Andere Länder sind viel weiter

Guido Kirchner / Picture Alliance/ Dpa

Fair gekleidet: Die Schutzanzüge der Dortmunder Feuerwehr werden unter Beachtung sozialer Mindeststandards hergestellt.

Faire Beschaffung
Organisationen der Zivilgesellschaft fordern seit Jahren, dass die öffentliche Hand nur solche Waren für Schulen, Krankenhäuser oder Behörden einkaufen soll, die unter fairen Bedingungen produziert wurden. Es gibt einige wegweisende Modellprojekte, aber darüber hinaus hat sich wenig bewegt.

Mit „fair“ ist die Einhaltung sozialer und arbeitsrechtlicher Standards in der Produktion gemeint, wie sie etwa die Internationale Arbeitsorganisation ILO festgehalten hat. Rund 340 Milliarden Euro geben staatliche Institutionen in Deutschland jedes Jahr aus. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn dieses Geld nicht nur nach wirtschaftlichen Kriterien ausgegeben, sondern in fair und ökologisch hergestellte Waren fließen würde.

Vor allem Kommunen kaufen fair gehandelte Produkte wie Kaffee, Tee, Orangensaft und Schokolade für ihre Kantinen. Darüber hinaus haben Städte wie zum Beispiel Dortmund, Köln, Bonn und Stuttgart zusammen mit der Frauenrechtsorganisation Femnet Modellausschreibungen zu Arbeitsbekleidung oder Arbeitsschuhen durchgeführt und bei Herstellern eingekauft, die garantieren, dass Arbeiterinnen und Arbeiter in der Fertigung der Textilien angemessene Löhne erhalten, keine übermäßigen Überstunden leisten müssen, Gewerkschaften bilden dürfen und den notwendigen Arbeitsschutz erhalten. Rund 500 Millionen Euro gibt die öffentliche Hand nach Angaben von Femnet jährlich für Textilien aus.

Gemessen an dieser Summe sind solche Modellprojekte zwar wichtig, aber doch eher symbolischer Natur. Warum kommt der faire Einkauf nicht darüber hinaus? Öffentliche Beschaffung sei in Deutschland aufgrund der föderalen Struktur stark zersplittert, sagt Rosa Grabe von Femnet. In den Kommunen etwa habe kaum jemand einen vollständigen Überblick darüber, was wo eingekauft wird. Außerdem gebe es für die kommunalen Einkäufer zu wenig Beratung und fachliche Unterstützung in Hinblick auf soziale Kriterien.

Malmö in Schweden schickt sogar eigene Kontrolleure

Europäische Metropolen wie London, Barcelona oder Malmö in Schweden sind da viel weiter und haben für sensible Waren durchgängig soziale und ökologische Kriterien eingeführt, die beim Einkauf berücksichtigt werden müssen. In Malmö wurde die Abteilung für den Einkauf personell verdoppelt. Die Stadt nimmt die Aufgabe eines nachhaltigen Einkaufs so ernst, dass sie sogar teilweise eigene Kontrolleure in Fabriken schickt.

In Deutschland fehlt es auch an klaren politischen Vorgaben. Denn das Beispiel Bremen zeigt, dass es geht. Im Stadtstaat wurde die Beschaffung zentralisiert; außerdem gibt es klare Vorgaben. Seit 2011 ist nach der Bremischen Kernarbeitsnormenverordnung bei Produkten wie Arbeits- und Dienstbekleidung sowie anderen Textilien, Natursteinen, Tee, Kaffee, Kakao, Blumen, Spielwaren oder Sportbällen die Berücksichtigung der ILO-Kernnormen zwingend vorgeschrieben. Andere Bundesländer sind diesem Beispiel bisher nicht in dieser Konsequenz gefolgt. In Nordrhein-Westfalen gab es zwar ähnliche Ansätze in einem Tarif­treue- und Vergabegesetz sowie einer zentralen Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung, die allerdings beide nach einem Regierungswechsel im Jahr 2017 wieder gekippt wurden.

Peter Pawlicki von der Organisation Electronics Watch bestätigt den Eindruck, dass etliche Kommunen und Regionen in Europa weiter sind. Electronics Watch ermöglicht es der öffentlichen Hand in Europa, Lieferketten von Druckern, Kopierern, PCs, Laptops oder Smartphones zu überprüfen und zu verifizieren, ob sich die rund zehn bis 15 Hersteller auf dem Markt an arbeitsrechtliche Standards halten. Die unabhängige Organisation finanziert sich über die Beiträge seiner rund 330 Mitgliedsorganisationen wie zum Beispiel Kommunen, Gewerkschaften, Universitäten und staatlichen Einrichtungen unter anderem aus Skandinavien, Großbritannien, den Niederlanden, Spanien und der Schweiz. Genau ein Mitglied stammt aus Deutschland, die Arbeitsgemeinschaft der IT-Verantwortlichen der Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen in Schleswig-Holstein (ITSH-edu).

Von echter Transparenz noch weit entfernt

Auditoren von Electronics Watch gehen nicht nur in die Fabriken und schauen sich die Arbeitsbedingungen an. In Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen drängen sie auch auf Verbesserungen, wenn Arbeiter zum Beispiel übermäßige Überstunden leisten oder illegale Anwerbegebühren bei der Einstellung zahlen müssen. Bis zu einer fairen Lieferkette gibt es hier aber noch sehr viel zu tun. Probleme in einigen Fabriken, zum Beispiel in Thailand, konnten behoben werden, doch „von echter Transparenz entlang der gesamten Lieferkette sind wir noch weit entfernt“, sagt Pawlicki.

Neben Lebensmitteln, Textilien und IT-Geräten gibt es jedoch ganze Produktgruppen, die erst langsam in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. So standen Ende 2019 beim runden Tisch des Eine-Welt- Netzwerks Bayern zum Thema „Sozial- und Umweltstandards bei Unternehmen“ auch Medikamente auf der Tagesordnung. Hersteller wie Sandoz-Hexal bemühen sich nach eigenen Angaben um die Einhaltung der ILO-Kernnormen in ihren asiatischen Produktionsstätten. Hauptproblem dabei sei der scharfe Preiskampf, so Thilo Fuchs von Sandoz-Hexal. Denn beim Einkauf der öffentlichen Hand in Deutschland zählt nur der Preis. Die Rabattsysteme der Krankenkassen funktionieren so, dass der günstigste Anbieter eines Medikaments zum Zug kommt. Unter welchen Bedingungen dieses hergestellt wurde, interessiert dabei nicht

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Die Christliche Initiative Romero hatte die Pilotausschreibung der Stadt Dortmund im Jahr 2015 begleitet und damit ein starkes Signal für die nachfolgenden Pilotprojekte in Bonn, Köln und Stuttgart gesetzt. Hoffen wir, dass es durch mehr Signalwirkungen seitens der Gesetzgebung (Lieferkettengesetz), Unterstützungsangebote des Bundes und der Länder und durch eigene Zielsetzungen seitens der Kommunen nicht bei diesen einzelnen Pilotprojekten in einigen Städten bleibt.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2020: Meinungs- und Pressefreiheit
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