Ein neues Kalifat im Aufbau?

Nigeria
Im Nordosten Nigerias erhebt der Islamische Staat Provinz Westafrika Steuern und bietet etwa Gesundheitsdienste, Agrarhilfen und eine Justiz. Das bringt ihm Legitimität, findet ein Forscher.

Der Islamische Staat Provinz Westafrika (ISWAP) ist aus der nigerianischen Terrorgruppe Boko Haram hervorgegangen und hat sich 2015 dem Islamischen Staat angeschlossen, der von 2013 bis 2017 Teile Syriens und des Irak beherrschte. Er kontrolliert heute Gebiete am Tschadsee, vor allem in Nigeria, obwohl Armeen mehrerer angrenzender Länder ihn bekämpfen. Wie das funktioniert, hat Malik Samuel von Good Governance Africa untersucht. The New Humanitarian stellt seine Befunde vor.

Danach baut die Organisation eine staatsähnliche Verwaltung auf; darauf beruhe zum guten Teil ihre Stärke. Laut Samuel erhebt ISWAP drei Arten Steuern: die islamische Steuer Zakat; eine sehr lukrative von Fischern während der Fangsaison im Tschadsee; sowie eine, die bei Bedarf eingefordert wird. Diese sei auch intern umstritten, weil die weltweite IS-Zentrale sie nur einmal im Jahr erlaubt, ISWAP sie aber öfter erhebt. Zudem müsse Abgaben zahlen, wer von außen in das Gebiet komme, um dort Geschäfte zu machen. Insgesamt nehme ISWAP zehnmal mehr ein als der nigerianische Bundesstaat Borno, dessen Gebiet er teilweise beherrscht.

In Kriegszeiten Loyalität erwerben 

Im Gegenzug stelle ISWAP öffentliche Güter und Dienste zur Verfügung wie Trinkwasserbrunnen, Gesundheitsversorgung und Latrinen – in vielen Fällen kostenlos. Er versorge Bauern mit Dünger und stelle zinslose Kredite zur Verfügung, besonders für loyale Untertanen. Die Truppe biete zudem auf ihrem Gebiet eine gewisse Sicherheit vor Banditen und schlichte mit ihrer islamischen Justiz Streitigkeiten, etwa zwischen Bauern und Hirten; dies erinnert an ein Erfolgsrezept der Taliban.

Da die Regierung Nigerias dazu keine glaubwürdigen Alternativen biete, nehme die Bevölkerung die Herrschaft von ISWAP pragmatisch hin, auch wenn darin für sie keinerlei Mitsprache vorgesehen ist, schreibt Samuel. Der Staat Nigeria, da korrupt, ist für sie möglicherweise der schlimmere Räuber. Das alles erinnert stark daran, wie der Historiker und Soziologe Charles Tilly die langen Kämpfe um eine Staatsbildung in West- und Mitteleuropa seit dem Mittelalter charakterisiert hat: in seinem wegweisenden Aufsatz mit dem Titel „War Making and State Making as Organized Crime“.

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