Wien entdeckt die Diaspora

Fast die Hälfte der Wiener Bevölkerung hat einen sogenannten Migrationshintergrund. Die „Fremden“ werden meist als Problem wahrgenommen. Doch jetzt werden erste Schritte unternommen, ihr entwicklungspolitisches Potenzial stärker zu nutzen.

Das Potenzial, auch das entwicklungspolitische, der Diaspora-Gemeinschaften wird unzureichend genützt. Das will die Wiener Stadtregierung ändern, wenn es nach der Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) geht. Sie eröffnete am 11. Februar ein Forum zum Thema Migration und Entwicklung im Wiener Rathaus, das als Auftakt für eine verbesserte Kooperation dienen soll.

Orientieren will man sich dabei an Erfahrungen der italienischen Stadt Bologna und des Schweizerischen Departements für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA), das 2008 ein Programm Migration und Entwicklung eingerichtet hat. Das mit knapp sieben Millionen Euro dotierte Programm soll ein günstiges Umfeld für Zuwanderer schaffen und sie in entwicklungspolitische Initiativen einbinden. In Bologna, erklärte Lucia Fresa vom Entwicklungs- und Menschenrechtsbüro der Bologneser Stadtverwaltung, setzt man vor allem auf Bildung und Ausbildung. Sowohl Fresa als auch Martina Schlapbach von der DEZA mussten aber zugeben, dass noch immer mehr über die Migranten als mit ihnen gesprochen werde.

Auch Shams Asadi, Leiterin der Menschenrechtskoordination im Wiener Rathaus, sieht Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung als ersten Schritt. Die Stadt Wien hat vor zehn Jahren ein Antidiskriminierungsgesetz erlassen und pflegt seit einigen Jahren einen Dialog mit der afrikanischen Diaspora, die sich in der Afrikanischen Vernetzungsplattform (avp) zusammengeschlossen hat. 2010 wurde die Plattform anlässlich der Fußball-WM in Südafrika in eine gemeinsame Kampagne eingebunden mit dem Ziel, afrikanische kulturelle Werte zu fördern und bekannter zu machen. Eine dauerhafte Zusammenarbeit ist daraus aber nicht entstanden.

Antiquierte Vorstellungen von Entwicklung

Alexis Nshimyimana Neuberg von der avp verweist auf den Erfahrungsschatz, der gehoben werden könne: „Wer mit uns arbeitet, vermeidet leere Kilometer für Forschungen, weil wir die Information längst haben.“ Er forderte, zunächst müsse die etwa 45.000 Menschen umfassende afrikanische Gemeinschaft in Österreich als entwicklungspolitische Kraft anerkannt werden: „Und wenn wir respektiert sind, möchten wir auch Geld.“

Helmuth Hartmeyer, der die Austrian Development Agency (ADA) vertrat, stimmte auf dem Wiener Forum dem Ruf nach Anerkennung zu. Allerdings kritisierte er den antiquierten Entwicklungsdiskurs: „Ich nehme in Diaspora-Projekten immer wieder lineare Konzepte nachholender Entwicklung wahr.“

Für Hartmeyer ist Migration ein wichtiges Thema der Entwicklungspolitik, weil sie maßgebliche Konsequenzen sowohl für die Herkunfts- als auch für die Zielländer habe. „Die öffentliche Debatte und nicht zuletzt die Wahlerfolge der FPÖ belegen Letzteres auch für Österreich.“ Er bedauerte aber, dass das Thema in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit Österreichs praktisch keine Rolle spiele: Im entwicklungspolitischen Dreijahresprogramm für die Jahre 2008 bis 2010 sei ihm noch ein eigenes Kapitel gewidmet worden. Im aktuellen Programm bis 2015 hingegen komme das Thema nur als Randnotiz vor. „Das Entwicklungspotenzial in der Thematik wird nicht anerkannt“, sagte Hartmeyer.

Die ADA fördert seit Jahren Initiativen, Aktionen und Festivals von afrikanischen Vereinen und Diasporaorganisationen – laut Hartmeyer als Beitrag gegen die Bildung von Stereotypen und Rassismus wie auch zur sozialen Integration. Die Veranstaltung in Wien fand im Rahmen eines dreijährigen Projektes der Europäischen Union und der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit statt. Projektleiter Michael Fanizadeh bedauerte, dass es nicht nur an geeigneten Förderstrukturen und Weiterbildungsmaßnahmen fehle, sondern das entwicklungspolitische Engagement von Migranten auch von rechtlichen Barrieren behindert werde.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2014: Medizin: Auf die Dosis kommt es an
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