Die Ukraine und die orthodoxen Kirchen

picture alliance / AP Images/Alexander Zemlianichenko
Der russische Patriarch Kyrill und Russlands Präsident Wladimir Putin: Viele orthodoxe Kirchenobere scheuen klare Aussagen zum Ukraine-Krieg.
Krieg in der Ukraine
Die orthodoxen Kirchen tun sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine schwer mit einer klaren Positionierung. Während an der Basis der Unmut wächst, flüchten sich die Hierarchen in allgemeine Worte über die Tragik des Krieges.

„Das jüngste Gericht erwartet jeden Menschen. Keine irdische Macht, kein Arzt und keine Leibwache wird vor diesem Gericht bewahren“, heißt es in einem von mittlerweile über 250 Priestern und Mönchen der russisch-orthodoxen Kirche unterzeichneten Brief. Die Verfasser fordern, dass das Volk der Ukraine seinen Weg ohne Druck von außen selbst bestimmen müsse, und wehren sich gegen die Verfolgung von Friedens-Demonstrationen in Russland. „Stoppt den Krieg“, appellieren sie. Doch an der Spitze ihrer Kirche stoßen sie bislang weitgehend auf taube Ohren.

Der Mainzer Ostkirchenkundler Mihai Grigore sieht in der orthodoxen Kirche prinzipiell eine Kraft, die den Verlauf des von Russland begonnenen Krieges beeinflussen könnte. „Die Orthodoxie ist für Putin auch wichtig“, sagt er. Der russische Patriarch Kyrill sei mehr als eine Marionette Putins, er hätte durchaus Einfluss, wenn er sich klar positionieren würde, glaubt der Wissenschaftler. „Er will aber nicht.“ Auch die meisten anderen orthodoxen Kirchenoberhäupter in der Welt hätten sich bislang nur sehr zurückhaltend zu der Invasion geäußert. Eine klare proukrainische und proeuropäische Stellungnahme habe es vor allem in Rumänien gegeben.

Ein Riss geht durch die Orthodoxie

In Deutschland haben sich weder die Orthodoxe Bischofskonferenz, noch die Diözesen der russisch-orthodoxen Kirche bislang öffentlich eindeutig auf die Seite der Ukraine gestellt. Allerdings läuft auch in den russischen Kirchengemeinden die Hilfe für Flüchtlinge. „Besondere Erfahrung mit der Unterbringung von Flüchtlingen haben wir nicht“, räumt der russisch-orthodoxe Metropolit Mark in einer Videobotschaft ein. Trotzdem seien alle in den Diaspora-Gemeinden aufgerufen, mit Spenden, Dolmetscher-Diensten oder Unterkünften zu helfen.

„Ich glaube, dass da ein Riss durch die Orthodoxie geht“, sagt Fridtjof Amling, der als evangelischer Pfarrer lange die deutsche Botschaftsgemeinde in Moskau betreute. Der Krieg gegen das Nachbarland, zu dem die allermeisten Russen persönliche Verbindungen hätten, sei sowohl in Russland selbst als auch in der Diaspora nicht populär. Aber weiterhin gebe es eben auch Menschen, die hinter ihrer Staatsführung stünden. Gerade viele jüngere orthodoxe Priester hätten Angst um den Zusammenhalt ihrer Gemeinden und fühlten sich von ihrer Kirchenleitung im Stich gelassen.

Der russische Patriarch Kyrill bleibt zurückhaltend

In ihrer eigenen Sozialkonzeption aus dem Jahr 2000 hatte die Russische Orthodoxe Kirche sich selbst Regeln für ihre Rolle in kriegerischen Konflikten gegeben und sich zum Dienst am Frieden bekannt. „Zu diesem Zweck richtet sie ihr Wort an die Machthaber und die anderen einflussreichen Kräfte der Gesellschaft und unternimmt Anstrengungen, Verhandlungen zwischen einander bekämpfenden Seiten zu organisieren sowie den Notleidenden Hilfe zu leisten“, heißt es in dem noch immer gültigen Text. Die Kirche widersetze sich Kriegs- und Gewaltpropaganda und allen Formen von Hass.

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Gemessen an den eigenen Grundsätzen blieb der russische Patriarch Kyrill bislang erstaunlich distanziert. In einer aktuellen Predigt äußerte er zwar den Wunsch nach Frieden, ließ aber offen, was er sich unter einer friedlichen Lösung vorstellt. Auch einen offiziellen Kommentar auf den Protestbrief der orthodoxen Priester gab es aus dem Patriarchat bislang nicht.

Ukraine: Eine „kultische Waffe“ gegen den Patriarchen

In der Ukraine, wo es zwei rivalisierende orthodoxe Kirchen gibt und ein Teil der Gläubigen weiterhin mit dem Moskauer Patriarchat verbunden ist, wandelt sich der Unmut über das Kirchenoberhaupt zu Ungehorsam. Dort wird Kyrill teilweise nicht mehr in der Liturgie erwähnt. Eine „kultische Waffe“ gegen den Patriarchen sei das, sagt der Mainzer Religionshistoriker Grigore. Die Ukraine könnte auch in konfessioneller Hinsicht für Russland komplett verloren gehen.

In der katholischen Deutschen Bischofskonferenz befürchtet man mittlerweile „langfristige geistliche und pastorale Verwerfungen zwischen den Kirchen und ihren Gläubigen“. Der Magdeburger Bischof und Vorsitzende der Ökumenekommission, Gerhard Feige, fordert von der Leitung der Russischen Orthodoxen Kirche eine deutliche Stellungnahme gegen die militärische Aggression Russlands in der Ukraine: „Es darf keine offene oder indirekte Unterstützung oder Legitimierung des russischen Krieges durch religiöse Akteure geben.“

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