Vorsicht Kamera!

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Journalisten im Jemen
Dem Sperrfeuer ausweichen und immer schön unauffällig bleiben: Wie ich als Journalist im Jemen versuche, über das Leid meiner Landsleute zu berichten.

Mit einer Kalaschnikow kann ich durch die Straßen von Taizz spazieren, ohne dass sich jemand daran stört. Aber wenn ich stattdessen mit meiner Kamera unterwegs bin, werde ich von allen Seiten angehalten. Beide Kriegsparteien, die Huthi-Milizen und die Regierungstruppen, überprüfen in der Regel jeden, der sichtbar einen Fotoapparat bei sich trägt. Im Jemen ist es sehr gefährlich, Journalist zu sein. Um an Informationen zu kommen, muss ich mich oft als jemand anderes ausgeben. Ich arbeite jetzt seit mehr als fünf Jahren in dem Beruf und ich habe den Eindruck, dass sich in dieser Zeit unsere Situation verschlechtert hat. Besonders in den vergangenen zwei Jahren ist es immer schwieriger geworden.

Ich finde es schon schwer erträglich, jeden Tag von Toten zu hören, aber noch schwerer ist es, zu sehen, dass Kollegen durch Artilleriefeuer oder Heckenschützen getötet werden. Den ersten Schock erlitt ich, als mein Freund, der Fotojournalist Mohammed al-Yemeni, im März 2016 von einem Heckenschützen der Huthi-Miliz tödlich getroffen wurde. Als ich die schreckliche Nachricht bekam, versuchte ich sofort, von einem Kollegen in der Kampfzone Näheres zu erfahren, doch der sagte nur: „Das ist eben der Preis, wenn man die Wahrheit wiedergeben will.“ Ich bin richtig zusammengebrochen und musste mich erst einmal zurückziehen.

Ich habe fast einen Monat lang nicht gearbeitet. Dann ermahnten mich meine Kollegen: „Nasser, wenn alle Journalisten in Taizz ihre Arbeit einstellten, würde niemand der Welt vom Leid der Menschen hier berichten. Viele Familien warten darauf, dass du von ihrem Schicksal erzählst und sie Hilfe bekommen.“ Sie überredeten mich, meine Arbeit wieder aufzunehmen. Schließlich schaffte ich es, mich den Nachrichten von der Ermordung anderer Freunde zu stellen, etwa der des Fotojournalisten Awab al-Zubairy bei der Explosion eines Hauses östlich des Stadtzentrums von Taizz.

Ich gebe mich als Uni-Mitarbeiter aus

Dann aber nahmen die Huthi Ende Mai 2017 östlich von Taizz fünf Journalisten ins Visier, die über den Vormarsch der regierungsnahen Truppen dort berichten wollten; drei von ihnen wurden getötet, die zwei anderen verletzt. Das war ein weiterer Schock, der mich erneut vom Schreiben abhielt. Ich konnte die Nachricht von ihrer Ermordung nicht glauben und dachte zwei Tage an nichts anderes als diesen Vorfall. Dann besann ich mich auf den Rat meines Vaters: „Du musst dich mutig den Hindernissen des Lebens stellen.“ Diese Worte brachten mich wieder auf positive Gedanken. Am nächsten Tag fuhr ich in die Hauptstadt Sanaa, um einen Artikel über den Ausbruch der Cholera zu schreiben.

Wenn ich einen Artikel schreiben will, muss ich dafür Leute interviewen und Fotos von Menschen oder Orten machen. Dafür benutze ich normalerweise mein Smartphone. Bevor ich Taizz in Richtung Sanaa verließ, löschte ich sämtliche Fotos, Dokumente und Programme, die verraten könnten, dass ich Journalist bin. Denn an den Checkpoints zwischen Taizz und Sanaa inspizieren sie Smartphones ganz genau. Sie suchen Fotos und Dokumente, die einen als Unterstützer einer der Kriegsparteien, als Aktivist oder eben Journalist ausweisen.

Am besten ist es, Taizz durchs Gebirge zu verlassen, da die Hauptstraße wegen des Krieges gesperrt ist. Für eine Fahrt durch die Berge ist mein kleines Auto jedoch nicht geeignet, und ich muss ein größeres, aber ziemlich altes und unsicheres Fahrzeug nehmen. Wenn mich die Soldaten an den Checkpoints nach meinem Beruf fragen, sage ich, ich sei Mitarbeiter an der Universität von Taizz und zeige ihnen meinen Uni-Ausweis, damit ich ungehindert weiterfahren kann. Meine Journalistenfreunde dagegen dürfen meistens nicht ohne weiteres durchfahren und geben sich deshalb als Angehörige irgendeiner anderen Berufsgruppe aus, nur nicht als das, was sie sind.

Interviews mit Regierungsmitgliedern nur am Telefon

Normalerweise beschäftige ich mich nicht mit politischen Themen, sondern schreibe hauptsächlich Artikel über die Not und das Leid der Bevölkerung. Deshalb brauche ich keine Angst zu haben, wenn ich mich zwischen Gebieten der Huthi-Milizen und solchen, die unter Kontrolle regierungsfreundlicher Truppen stehen, hin und her bewege. Für Kolleginnen und Kollegen, die einer der beiden Seiten nahe stehen, gilt das nicht. Als ich in Sanaa ankam und begann, Leute zu interviewen, gab ich mich als Mitarbeiter einer örtlichen Hilfsorganisation aus, um Probleme mit den Behörden zu vermeiden,.

Im Jemen gibt es zwei Regierungen: die der Aufständischen in Sanaa und die in der südjemenitischen Stadt Aden, die dem Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi treu ist. Doch keine von beiden versteht sich als Regierung aller Bürger des Jemen. Wenn ich mit Menschen auf der Straße gesprochen und, meistens heimlich, ein paar Fotos gemacht habe, rufe ich anschließend Vertreter der Regierungen oder Institutionen an und bitte sie, mir telefonisch Auskunft zu geben; im direkten Kontakt interviewe ich sie lieber nicht.

Keiner wollte mit mir sprechen

Als gleich nach Ausbruch des Krieges im Jemen die Huthi damit begannen, Journalisten zu verhaften, denen verschiedene Vergehen bis hin zum Landesverrat vorgeworfen wurden, verließen die Huthi-Gegner Sanaa und gingen in andere Provinzen und Länder. In den Gefängnissen sitzen immer noch Dutzende Journalisten, die auf einen fairen Prozess hoffen. Doch damit ist mitten im Krieg kaum zu rechnen, und über viele von ihnen ist nichts bekannt; aus Angst vor Verhaftung vermeiden es inzwischen viele Journalisten, überhaupt Interviews mit offiziellen Vertretern des Staates zu führen.

Autor

Nasser Al-Sakkaf

schreibt als freier Journalist im Jemen für mehrere internationale Zeitungen, Zeitschriften und Webseiten wie Middle East Eye, IRIN, Al Jazeera English und Newsweek Middle East.
Manche Organisationen machen Fotos von den Opfern des Krieges und verwenden sie entweder zum Spendensammeln oder um sich negativ über diese Menschen zu äußern. Und manchmal benutzen sie die Fotos auch zu politischen Zwecken, indem sie die Opfer zu Feinden der einen oder anderen Kriegspartei erklären. Deshalb lehnen viele Menschen es ab, sich von Journalisten fotografieren zu lassen. Fotos sind jedoch wichtig, um Vorkommnisse als authentisch belegen zu können. Darin liegt also ein weiteres Problem, mit dem wir im Jemen zu kämpfen haben: Unsere Arbeit wird nicht nur von Kriegsparteien behindert, sondern auch von Teilen der Bevölkerung als schädlich angesehen.

Als ich im Februar ein Flüchtlingslager südlich von Taizz besuchte, wollte keiner der Flüchtlinge mit mir sprechen. „Wir wollen nicht noch einmal zu Opfern werden“, erklärten sie, als ich sie nach dem Grund fragte. „Wenn Fotos von uns in Huthi-Medien erscheinen, werden wir als Feinde der regierungsfreundlichen Kräfte betrachtet und umgekehrt. Also reden wir lieber gar nicht mit den Medien.“ Deshalb gebe ich mich manchmal als Sozialarbeiter aus, denn so kann ich sie dazu bringen, mir von ihrem Leid zu erzählen; Fotos gibt es dann eben nicht. Doch trotz aller Hindernisse: Ich freue mich, wenn ich von Reaktionen auf meine Artikel erfahre und sehe, dass Menschen auf eine meiner Geschichten reagiert und Opfern Hilfe angeboten haben.

Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2017: Wenn die Seele krank ist
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