Vorerst nur kleine Fische fangen

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Strafgerichtshof
Die Ermittlungen gegen Venezuela und die Philippinen zeigen: Der internationale Strafgerichtshof droht bedeutungslos zu werden.

Die Anklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), Fatou Bensouda, greift zwei neue Fälle auf: die gewaltsame Unterdrückung von Demonstrationen in Venezuela seit April 2017 und die Tötung von Tausenden Verdächtigen im Rahmen der Drogenbekämpfung auf den Philippinen. Ob das klug ist, darf man bezweifeln. Nicht, weil der philippinische Präsident Rodrigo Duterte prompt den Austritt seines Landes aus dem IStGH angekündigt hat; die Gegenwehr mächtiger Beschuldigter muss das Gericht im Zweifel riskieren.

Zu Recht geht Bensouda auch davon aus, dass in Venezuela und mehr noch auf den Philippinen Zivilisten mit Billigung der Regierung umgebracht wurden und die nationale Justiz zugeschaut hat. Die Frage ist aber, ob beides unter die schwersten Vergehen fällt, für die der IStGH zuständig ist: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese liegen eindeutig in Syrien, Jemen und Myanmar vor, aber hier darf der IStGH nicht ermitteln; die Länder sind ihm nicht beigetreten und der UN-Sicherheitsrat ermächtigt ihn nicht, sich einzuschalten.

Nun lautet ein juristischer Grundsatz: Obwohl man nie alle Schurken fängt, soll man zumindest die bestrafen, die man fangen kann. Entsprechend begrüßen Menschenrechtler die Vorermittlungen zu Venezuela und den Philippinen; das Gericht tue, was es kann. Das stimmt, doch Bensoudas Schritt zeigt vor allem: Es kann immer weniger. Der IStGH ist seit Beginn darauf angewiesen, dass wichtige Staaten ihn unterstützen oder ihm zumindest nicht in den Arm fallen. Wo wann ermittelt wird, ist deshalb auch ein politischer Balanceakt. Und der wird immer schwieriger. Das Gericht muss inzwischen darum kämpfen, nicht bedeutungslos zu werden.

Zurückhaltung im Irak und Afghanistan

Der Hauptgrund dafür liegt im geopolitischen Umfeld. Als der IStGH 1998 gegründet wurde, legten die USA und die Sowjetunion Kriege im Süden gemeinsam bei, die sie im Kalten Krieg geschürt hatten. Das eröffnete Spielräume für Initiativen gegen Verbrechen von Staaten, darunter den IStGH. Dessen Rechtsprechung haben sich die USA, Russland und China zwar nie unterstellt und sahen ihn stets skeptisch. Doch als Instrument der Friedenssicherung schien er ihnen zeitweise nützlich. So ließen sie 2005 zu, dass der UN-Sicherheitsrat wegen des Kriegs in Darfur das Weltgericht gegen Sudans Regierung einschaltete. Das trieb unter diesen Umständen Verfahren in Afrika voran, wo ihm viele Staaten beigetreten waren, die meisten Kriege tobten und einige Regierungen es selbst zu Hilfe riefen. Zugleich suchte es Fälle auf anderen Kontinenten, behandelte aber Afghanistan und den Irak, wo westliche Großmächte Krieg führten, sehr zurückhaltend.

Doch dann wuchsen wieder internationale Spannungen. Seit Nato-Staaten 2011 in Libyen ein UN-Mandat missbraucht haben, um eine missliebige Regierung zu stürzen, geben Russland und China keinen Zwangsmaßnahmen gegen Kriegsverbrecher mehr ihren Segen. Im Nahen Osten sind neue Kriege ausgebrochen. Und spätestens mit Russlands Überfall auf die Ukraine und der Einmischung von Staaten aus West, Ost und Süd in Syrien und im Jemen ist die Ära der gemeinschaftlichen Kriegsbeilegung vorbei. Die blutigsten Kriege sind erneut solche mit Einmischung von Groß- und Regionalmächten.

Die politische Eiszeit überstehen

Damit steckt der IStGH im Dilemma: Um seinem Auftrag nachzukommen, schwerste Verbrechen und die höchsten dafür Verantwortlichen zu verfolgen, muss er dringender denn je diese Mächte oder mindestens ihre Stellvertreter aufs Korn nehmen. Doch genau das geht immer weniger. So untersucht Bensouda auf Bitten Georgiens und der Ukraine Kriegsverbrechen dort und hat Ende 2017 nach zehn Jahren Prüfung echte Ermittlungen gegen alle Kriegsparteien in Afghanistan beantragt. Beides wird aber nicht weit führen: Russland und die USA schützen nicht nur ihre eigenen Soldaten, sondern auch immer mehr verbündete Kriegsparteien. China hält seine Hand über Myanmar.

Da bietet sich Plan B an: Vorerst auf kleine Fische zielen, die man fangen kann. Genau auf diese Absicht weisen die Ermittlungen zu Venezuela und den Philippinen hin. Sie sind ein Zeichen der Schwäche. Vermutlich hofft der IStGH, so die neue politische Eiszeit zu überstehen. Doch das kann nur klappen, wenn sehr bald Tauwetter einsetzt. Sonst gilt das internationale Strafrecht – von nichtstaatlichen Gruppen wie Boko Haram abgesehen – auf lange Sicht nur für Täter, deren Staaten erstens dem IStGH angehören, zweitens wenig bedeutend sind und drittens keine starke Schutzmacht haben. Das widerspricht unübersehbar dem Ideal, alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden. Wer wird sich für eine so beschränkte Justiz noch einsetzen?        

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erschienen in Ausgabe 4 / 2018: Globale Politik von unten
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