Himbeerlikör statt Abschiebung

Fluchtursachen Kosovo
Seit 2014 fördert Österreich Kleinbauern im Kosovo. Das soll die Leute ermutigen, zuhause zu bleiben. Und es soll albanische und serbische Bauern zur Zusammenarbeit zwingen.

Vier schnurgerade Ackerzeilen führen vom Straßenrand eine leichte Anhöhe hinauf. Einige Himbeersträucher tragen noch wässrige Früchte, die den Erntearbeitern entgangen sind. Die meisten Sträucher sind aber bereits geschnitten. Nur noch kurze Stummel ragen aus der feuchten Erde, die mit einer Schicht Kuhdung bedeckt ist. Der Bauer Skender Aliu stützt sich auf seine Mistgabel und blickt zufrieden auf die kleine Plantage. Auf insgesamt 0,7 Hektar hat er im vergangenen Sommer fünf Tonnen Beeren geerntet und einen Nettogewinn von 7000 Euro gemacht. Kommendes Jahr will er weitere 1,7 Hektar unter den Pflug nehmen; derzeit stehen dort nur Gräser und Wiesenblumen.

Die Himbeeren verkaufen sich gut, entweder frisch in der Region oder schockgefroren in der EU. Hier auf 900 Meter Höhe ist das Klima ideal für die Beerenproduktion. Der 44-jährige Landwirt aus dem Dorf Bitnija/Biti im Süden des Kosovo hat drei Jahre im Schweizer Kanton St. Gallen als Asylberechtigter gelebt. Jetzt ist er froh, wieder zu Hause zu sein. Er hat nicht nur für die fünfköpfige Familie ein gutes Auskommen, sondern kann weiteren vier Personen Arbeit geben. Wenn er die Anbaufläche vergrößert, wird er zehn Helfer benötigen.

Im Nachbardorf Sušice/Sushic produziert der 52-jährige Aleksandar Milenkovic Säfte, Kompotte und Liköre aus Himbeeren, wilden Brombeeren, Holunder und anderen Früchten. Nach Omas Rezepten hatte seine Familie schon vorher für den Eigenbedarf Säfte gepresst. Seit er von der österreichischen Entwicklungshilfe eine Presse bekommen hat und einen Kühlraum bauen konnte, ist das Hobby zum Geschäft geworden. Vergangenes Jahr hat er 9000 Euro verdient.

Zuvor waren österreichische Soldaten hier

Die Unterstützung für die Himbeerbauern gehört zu einem dreijährigen Programm ländlicher Entwicklung und Beschäftigung, das die Austrian Development Agency (ADA) mit 1,6 Millionen Euro fördert. Es zielt darauf ab, lokale und institutionelle Kapazitäten zu schaffen und zu stärken, die „den Übergang von einer Überlebensökonomie zu marktorientierter Wirtschaft“ ermöglichen und Arbeitsplätze schaffen sollen, sagt Gunther Zimmer, der Leiter des ADA-Koordinationsbüros in Prishtina. Begünstigt werden zwischen 400 und 450 ländliche Kleinstbetriebe – in der Regel Familienunternehmen. Vertragspartner sind die Gemeinden in den Regionen Dragaš/Dragash, Suva Reka/Suharekë und Štrpce/Shtërpcë im Süden des Kosovo. Sie müssen eine eher symbolische Kofinanzierung leisten.

Die Gegend wurde einerseits wegen ihrer fruchtbaren Böden und des landwirtschaftlichen Potentials ausgesucht, andererseits wegen der ethnisch gemischten Bevölkerung. Albanische und serbische Bauern, die einander noch vor 15 Jahren bekriegt haben, werden durch die Projekte gezwungen zusammenzuarbeiten. Das gehe immer besser, sagt die Projektmanagerin Vlora Elshani. Abgewickelt wird das Projekt über das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Schon das österreichische Kontingent der KFOR-Soldaten war in dieser Region stationiert; Österreich hat hier zudem bei der Entminung nach dem Unabhängigkeitskrieg geholfen.

Im Kosovo leben viele von den Rücküberweisungen

Der Krieg ist lange vorbei, das Kosovo hat 2008 seine Unabhängigkeit erklärt, die allerdings noch immer noch nicht von allen Staaten anerkannt ist, nicht einmal von allen EU-Mitgliedern. Nachbar Serbien beansprucht das Gebiet als Provinz und führt es noch auf allen offiziellen Karten. Anfang 2015 waren zehntausende Menschen – mehrheitliche ethnische Albaner aus der Mittelschicht – Richtung Deutschland und Österreich aufgebrochen. Serbien hatte signalisiert, man werde sie durchwinken. Schlepper machten die Leute glauben, in der EU würden dringend Arbeitskräfte gebraucht. Tatsächlich aber erwartete fast alle Zuwanderer ein schneller Abschiebungsbescheid. Wieder außer Landes gebracht seien aber höchstens 15 Prozent worden, schätzt Gunther Zimmer. Die meisten konnten untertauchen.

Das Programm für ländliche Entwicklung und Beschäftigung wurde schon 2014 initiiert, also vor der jüngsten Emigrationswelle. Es passt in die neue österreichische Entwicklungspolitik, die die eigenen Wirtschaftsinteressen stärker berücksichtigt. So wurde etwa Nicaragua 2012 als Schwerpunktland abgewickelt und der Westbalkan und die Kaukasusregion wurden als neue Schwerpunktregionen erschlossen. Im strukturschwachen Kosovo, wo viele Familien einzig von den Geldsendungen von Angehörigen in der EU überleben, sind es weniger wirtschaftliche Interessen, die die Zusammenarbeit bestimmen. Wien geht es eher darum, Anreize zu schaffen, dass die Leute zuhause bleiben. Das gibt auch Gunther Zimmer unumwunden zu: „Wir freuen uns, wenn sich das auf die Migration entsprechend auswirkt und die Menschen in ihrem schönen Heimatland bleiben.“

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erschienen in Ausgabe 12 / 2016: Energie für alle
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