kapitalismus mit seiner Fetischisierung von Wirtschaftswachstum und der Anhäufung von Macht und Reichtum.

Ein vierter wegweisender Mythos fand 2015 stärkere Beachtung, als Papst Franziskus seine Enzyklika „Laudato si´: Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ veröffentlichte. Der Schrift zufolge offenbart der Klimawandels eine geistige Verarmung des Menschen, die sich nachteilig auf die stoffliche Welt auswirkt. Franziskus stützt sich auf das reichhaltige Fundament katholischer Theologie und Ethik, insbesondere auf die Idee der Tugendlehre. Seine Schrift ist eine mächtige Erzählung, ein inspirierender Bericht über göttliche Güte und eine gesunde menschliche Lebensweise. Die Enzyklika geht über die Grenzen kleinteiliger Wissenschaft und Wirtschaft hinaus und offenbart die Macht, Stärke und Strahlkraft einer christlichen Weltsicht.

Miteinander konkurrierende Werte

Alle vier Narrative motivieren, den Klimawandel anzugehen, und bieten Orientierung für politisches Handeln. Sie tun dies jedoch auf unterschiedliche Art und Weise. Grünes Wachstum ist beispielsweise nicht mit dem Ökosozialismus zu vergleichen. Die Herausforderungen des Klimawandels durch eine innere spirituelle Transformation anzupacken, passt nicht zu einer technologischen Ökovision der Kommunistischen Partei Chinas. Die tiefenökologische Bewegung Dark Mountain Project will weniger Moderne, Ökomodernisten wollen mehr.

Lösungen für den Klimawandel lassen sich nicht aus Fakten ableiten. Es reicht nicht, nur auf Daten und Zahlen zu verweisen. Damit wird verschleiert, dass hinter persönlichen und kollektiven Präferenzen politische Konflikte und miteinander konkurrierende Werte stehen. Sich auf Daten zu verlassen, ist eine Form moralischer Schwächung. Datenanalysen sind reizvoll, weil sie komplexe Sachverhalte vereinfachen und schwierige moralische Bewertungen umgehen. Die Moral der Zahlen verdrängt aber moralisches Denken, das sich nicht auf Berechnungen hinunterbrechen lässt. Diese anderen Denkweisen, die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Gleichheit, der Liebe und Würde berücksichtigen, bieten reichhaltigere narrative Kontexte. Sie ermöglichen, über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle nachzudenken, sie auszulegen und über sie zu befinden. Eine kluge Klimapolitik gelingt eher, wenn sie in eine größere und fundiertere Erzählung über Zweck, Identität, Pflicht und Verantwortung des Menschen eingebettet ist.

Den Klimawandel als Dilemma zu bezeichnen bedeutet nicht, alle Hoffnung aufzugeben. Vielmehr hilft es dabei, eine bescheidenere und pragmatischere Haltung in Bezug auf Innovation, Technologie, Politik und die Zukunft einzunehmen. Wenn wir den Klimawandel als Dilemma akzeptieren, fällt es uns leichter, die Grenzen menschlicher Voraussicht, Handlungsfähigkeit und Integrität anzuerkennen. Paradoxerweise erlaubt ausgerechnet dies, die Hoffnung zu behalten. Es gestattet, einfachere Probleme zu lösen, ohne gleich eine Lösung für das „unlösbare“ Problem des Klimawandels als Ganzes parat haben zu müssen.

Der evangelische amerikanische Theologe Reinhold Niebuhr (1892–1971) hat sein ganzes Leben versucht, den christlichen Glauben mit den Gegebenheiten in Politik und Diplomatie zu verbinden. Sein viel zitiertes Gebet lautet: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Das Gebet kombiniert Realismus und Aktivismus. Den Klimawandel als Dilemma zu begreifen, macht das ebenfalls möglich.

Aus dem Englischen von Julia Lauer.

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Es ist leider wirkungslos, die Klimaretter auf die Sinnlosigkeit ihrer Bemühungen aufmerksam zu machen. Auch wenn heute jede CO2-Vermehrung aufhört, wird sich die Biosphäre weiter aufheizen. Denn für den Glashaus-Effekt sind die Klimagase verantwortlich, die dort seit Jahrhunderten lagern und nicht solche, die täglich hinzukommen. Interessant sind die Ausführungen von Herrn Hulme deshalb, weil er das Vermehren von CO2 für unmoralisch hält. Damit kommt eine neue Qualität in die Debatte, die es für vertretbar hält, die klassischen CO2-Vermehrer durch Sabotage stillzulegen. Das kann ja heiter werden, zum Glück werden wichtige Entscheidungen noch immer mit Mehrheit beschlossen und nicht von Krawallmachern auf Bäumen.

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Die vier Narrative von Mike Hulme zeigen das Dilemma, dass „die Moral der Zahlen moralisches Denken verdrängt, das sich nicht auf Berechnungen herunterbrechen lässt“. Das gilt ebenso für die Bewältigung der Corona-Krise, die ja eng mit der Klimakrise verbunden zu sein scheint...

Merkwürdigerweise hat der antiglobale Impuls durch das Isolationsgebot der Corona-Krise mit den geschlossenen Grenzen, welches plötzlich die Emissionsbelastung unseres Planeten schlagartig verringert hat, eine Parallele zum Klimawandel, der ja auch lokale Kreativität als Denkmodell fordert. Der Ausgangspunkt und Schwerpunkt der Corona-Krise scheint bis jetzt jedenfalls mehr in den reicheren Ländern mit industrieller Wirtschaftsstruktur zu sein, sind doch die Fallzahlen bisher der ärmeren Agrarländer wie in Afrika vergleichsweise gering. Parallel dazu ist der Klimawandel eindeutig von den Industrieländern verursacht, genauso wie die „Krankheit der Reichen“.

Zu Al Gores „Wege zum Gleichgewicht“: Die globale Angst vor der Zukunft, ausgelöst, bzw. verstärkt durch die „Klimakrise“, hält Al Gore in seinen Ausführungen den Glauben entgegen, „sich ausliefern aus freien Stücken an eine spirituelle Realität, die größer ist als wir selbst“( S. 375). „Für die Zivilisation als Ganzes ist der Glaube, dass es notwendig ist, das fehlende Verhältnis zur Erde wieder herzustellen, zugleich der Glaube, dass wir eine Zukunft haben.“

M. E. ist es jedoch gefährlich, die berechtigte ‚Angst vor der Zukunft‘ durch einen etwas nebulösen Glauben zu instrumentalisieren, hofft Al Gore doch, mit der Religion, der sich der größte Teil der 3. Welt mehr verpflichtet fühlt als dem Kapitalismus, die religiösen Institutionen (Kirche) mit ins Boot zu nehmen, was schon hervorragend gelungen ist, da sich diese in den jungen Klimaschützern viele neue Schäflein erhofft. Die ganze Klimadebatte rückt damit jedoch in die Nähe metaphysischer, fundamentalistischer und fanatischer Theorien. Sicher können wir uns vor extremen Wetterbedingungen durch entsprechende technologische Maßnahmen und Systeme schützen, sich jedoch einzubilden, der Mensch hätte die Macht, durch konzertierte Aktionen wie CO2-Zertifikate und CO2-Bepreisung das „Klima zu schützen“, ist eine hybride Vorstellung...

Dass die Klimadebatte inzwischen zum Geschäftsmodell gigantischen Ausmaßes geworden ist, geht sicher nicht allein zulasten Al Gores. Er hat aber durch sein ‚Glaubensbekenntnis‘ nicht nur zu einem größeren Verständnis zwischen Mensch und Umwelt ( Natur) beigetragen, sondern auch zu einem absolutistischen, fanatischen und teilweise hysterischen Umgang mit dem Klimathema, was leider die weltweite Spaltung der Gesellschaft hervorgerufen hat, in einerseits katastrophenbeschwörende Klimaaktivisten (5 nach 12) und in Klima-Ignoranten, die die zunehmenden Einschränkungen und Verbote durch neue Umweltstandards für übertrieben und kontraproduktiv halten und in Zweifel ziehen.

Der verantwortliche Umgang mit der Natur (und dem kostenlosen ‚Naturarbeiter‘ zwischen Kapital und Arbeit ) ist nicht nur das Gebot der Stunde, sondern das rissig gewordene Fundament menschlicher Existenz geworden. Inwieweit die Rettung des Menschen in einem kapitalistischen System, „dem die Tendenz eigen ist, den Menschen in ein Objekt, eine Ware zu verwandeln“, *möglich ist, wird die Zukunft zeigen. „ Die Sklaven der entwickelten industriellen Zivilisation sind sublimierte Sklaven, aber sie sind Sklaven, denn den Sklaven erkennt man nicht an seinem Gehorsam, und nicht an der Härte seiner Arbeit, sondern an seiner Erniedrigung zum Werkzeug und an seiner Verwandlung von einem Menschen in eine Sache.“ ) **

*Joachim Israel: der Begriff Entfremdung, Reibek 1972 rororo, S. 311 ( das Problem der Verdinglichung)
** H. Marcuse, der eindimensionale Mensch, Berlin 1968 S. 52

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erschienen in Ausgabe 12 / 2020: Auf die Heißzeit vorbereiten
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