Eine wichtige Aufgabe des nächsten EU-Kommissars für Internationale Partnerschaften, also für Entwicklungszusammenarbeit, wird sein, „die wesentlichen Ursachen und Treiber für irreguläre Migration in den Partnerländern anzugehen und das Netzwerk der Schleuser zu bekämpfen“. So steht es im Mission Letter an den Tschechen Jozef Síkela, der den Posten nach dem Willen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übernehmen soll. Síkela muss noch – wie alle designierten Kommissare und Kommissarinnen – vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Die EU will also weiterhin mit Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe Migration eindämmen.
Doch das funktioniert nicht gut. Zu diesem Ergebnis kommt der Europäische Rechnungshof (European Court of Auditors, ECA) in einem Gutachten zum sogenannten EU-Treuhandfonds für Afrika, den die Union im Jahr 2016 eingerichtet hat. Mit rund fünf Milliarden Euro sollten in der Sahelzone und im Tschadseebecken, am Horn von Afrika und in Nordafrika unter anderem wirtschaftliche Chancen und Jobs geschaffen, die Widerstandsfähigkeit von Gemeinschaften gestärkt, die Migrationssteuerung in Herkunfts-, Transit- und Zielländern und die Regierungsführung und Konfliktprävention verbessert werden. Als Fazit des ECA-Gutachtens lässt sich ziehen: Ein erheblicher Teil des dafür aufgewendeten Geldes ist im besten Fall weitgehend wirkungslos verpufft, im schlimmsten Fall hat es Schaden verursacht und zur Verletzung von Menschenrechten von Flüchtlingen und Migranten beigetragen.
Wirkung weitgehend unbekannt
Laut dem Gutachten haben zwar viele der Projekte in insgesamt 27 afrikanischen Ländern die anvisierten Leistungen erbracht, doch über die Wirkung mit Blick auf die vom Fonds anvisierte Steuerung von Migration lasse sich kaum etwas sagen. Die zur Kontrolle verwendeten Indikatoren sagten nichts darüber aus, ob die Projekte „dazu beigetragen haben, die Ursachen von Instabilität, irregulärer Migration und Vertreibung zu bekämpfen“. Selbst nach sieben Jahren sei die Kommission „immer noch nicht in der Lage, die effizientesten und wirksamsten Ansätze zur Reduzierung der irregulären Migration und der Zwangsvertreibungen in Afrika zu ermitteln und darüber Bericht zu erstatten“.
Der SPD-Entwicklungspolitiker und Europaparlamentarier Udo Bullmann sagte zu den Ergebnissen des ECA-Gutachtens auf Anfrage, Menschen flüchteten aus ihrer Heimat, wenn das sicherer scheine, als zu bleiben. „Die Europäische Kommission muss deshalb sicherstellen, dass EU-Fonds dazu beitragen die Lebensbedingungen in den betroffenen Ländern zu verbessern, damit Menschen gar nicht erst flüchten müssen.“ Das gelinge aber nur, so Bullmann, „wenn wir dem Globalen Süden auf Augenhöhe begegnen und gemeinsam nach Lösungen suchen“.
Die CDU- Politikerin Hildegard Bentele, stellvertretende Vorsitzende des Entwicklungsausschusses im Europäischen Parlament, sagte, grundsätzlich befürworte sie die Ausrichtung des Fonds, zur Bekämpfung von Fluchtursachen und zu Stabilität in den drei Zielregionen in Afrika beizutragen. Das ECA-Gutachten zeige aber "ein auch in anderen Bereichen leider nicht unbekanntes Problem", dass das Geld nicht zielgerichtet, sondern "à la Gießkanne" verteilt worden sei. Laut dem Rechnungshof reicht die Spannbreite der finanzierten Projekte von der Unterstützung für Viehhirten in Äthiopien und den Schutz von Kindern vor Ausbeutung in Mauretanien über den Ausbau von ländlicher Infrastruktur in Gambia bis zur Stärkung des Grenzschutzes und der Migrationskontrolle in Libyen und Tunesien. Aus dem Fonds wurden laut dem ECA-Gutachten mehr als hundert Forschungsarbeiten zu den Ursachen von Konflikten, Vertreibung und Migration finanziert, um eine solide Grundlage für die Projektarbeit zu haben. Allerdings seien die meisten dieser Arbeiten erst fertig gestellt worden, nachdem die Projekte geplant und die Mittel bereits zugewiesen worden seien.
Kein Schutz vor Menschenrechtsverletzungen
Besonders heikel: Obwohl viele der geförderten Projekte in Konfliktgebieten mit fragiler Staatlichkeit stattfanden und den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen betrafen, verfügt die EU-Kommission laut dem Gutachten über keine formellen Verfahren, Menschenrechtsverletzung im Zusammenhang mit Projekten zu erkennen und Konsequenzen zu ziehen. Auch der vorbeugende Schutz war demnach oft unzureichend. So sollten in einem „Grenzmanagementprojekt“ in Libyen italienische Strafverfolgungsbeamte den ordnungsgemäßen Einsatz der see- und landgestützten Ausrüstung überwachen und strenge Kriterien für die Auswahl und Überprüfung der libyschen Beamten angewandt werden. Allerdings hätten die ECA-Prüfer „keine ausreichenden Belege“ dafür gefunden, dass das auch so geschehen sei, heißt es in dem Gutachten.
Bullmann sagte dazu, die EU-Kommission sei verpflichtet, in allen außenpolitischen Bemühungen die Einhaltung der universellen Menschenrechte zu gewährleisten. „Das gilt vor allem, wenn EU-finanzierte Projekte zum Ziel haben, Krisenregionen zu unterstützen.“
Der EU-Treuhandfonds für Afrika läuft im nächsten Jahr aus; Hildegard Bentele von der CDU ist der Meinung, hier sei eine Chance vertan worden. Der Mission Letter von Kommissionspräsidentin von der Leyen an den designierten nächsten Entwicklungskommissar zeigt aber, dass die EU weiter mit Entwicklungszusammenarbeit migrationspolitische Ziele erreichen will. Auch Bentele kündigt an, sie werde "darauf dringen, in der Zukunft Entwicklungszusammenarbeit und die Bekämpfung der irregulären Migration noch enger zu verknüpfen". Der Rechnungshof appelliert indes an die Kommission, seine Empfehlungen aus der Prüfung des Treuhandfonds in künftigen Entwicklungsprogrammen mit ähnlicher Zielsetzung zu berücksichtigen.
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