Sicher ist man nur zuhause

Protokolle
Wie ist das, wenn man nicht mehr ohne Angst auf die Straßen gehen kann? Fünf Menschen aus Afghanistan, Nigeria, Indonesien, Chile und El Salvador über ihren Umgang mit der alltäglichen Kriminalität.

„Meine Mutter macht sich immer große Sorgen“

Das Leben in Kabul ist nicht leicht. Bevor ich morgens das Haus verlasse, bete ich und küsse den Heiligen Koran. Die Leute haben sich an die regelmäßigen Anschläge gewöhnt, trotzdem sorgt sich jeder um sein eigenes Leben und das Leben derer, die man liebt. Wenn es einen Terroranschlag gegeben hat, rufe ich sofort Freunde und Familie an und frage, ob es ihnen gut geht. Meine Mutter macht sich um mich und meine Geschwister immer große Sorgen, bis wir abends nach Hause kommen. Am häufigsten greifen die Selbstmordattentäter der Taliban in Kabul die ausländischen Truppen oder die afghanische Armee an. Deshalb halte ich mich auf der Straße möglichst fern von ausländischen Militärfahrzeugen.

Vor kurzem habe ich ein Stipendium für ein Masterstudium in Finanzwesen in den USA bekommen. Ich werde Kabul bald verlassen, aber wenn ich fertig studiert habe, komme ich zurück: Afghanistan braucht uns junge Leute für den Wiederaufbau. Jeder Mensch hat ein Leben in Sicherheit verdient. Aber leider werden Länder wie Afghanistan der Konkurrenz zwischen Supermächten geopfert, oder verfeindete Staaten tragen hier ihre Stellvertreterkriege aus.

Aufgezeichnet von Enayat Najafizada.

 

„Repariert endlich unsere Straßen!“

Ich habe 1988 meinen Führerschein gemacht und arbeite seitdem als Fahrer. Ich fahre LKWs, aber auch Überland-Taxen, und bin in ganz Nigeria unterwegs. Unser großes Problem sind die schlechten Straßen. Am schlimmsten ist die von der Hauptstadt Abuja nach Jos. Sie ist sehr kurvenreich. Trotzdem überholen viele Fahrer, weshalb es zahlreiche Unfälle gibt. Doch nicht nur das bringt uns ein Sicherheitsproblem. Wir werden häufig überfallen. Die Räuber errichten Sperren und sind mit Kalaschnikows schwer bewaffnet. Mit denen schießen sie auch auf Polizisten. Auch die haben Angst.  

Ich selbst hatte vor einigen Jahren ausgerechnet in Jos einen schweren Unfall. Ich war bewusstlos und wurde ins Krankenhaus gebracht. Als ich zwei Tage später entlassen wurde, musste ich feststellen, dass Diebe alles, was sich noch im Auto befand, gestohlen hatten. Daraufhin hat mich mein Chef entlassen. Ich hatte kein Auto mehr und musste für zwei Jahre zurück in mein Dorf gehen. Danach habe ich langsam wieder angefangen, als Taxifahrer in Abuja zu arbeiten. Deshalb habe ich einen großen Wunsch: Die Straßen in Nigeria müssen endlich repariert werden. Das würde uns allen viel mehr Sicherheit bringen.

Aufgezeichnet von Katrin Gänsler.

 

„Richtig sicher fühle ich mich nur zu Hause“

Ich wohne in der Gemeinde Peñalolen, eigentlich ein ruhiges Fleckchen von Santiago, auf halben Weg zum Andenvorgebirge, aber auch nicht zu weit weg vom Zentrum. Die meisten Familien hier leben so wie wir, in kleinen, eingeschossigen Häusern mit bis zu drei Zimmern. Die hohen Zäune überall zeugen jedoch davon, dass es hier nicht immer entspannt zugeht. Es wird häufig eingebrochen im Viertel, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, viele stehlen, weil sie nichts haben. Persönlich mache ich mir um Einbrüche aber nicht all zu viele Sorgen.

Dann schon eher um mein Auto. Vor einiger Zeit sind die „Portonazos“ in Mode gekommen, gewaltsame Überfalle. Die Täter schlagen zu, wenn man gerade in die Garage fährt. Da bin ich schon vorsichtig. Auch wenn ich Bus oder Metro fahre, passe ich auf, Taschendiebe gibt es überall. Und nachts, da warte ich nervös auf meine fast schon erwachsenen Kinder oder hole sie am besten gleich irgendwo ab. Richtig sicher fühle ich mich nur zu Hause.

Gemeinsam mit den Nachbarn organisieren wir einen Gemeinschaftsalarm. Das ist ein elektronisches System, für das man sich bei der Stadtverwaltung bewerben kann. Unsere Nachbarschaft hatte Glück. Nun sind unsere Häuser verkabelt, alle haben eine Nummer und wenn jemand Alarm schlägt, dann eilen die anderen zu Hilfe. Und das funktioniert auch.

Die Politiker wiederholen dagegen die immer gleichen Versprechen. Sie sehen das Problem in den Kriminellen und die Lösung darin, sie alle ins Gefängnis zu stecken. Ich fände es wichtiger, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, ihnen Chancen im Leben zu eröffnen. Auch die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft ist fundamental. Doch solche Initiativen gibt es in Chile kaum.

Aufgezeichnet von Nils Brock.

 

„Wenn ich mich verstecke, haben die Radikalen gewonnen“

Wegen Überfällen oder Einbrüchen habe ich mir noch nie Sorgen gemacht. Ich denke, das ist nur in der Hauptstadt Jakarta nötig. Ich wohne in einem dicht bebauten Vorort mit dorfähnlichen Strukturen, dort passen die Nachbarn gegenseitig aufeinander auf. Die Männer halten abwechselnd Nachtwache, einmal die Woche bin ich an der Reihe. Wir fühlen uns so sicher, dass wir nicht einmal nachts unsere Haustür abschließen.

Was mir dagegen Sorgen macht, ist die zunehmende Präsenz radikal-islamischer Organisationen. Sie tauchen immer öfter auf Veranstaltungen auf, die ihnen nicht passen – ob Buchdiskussionen, Filmvorführungen oder private Feiern – und lösen diese teils mit Gewalt auf. Das Schlimmste ist, dass sie dabei meist von der Polizei unterstützt werden – angeblich um den öffentlichen Frieden zu wahren. Die indonesische Verfassung garantiert jedem Bürger das Recht auf freie Meinungsäußerung. Doch wer kritische Themen wie Homo- oder Transsexualität oder die Massaker an Kommunisten im Jahr 1965 anspricht, kann keinen Schutz von staatlichen Sicherheitsorganen erwarten. Unterstützung gibt es in solch einem Fall nur vom unabhängigen Institut für Rechtshilfe und anderen Menschenrechtsorganisationen, die die Presse und höhere staatlichen Instanzen informieren.

Ich gehe weiterhin bewusst zu kritischen Veranstaltungen. Wenn ich mich zu Hause verstecke, haben die Radikalen genau das erreicht, was sie mit ihren Einschüchterungen bezwecken. Stattdessen versuche ich, ständig mit meiner Umgebung zu kommunizieren, die Leute müssen ihre Rechte verstehen. Nur so bietet mir die enge soziale Kontrolle im Viertel auch den notwendigen Rückhalt.

Aufgezeichnet von Christina Schott.

 

„Es ist besser, wenn man sie umbringt“

In unserem Stadtviertel fühlt man sich sicher. Jede Familie hier hat 1500 Dollar bezahlt, damit unsere Straße eingefriedet und mit einem hohen Eisentor gesichert wird. Es gibt Überwachungskameras und wir bezahlen jeden Monat 45 Dollar für private Wachmänner. Aber wirkliche Sicherheit gibt es nirgendwo in diesem Land.

Es gibt Orte, die ich mein Leben lang besucht habe und die ich heute meide. So bin ich dreißig Jahre lang jeden Freitag auf den Zentralmarkt zum Einkaufen gegangen. Da ist zwar immer irgendetwas vorgefallen, aber es war nicht so wie heute, wo es jeden Tag Schießereien und Tote gibt. Die armen Verkäuferinnen. Die müssen dorthin, obwohl immer weniger Kunden kommen. Mir persönlich ist Gott sei Dank nichts passiert. Aber wir haben ein Haus im Stadtviertel San Jacinto, das steht leer. Die Gegend wird von einer Jugendbande beherrscht. Niemand will dort mieten oder kaufen. Ich bin Mitbesitzerin der städtischen Buslinie 2 und auch wir müssen Schutzgeld an die Jugendbanden bezahlen, 500 Dollar im Monat an eine und 800 Dollar an eine andere. Trotzdem sind im vergangenen Jahr fünf unserer Angestellten ermordet worden.

In letzter Zeit bringt die Polizei ja mehr und mehr Mitglieder dieser Banden um. Das ist nicht schön, aber ich weiß auch keinen anderen Weg. Wenn sie verhaftet werden, kommen sie schnell wieder aus dem Gefängnis, weil unsere Justiz korrupt ist. Gott möge mir verzeihen, aber es ist besser, wenn man sie umbringt.

Aufgezeichnet von Cecibel Romero.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2016: Sicherheit: Manchmal hilft die Polizei
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