Eine Mehrheit des Nationalrats hat sich im September dafür ausgesprochen, die Zahlungen der Schweiz an das Palästinenserhilfswerk UNRWA zu stoppen. Der Rat folgte damit einer entsprechenden Motion, also einem parlamentarischen Vorstoß, des SVP-Abgeordneten David Zuberbühler. Nun liegt der Vorstoß beim Ständerat, der kleinen Parlamentskammer. „Sollte auch er sich dafür aussprechen, wäre das eine Katastrophe für die humanitäre Tradition der Schweiz“, sagt Laura Ebneter von Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.
Die Entscheidung des Nationalrats findet Ebneter schwer nachvollziehbar: Noch im Mai habe die Regierung, der Bundesrat, nach Konsultation der außenpolitischen Kommissionen, zehn Millionen Franken für die humanitäre Hilfe der UNRWA im Gazastreifen bewilligt. Zudem empfahlen die außenpolitischen Kommissionen beider Parlamentskammern, die Motion Zuberbühlers abzulehnen.
Dass eine Mehrheit des Nationalrats dennoch dafür gestimmt hat, zeige, wie UNRWA seit vergangenem Oktober wahrgenommen werde, sagt Ebneter: „Bis weit in die politische Mitte hinein herrscht das verzerrte Bild vor, UNRWA sei von der Hamas unterwandert.“ Die Abgeordneten wollten ein Zeichen setzen, indem sie die Finanzierung des Hilfswerks streichen. Das aber würde vor allem die Zivilbevölkerung in Gaza treffen, sagt Ebneter.
"Gezielte Desinformationskampagne Israels"
Im Januar hatte Israel erklärt, es verfüge über Beweise, dass sich zwölf UNRWA-Mitarbeiter in Gaza am Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober beteiligt hätten, später folgten Anschuldigungen gegen weitere sieben Personen. In der Folge stoppten über ein Dutzend Länder ihre Zahlungen an das Hilfswerk. Die meisten nahmen sie wieder auf, nachdem ein Untersuchungsbericht unter Federführung der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna im April UNRWA vom Vorwurf weitgehend entlastet hatte, es sei von der Hamas unterwandert.
Die jetzige Entscheidung des Nationalrats, sagt der SP-Angeordnete Fabian Molina, sei das Ergebnis einer gezielten Desinformationskampagne Israels und israel-naher Lobbygruppen gegen UNRWA. In mehreren persönlichen Treffen zwischen ihm und der israelischen Botschafterin seit vergangenem Oktober zum Beispiel sei die Forderung, die Schweiz solle ihre Zahlungen an das Hilfswerk einstellen, das wichtigste Thema gewesen, so Molina.
Das UN-Hilfswerk, das 1949 für die Versorgung geflüchteter und vertriebener Palästinenser gegründet wurde, ist Israel seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge, weil es für das Rückkehrrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser in ihre alte Heimat steht. Schon vor dem 7. Oktober 2023 habe es im Schweizer Parlament immer wieder Vorstöße gegen UNRWA gegeben, sagt Molina. „Damals hat sich eine Mehrheit nicht getraut, so weit zu gehen, die Finanzierung zu beenden.“ Selbst im bürgerlichen Lager sei vielen klar gewesen, wie schädlich dies für das Image der humanitären Schweiz sein würde.
Außenminister Cassis ist kritisch gegenüber der IZA
Die Hauptverantwortung dafür, dass eine Mehrheit der bürgerlichen Abgeordneten gekippt sei, sieht Molina bei Außenminister Ignazio Cassis (FDP). Im Gegensatz zu früheren Außenministern fährt Cassis offen einen Kurs, der gegenüber der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (IZA) kritisch ist. Bereits 2018 hatte er UNRWA öffentlich kritisiert. Molina sagt, wenn Cassis vor dem Schaden einer solchen Entscheidung für die Schweiz gewarnt hätte, „dann wäre dieser Vorstoß nicht durchgekommen“.
Für Laura Ebneter steht die Entscheidung gegen UNRWA auch für den grundsätzlichen Druck auf die internationale Zusammenarbeit der Schweiz. Sie fürchtet, die Streichung der UNRWA-Gelder könnte zum Präzedenzfall werden – indem man auf den vermeintlichen Skandal bei der UN-Organisation verweist, um damit Streichungen an anderen Posten der IZA zu rechtfertigen.
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