Freie Fahrt für Fahrräder

picture alliance / ZUMAPRESS.com/Donal Husni
Am autofreien Sonntag erobern sich Radler im Sommer 2020 in Jakarta für einen Tag die Straße zurück. Die indonesische Hauptstadt investiert viel Geld in den Bau von Fahrradwegen und den öffentlichen Nahverkehr.
Städte
Die 15-Minuten-Stadt ist das Leitbild der Zukunft: Jeder soll ohne Stau in einer Viertelstunde zu Fuß oder mit dem Rad zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen oder ins Kino kommen.

Seit Jahrzehnten steht der motorisierte Verkehr im Vordergrund urbanen Lebens, alles andere musste sich bisher dem Auto unterordnen. Die Idee von der 15-Minuten-Stadt will das ändern. Fußgänger, Fahrradfahrer und der öffentliche Nahverkehr stehen zunehmend im Fokus der Stadtplanung. In Europa ist es Paris, das vorangeht und neue Maßstäbe setzt. Die französische Hauptstadt baut ihr Radwegnetz konsequent aus, bis 2024 soll es 650 Kilometer umfassen. Gleichzeitig gibt es ein Programm zur Stadtbegrünung: Für jeden neu verbauten Quadratmeter muss ein grüner Ausgleich geschaffen werden. Parkplätze sollen Bäumen, Radwegen und Fußgängerzonen weichen, Autos langfristig komplett aus der Innenstadt verbannt werden. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die 2014 zum ersten Mal und dann 2020 erneut gewählt wurde, hat mit dem Plan einer radikalen Abkehr vom Auto ihren Wahlkampf bestritten – und gewonnen.

„Das Pariser Modell bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Vorstellung von Stadtplanung“, sagt Dagmar Köhler vom Institut für Urbanistik in Berlin. Oberstes Leitbild ist eine bessere Lebensqualität. Es gehe unter anderem darum, Stress für die Bewohner zu reduzieren sowie CO2-Emissionen und die Feinstaubbelastung zu verringern, sagt Köhler. Einen konsequenten Vorreiter wie Paris gibt es in Deutschland bisher nicht. 

In Metropolen droht der Verkehrskollaps

In der Corona-Pandemie wird das Fahrradfahren zur Fortbewegungsart der Stunde. In vielen Städten sind Pop-up-Radwege entstanden, nicht nur in Berlin, sondern zum Beispiel auch in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Doch obwohl die 7,5-Millionen-Stadt in Lateinamerika als Vorreiter des öffentlichen Nahverkehrs gilt, etwa mit einem qualitativ hochwertigen Schnellbusnetz mit eigenen Fahrspuren, erstickt die Stadt im Verkehr. Viele Menschen müssten jeden Tag aus den Außenbezirken stundenlang zu ihren Arbeitsplätzen im Zentrum der Stadt pendeln, sagt Maria Rosa Munoz Barriga vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. In vielen Megastädten des globalen Südens droht der Verkehrskollaps. In manchen Städten ist der Autoverkehr derart dominant, dass es kaum begehbare Bürgersteige gibt und Fahrradfahren einem Selbstmordversuch gleichkommt. 

Kann die 15-Minuten-Stadt für sie überhaupt ein Leitbild sein? Das Bundesentwicklungsministerium unterstützt über die „Transformative Urban Mobility Initiative“ (TUMI) Metropolen in Osteuropa, Afrika, Asien und Lateinamerika, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und mehr Raum für Fußgänger und Fahrradfahrer zu schaffen. Es geht dabei um den Aufbau von Fahrradleihsystemen, mehr Sicherheit für Fahrradfahrer, den Ausbau von Radwegen, die Einrichtung von Fußgängerzonen oder die Verbesserung von Bussystemen jeweils in Zusammenarbeit mit Stadtverwaltungen und lokalen Partnern. 

Jakarta baut den Nahverkehr energisch aus

„Es macht Sinn, mehr für Fußgänger und Fahrradfahrer zu tun“, sagt Maria Munoz Barriga, „aber in Lateinamerika zum Beispiel besteht in den Städten eine große soziale Ungleichheit.“ Die Armen seien an die Peripherie gedrängt. Wer die Lebensqualität in den Stadtzentren verbessert, helfe damit nicht unbedingt den Armen – eine Kritik, die sich auch die Pariser Bürgermeisterin anhören muss. Führt der ökologische Umbau dazu, dass die Lebensqualität nur für die Wohlhabenden steigt, die im teuren Stadtzentrum leben? 

Das muss nicht so sein. Der Gouverneur von Jakarta, Anies Rasyid Baswedan, ist davon überzeugt, dass alle Einwohner vom Leitbild der 15-Minuten-Stadt profitieren. Die indonesische Hauptstadt gehört zu den Metropolen, die bereits in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld in den öffentlichen Nahverkehr investiert haben und damit heute in einer besseren Ausgangslage für den weiteren Umbau der Mobilität sind. Jakarta hat zum Beispiel das erste Schnellbussystem in Südostasien mit einem einfachen und preisgünstigen Ticketsystem eingeführt und verfügt über eine U-Bahn. In den vergangenen zwei Jahren hat die indonesische Metropole mit mehr als zehn Millionen Einwohnern vermehrt in Fahrradspuren und Fußgängerbereiche investiert sowie Busse auf Elektroantrieb umgestellt. 

Zahl der Radfahrer steigt um das Zehnfache

Jeder Einwohner könne in 15 Minuten zu Fuß eine Bushaltestelle erreichen, sagt der Gouverneur. Dafür erhielt die Stadt im März eine Auszeichnung für ihre nachhaltigen Verkehrssysteme, die jährlich von der internationalen nichtstaatlichen Organisation Institute for Transportation and Development Policy vergeben wird. Als Ergebnis dieser Anstrengungen gehöre Jakarta heute nicht mehr zu den zehn am meisten von Verkehrsstaus geplagten Metropolen der Welt, betonte der Gouverneur bei der digitalen Preisverleihung. Vorher stand die Stadt auf Platz zehn dieser vom Weltwirtschaftsforum herausgegebenen Liste. In der Pandemie sei die Zahl der Fahrradfahrer noch mal deutlich gestiegen, in manchen Stadtvierteln um das Zehnfache. 

„Wir sind nicht dazu bestimmt, eine Autostadt zu sein oder eine Stadt, in der die Menschen die meiste Zeit im Stau verbringen“, sagte Baswedan. „Wir können das ändern. Und andere auch.“

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Radwege sind wohl eher ein Nebenkriegsschauplatz, manche Gegenden der etwa 34 Millionen Einwohner zählenden Metropolregion versinken mit bis zu 25 Zentimeter im Jahr im Meer aufgrund illegaler Entnahme von Grundwasser. Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage und in spätestens 30 Jahren fährt da nichts anderes mehr als Boote.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2021: Abholzen, abbrennen, absperren
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