Der Jubel kommt zu früh

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Erkenntnisse aus der Covid-19-Krise
Pandemieabkommen
Die WHO steht unter Druck und braucht Erfolge. Das jetzt gefeierte Pandemieabkommen ist allerdings noch längst nicht in trockenen Tüchern: Das Schwierigste kommt erst noch, meint Tillmann Elliesen.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei "welt-sichten".

Von einem „historischen“ Abkommen, das die Welt gerechter und sicherer vor künftigen Pandemien mache, sprach die Weltgesundheitsorganisation WHO in einer Pressemitteilung. Die neue deutsche Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan und die entwicklungspolitische Lobbyorganisation ONE schwärmten ebenso. Alabali-Radovan sagte, die Weltgemeinschaft habe mit dem von der Weltgesundheitsversammlung am 20. Mai in Genf verabschiedeten Pandemieabkommen „ein wichtiges Zeichen für Solidarität und Multilateralismus“ gesetzt. Und ONE lobte, das Abkommen könne das Vertrauensverhältnis zwischen globalem Süden und Norden wieder stärken, weil es den Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten gerechter gestalten soll.

Ja, der Beschluss von Genf ist ein Licht in dunklen Zeiten, in denen der Multilateralismus und die internationale Zusammenarbeit an vielen Orten kaputtgespart und als überflüssig attackiert werden. Und besonders der WHO, die nach dem Rückzug ihres wichtigsten Geldgebers, der USA, enorm unter Druck steht, sei jeder Erfolg gegönnt. 

Das Abkommen kann nicht in Kraft treten

Aber was die Ministerin und ONE verschweigen und die WHO in ihrer Erklärung eher beiläufig ganz am Schluss erwähnt: Das Abkommen kann bis auf weiteres gar nicht ratifiziert werden und in Kraft treten. Das ist erst möglich, wenn ein wichtiger Anhang ausgehandelt und beschlossen wurde: das Verfahren zum sogenannten Pathogen Access and Benefit Sharing, kurz PABS. Es soll gewährleisten, dass Staaten ihre Daten über gefährliche Erreger weitergeben und zugleich Zugang zu den auf Grundlage solcher Daten entwickelten Medikamenten und Impfstoffen bekommen. 

Die WHO-Mitglieder konnten sich bislang nicht darauf verständigen, wie das im Detail geregelt werden soll. Deshalb wurden die Verhandlungen darüber von denen über das übrige Abkommen abgetrennt. 

Bei PABS geht es darum, unter welchen Bedingungen Pharmaunternehmen in einer Pandemie ihre Wirkstoffe der WHO und ärmeren Ländern zur Verfügung stellen müssen. Südafrika veröffentlichte während der Coronapandemie sehr schnell Daten über die neue Omikron-Variante, ging aber bei den von den Unternehmen auf Grundlage dieser Daten angepassten Impfstoffen weitgehend leer aus, weil die reichen Länder den Markt leerkauften. Genau das soll PABS künftig verhindern. Das auszuhandelnde Verfahren berührt deshalb nicht zuletzt gewichtige kommerzielle Interessen der Pharmaindustrie.

Es geht also nicht um ein paar technische Kleinigkeiten, die noch zu klären sind – im Gegenteil: PABS ist das Herzstück des gesamten Pandemieabkommens. Es geht um die zentrale Frage, wie in der nächsten Pandemie der Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen global gerechter geregelt wird. Solange sich die Staaten nicht auf eine Antwort auf diese Frage einigen, kann das jetzt gefeierte Abkommen nicht in Kraft treten und bleibt wertloses Papier.

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Drei Jahre haben die Staaten ergebnislos über die Details von PABS verhandelt, es war von Beginn an der heikelste Punkt des Abkommens. Reiche Länder in Europa und Nordamerika, aber auch Länder im globalen Süden mit starken Pharmaunternehmen wie Indien und Malaysia, haben sich hier stets schützend vor die Interessen der Industrie gestellt. Die WHO sagt nun, bis zur Weltgesundheitsversammlung im kommenden Jahr soll eine Einigung erzielt werden. Fachleute halten das für ausgeschlossen: Es könnten noch Jahre vergehen, wenn denn überhaupt jemals ein fertiges PABS zustande kommt.

So oder so: Zum Jubeln ist es noch viel zu früh.

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