Die Regierung bemühte sich, auf ihren Social-Media-Kanälen ein ausgewogenes Bild vom Nahost-Besuch der Entwicklungsministerin zu vermitteln. Mit arabischen Untertiteln kündigte Reem Alabali Radovan auf X, vormals Twitter, per Video ihre Ankunft in Israel und den Termin bei der Palästinensischen Autonomiebehörde an. Andere Aufnahmen zeigen sie in Tel Aviv im Gespräch mit Angehörigen von israelischen Geiseln der Terrormiliz Hamas.
Die viertägige Reise der SPD-Ministerin nach Israel, ins Westjordanland, nach Jordanien und Saudi-Arabien Ende August wurde in der Bundeshauptstadt aufmerksam verfolgt. Alabali Radovan war das erste Kabinettsmitglied auf Israel-Besuch, seit Bundeskanzler Friedrich Merz ein Embargo für Waffen ausgesprochen hat, die in Israels Gaza-Krieg zum Einsatz kommen könnten. So war es für die Entwicklungsministerin eine Gratwanderung. Denn die Dilemmata zwischen deutscher Solidarität mit Israel, völkerrechtsverletzender israelischer Siedlungspolitik und Verstößen der israelischen Regierung gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht enthalten viel Potenzial für Streit in der Koalition.
Stets Kontakt zum Bundeskanzler
Während der Reise stand die SPD-Politikerin laut Medienberichten in Kontakt mit dem Kanzler. Nachdem im Juli die Außenminister von 28 Staaten – darunter 24 europäische, aber nicht Deutschland – ein sofortiges Ende des Gaza-Krieges gefordert hatten, hatte Alabali Radovan gesagt, Deutschland hätte sich dem Signal anschließen sollen. In einem Bericht des Onlineportals „Politico“ hieß es dazu, Merz sei über ihr Abweichen von der Regierungslinie nicht glücklich gewesen.
Auf ihrer Reise hat die Ministerin dennoch deutliche Worte gefunden. Sie kritisierte die Zerstörung des Gazastreifens ebenso wie die israelische Siedlungspolitik und faktische Annexionen in der Westbank und Ost-Jerusalem. Zwei Reisestopps führten medienwirksam zu von israelischen Bulldozern zerstörten Häusern palästinensischer Familien unweit von Ost-Jerusalem und in der Westbank, wo die Siedlungspolitik seit langem die Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung untergräbt.
Wann Palästina anerkennen?
Deutschland bekennt sich seit Jahren zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Doch lassen sich in der Koalition Konfliktlinien erkennen: zum einen innerhalb der Unionsfraktion, die in Teilen schon die Entscheidung des Kanzlers zum Waffenstopp kritisiert hat, und zum anderen im Verhältnis der Koalitionspartner zueinander. So stellte Merz während Alabali Radovans Reise klar, Deutschland werde bei Plänen anderer Regierungen für eine rasche Anerkennung eines Palästinenserstaates nicht mitgehen. Nicolas Zippelius, entwicklungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, ergänzte als Mitglied von Alabali Radovans Delegation gegenüber dem Deutschlandfunk, eine etwaige Anerkennung stehe erst ganz am Ende eines Friedensprozesses. Dem hielt der ebenfalls mitgereiste SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic entgegen, dies sei vorerst doch illusorisch, weshalb die SPD-Fraktion durchaus über die Frage der Anerkennung diskutiere.
Und Alabali Radovan? „Die Frage, die sich jetzt drängend stellt, ist: Wie sieht dieser Prozess aus“, sagte sie vor Journalisten mit Bezug auf einen Verhandlungsprozess. Es stünden weitere interne Beratungen der Bundesregierung an.
Neue Hilfen für die Autonomiebehörde
Die Ministerin scheint jedenfalls entschlossen, die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah als Ordnungsmacht im Westjordanland und im Küstenstreifen Gaza zu stützen. Die Behörde leide akute Finanznot, erläuterte sie nach einem Treffen mit dem palästinensischen Premierminister Mohammad Mustafa. Es dürfe nicht dazu kommen, dass die Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas bald kein Geld mehr habe, um Lehrerinnen, Klinikpersonal und Polizisten zu bezahlen. Wie zuvor bereits Außenminister Johann Wadephul (CDU) forderte die SPD-Ministerin Israel mit Nachdruck auf, zurückgehaltene Steuergelder an die Autonomiebehörde auszuzahlen. Deren Kollaps, so wird befürchtet, würde noch mehr Chaos auch im Westjordanland verursachen.
Deutschland will nun zusätzliche Hilfen für den Haushalt der Behörde prüfen und auch innerhalb der EU beraten. Die Chancen auf eine Zwei-Staaten-Lösung sollen gewahrt werden, so der Anspruch, auch wenn kein Verhandlungsweg dahin in Sicht ist. Symbolisch besuchte die Delegation in Ramallah das Muster einer Übergangsunterkunft, die in größerer Zahl errichtet werden und – solider als Zelte – zunächst 400 Familien aus Gaza beherbergen sollen. Sie sind bestellt und sollen ebenso wie die Instandsetzung von Wasserleitungen und Schulen Teil eines frühen Wiederaufbaupakets (early recovery package) sein, das Deutschland über die KfW Entwicklungsbank gemeinsam mit dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP für die Zeit nach einem Waffenstillstand in Gaza vorbereitet.
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